Parteizentrale der KPÖ in Wien.
Wahlkampfzonen, Teil 2

Zu Besuch bei der KPÖ: Auferstanden aus Ruinen

Nach den Wahlerfolgen in Salzburg und Innsbruck soll auch über dem österreichischen Parlament eine rote Fahne wehen. Ein Blick in den Maschinenraum der KPÖ.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Eine anständige Revolution beginnt traditionellerweise ganz unten. In der Zentrale der Kommunistischen Partei Österreichs in Wien ist das nicht anders. Die Lenin-Bilder hängen hier im Keller, teilweise lehnen sie auch nur lose an den Wänden. Wundern muss das niemanden, schließlich befindet sich dort das parteiinterne Archiv. „Bei Presseterminen heißt es manchmal: Habt ihr noch irgendwo eine Stalin-Büste für ein Foto? Nein, wir haben unsere Stalin-Büsten vor dreißig, vierzig Jahren in den Müll geschmissen, wenn es überhaupt jemals welche gegeben hat. Dieser Stalin-Fetisch war in der KPÖ sowieso nie so ausgeprägt, wie es sich die Leute gerne vorstellen“, sagt Tobias Schweiger, Bundessprecher und Spitzenkandidat für die kommenden Nationalratswahlen, während er sich durch die engen Gänge schlängelt.

Es ist ein Tag im Mai, das Wetter ist gut, die Terrassentür in der Küche steht deshalb offen. Im Garten zwitschern die Vögel, am Tisch steht ein Aschenbecher, endlich Sommer. An der Wand über dem Eingang zum großen Besprechungszimmer hängt ein roter Schriftzug, „Kommunistische Partei“, der integrierte LED-Lichtstreifen leuchtet auf Wunsch in jeder Farbe, beim Vorführen ist Schweiger sichtlich stolz: „Das haben wir selbstgemacht!“

Roter Schriftzug "Kommunistische Partei" vor roten LEDs in der Küche der KPÖ.
EU-Flyer auf einem Tisch im Besprechungsraum.
Eine Bühne mit roten Vorhängen im Besprechungsraum.
Die Marx-Engels-Werke in einem Regal.
Ein Blick in den grünen Garten der KPÖ.

Die Drechslergasse 42 – Hausfassade in Schönbrunner Gelb, 14. Wiener Gemeindebezirk, Wohngegend – ist so etwas wie das Allzweck-Quartier des österreichischen Kommunismus. Das merkt man spätestens im Flur des Treppenhauses, in dem sich Kisten mit Flyern zur EU-Wahl, einige Kleisterkübel, zusammengerollte Plakate und der intellektuelle Nachlass eines verstorbenen Parteimitglieds stapeln. Fünf Personen arbeiten hier, drei Vollzeitäquivalente, dementsprechend ruhig ist es an einem Montag. Während in anderen Parteizentralen gerade Goodie-Bags für die nächste Wahlkampfaktion gepackt werden, muss man bei den Kommunisten meistens sparen.

„Bei diesen klassischen Tätigkeiten – Aufstellen von Plakatständern, Verteilen von Postwurfsendungen – greifen andere Parteien gerne auf Firmen zurück. Das ist bei uns finanziell nicht drinnen, wir decken das mit unseren ehrenamtlichen Strukturen ab. Jeden KPÖ-Flyer im Briefkasten haben wir selbst eingeworfen“, sagt Schweiger. Bei der Innsbruck-Wahl im April konnte man dabei auf rund 150 Freiwillige setzen. Schweiger versteht darunter „Mitglieder und aktive Sympathisanten, die regelmäßig etwas für die Partei machen“. Bei der Nationalratswahl im Herbst erwarte man um die tausend Helferinnen und Helfer. „Wenn der Drive passt, können es natürlich mehr werden.“

Glaubt man der jüngsten profil-Sonntagsumfrage, dann passt der „Drive“ – zumindest im Moment darf sich die KPÖ Hoffnungen machen, die Vier-Prozent-Hürde und damit den Einzug in den Nationalrat zu schaffen. Das wäre das erste Mal seit 65 Jahren und eine massive Steigerung zu den letzten bundesweiten Wahlen 2019, damals erreichte man nicht einmal einen Prozentpunkt. Profitieren kann die Partei dabei sicher von den Vorzeige-Genossen Kay-Michael Dankl und Elke Kahr. Ersterer schaffte es heuer in die Bürgermeister-Stichwahl in Salzburg und baute die KPÖ-Mandate von einem einzigen auf zehn aus, zweitere regiert seit 2021 in Graz. Sogar in der traditionell eher konservativen Stadt Innsbruck holte die Partei, die außerhalb der Steiermark als irrelevant galt, zuletzt fast sieben Prozent.

Den Erfolg verdankt die Partei sicher auch der Jugendorganisation „Junge Linke“, mit der die KPÖ eng zusammenarbeitet. Viele der aktuell führenden Parteifunktionäre kommen von dort, Kay-Michael Dankl beispielsweise, Tobias Schweiger ebenfalls. Von den „Jungen Linken“ zieht man nicht nur einiges an „Man-“, sondern auch „Brainpower“. Dabei verlief deren Gründung 2018 alles andere reibungslos. Vielleicht erinnern Sie sich, das grüne Trauma rund um die „Jungen Grünen“? 2017 schmiss die grüne Parteispitze ihre Jugendorganisation, die „Jungen Grünen“, nach inhaltlichen Differenzen aus der Partei. Viele ehemalige Mitglieder liefen anschließend zu den „Jungen Linken“ über, versuchten sich fortan am „Aufbau einer starken kommunistischen Bewegung“. Schweiger war zwischen 2019 und 2021 Bundessprecher der Jugendorganisation, legte sein Amt aber nach Vorwürfen ruhend, er hätte sich in einer vergangenen Beziehung antifeministisch verhalten. Das geht aus Postings in der Facebook-Gruppe der “Jungen Linken” hervor, die profil vorliegen. „Im Jahr 2019 wurde in der Jugendorganisation ‚Junge Linke‘ der Vorwurf erhoben, Tobias Schweiger wäre kein Feminist. Die Situation wurde geprüft und die Vorwürfe haben sich als haltlos erwiesen“, sagt die KPÖ heute dazu. 

Das Gespenst des Kommunismus geht also auch in Österreich um. Ein Erklärungsansatz: Die KPÖ bietet direkte Beratungen, vor allem bei Wohnungssuche und Finanzproblemen. Schweiger sagt: „Wenn Leute zu uns in eine Sozialsprechstunde kommen, dann erzählen sie uns zwar von persönlichen Sorgen, aber da schwingt ja ganz viel mit. Wir lernen dadurch unter anderem: Wie verändert sich der Zugang auf den Ämtern, welche ökonomischen Belastungen treten gerade in den Vordergrund? Darüber kann man Politik aktiv entwickeln“, sagt Schweiger.

Allerdings musste auch die KPÖ lernen, dass es in der Opposition deutlich leichter ist, sich als Anwältin des Proletariats zu inszenieren. Stichwort: Theorie und Praxis. Im aktuell gültigen Parteiprogramm, beschlossen im Jahr 1994, stehen Sätze wie: „Die KPÖ […] bekämpft den Ausverkauf der österreichischen Unabhängigkeit an das wiedererstandene Großdeutschland im Zuge des EU-Anschlusses.“ „Großdeutschland“? „EU-Anschluss“? Vor vier Jahren wurde, zusätzlich zum Parteiprogramm, ein „programmatisches Dokument“ beschlossen. Darin fordert man die „Auflösung aller Armeen und Militärbündnisse und die Verschrottung sämtlicher Massenvernichtungswaffen“ neben kostenlosen Öffis für alle. Die Ticketpreise im KPÖ-regierten Graz schnalzten heuer trotzdem nach oben.

Wahlkampfzonen

Das profil-Digitalteam besucht im Zuge des Superwahljahrs die Parteizentralen von ÖVP, SPÖ, Neos und KPÖ. FPÖ, die Grünen und die Bierpartei wollten an der Reportagen-Serie nicht teilnehmen. 

Zurück zu den Sozialberatungen. Die bietet die KPÖ im Besprechungszimmer in der Parteizentrale an. Helle Holzmöbel, langer Tisch, im Eck eine kleine Sitzecke. In einem Regal stehen die gesammelten Marx-Engels-Werke, in einem anderen liegen lauter leere Formulare; Antrag auf Mindestsicherung, Wohnbeihilfe, Befreiung vom Essensbeitrag in Kinderbetreuungseinrichtungen. Später soll aus diesem Raum so etwas wie eine Wahlkampfzentrale, ein sogenannter „War Room“, werden, davon sieht man bis auf ein paar Flyer für die EU-Wahl im Moment aber noch nichts. Topfpflanze, hohe Fenster, roter Hammer und Sichel.

Macht man sich in der Drechslergasse Sorgen, dass der SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Babler den Kommunisten inhaltlich das Wasser abgräbt? Schließlich fährt Babler einen Linkskurs und fällt auch immer wieder mit klassenkämpferischen Ansagen auf. „Für uns gibt es keine inhaltliche Konkurrenz. Es ist selbstverständlich, dass die wenigsten Forderungen, die wir haben, nur von uns gestellt werden. Bei uns ist die Stoßrichtung aber immer eine andere“, sagt Schweiger.

Tobias Schweiger auf einer Pressekonferenz.

Rotfront

Tobias Schweiger wurde im November gemeinsam mit Bettina Prochaska als KPÖ-Doppelspitze für die Nationalratswahl präsentiert.

Ein Beispiel fällt ihm dafür recht schnell ein, allerdings nicht zur SPÖ: „Beim Thema Neutralität verstehen wir etwas völlig anderes darunter als die FPÖ, die das ja auch stark thematisiert und mit dem Motto arbeitet: Wir ziehen hier eine Hecke hoch und alles, was dahinter liegt, interessiert uns nicht. Wir sehen es umgekehrt: Die Neutralität ist ein Mittel, sehr aktive Außenpolitik zu betreiben und sich in der Welt nützlich zu machen.“

Mit der FPÖ verbindet die KPÖ noch etwas, beide müssen sich medial immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, eine Sympathie für Russland und Putin zu hegen. Unberechtigterweise, wie Schweiger findet: „Es gibt bei uns vielleicht eine Handvoll Leute in der Partei, die der Auffassung sind, dass sich Putin gerade nur dem westlichen Imperialismus erwehrt, aber jeder bei klarem Verstand sagt: Russland hat ein eigenes imperiales Projekt. Da gibt es weder Sympathien noch Naheverhältnisse. Wodurch soll sich eine Nähe zu Russland überhaupt ergeben? Der Typ ist Nationalist, Diktator und Oligarchen-Fan, das alles lehnen wir ab.“ Unter die „Handvoll Leute“ fällt wahrscheinlich der steirische KPÖ-Landtagsabgeordnete Werner Murgg, der die Ukraine vor zwei Jahren unter anderem als „Krüppelnation“ bezeichnete. Konsequenzen hatte das für ihn keine.

Ein Regal, in dem die Marx-Engels-Werke stehen und ein Hammer und Sichel Symbol.

Hammer, Sichel und Marx

Unter der Last der Marx-Engels-Werke kann sich ein Regal schon einmal durchbiegen. 

 

Bei der EU-Wahl im Juni werden die Kommunisten das Thema am Rande wieder angreifen, neben „Wohnen“ werben sie mit „Frieden und Neutralität“. Vergangene Woche haben sie außerdem ihr Wahlprogramm und EU-Spitzenkandidaten Günther Hopfgartner vorgestellt. Auf einem seiner Plakate steht: „Wer Europa will, muss es von den Reichen holen.“ Hat man sich mit der europäischen Idee also ein wenig angefreundet? Schweiger sagt: „Es gibt ein Buch von Attac, da heißt es: ‚Warum die EU nicht zu retten und ein Austritt keine Lösung ist‘. Das beschreibt unser Verhältnis ganz gut. Machen wir es am Beispiel Wohnen fest: Wohnen ist laut den EU-Verträgen Gegenstand des Wettbewerbs. Das heißt, der freie Markt muss gesetzlich in der Lage sein, Profite mit dem Wohnen machen zu können. Umgekehrt gibt es zwar das Grundrecht auf Wohnen, das ist für Mieter aber nicht einklagbar.“

Zum Zeitpunkt des Gesprächs mit profil ist noch niemandem nicht klar, dass man während des EU-Wahlkampfs nicht viel über Inhalte reden wird. Seit die Tageszeitung „Der Standard“ Anfang Mai Vorwürfe veröffentlichte, die Grüne Spitzenkandidatin Lena Schilling würde es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, auch auf Kosten von anderen Personen, diskutiert man primär darüber. Involviert ist darin seit kurzem auch die KPÖ, denn bei einer Pressekonferenz von Schilling und Grünen-Generalsekretärin Olga Voglauer vermutete letztere SPÖ und KPÖ hinter einer „Schmutzkübelkampagne“. Beweise dafür legten die Grünen keine vor. Die KPÖ wollte die Anschuldigungen auf profil-Nachfrage nicht kommentieren.

Steckbrief

  • Superkraft: Niemand unterstellt KPÖ-Kandidatinnen und -Kandidaten karrieristische Motive
  • Damoklesschwert: Die Putin-Empathie einiger Parteifunktionäre 
  • Spitzenkandidaten: Kennt kaum wer, aber das ist vielleicht egal
  • Veränderung zu 2019: Plus drei Prozent (laut aktuellen Umfragen)
  • Wahlkampfbudget: Offiziell noch nicht fixiert, „aber auf jeden Fall nur ein Bruchteil des Budgets der großen Parteien“
  • Leerstand: Im Garten der Parteizentrale gibt es ein Hochbeet, das auf seine Bepflanzung wartet

Eine anständige Revolution beginnt traditionellerweise ganz unten. In der Drechslergasse 42 bedeutet das vorerst einmal: Einzug in das EU-Parlament, Einzug in den Nationalrat. „Oft bekommen wir die Frage: Wie würde ein Kommunismus in Österreich ausschauen? Gar nicht. Kommunismus ist eine internationale Idee. Dementsprechend brauchen wir lokal sehr konkrete Konzepte, die haben wir“, sagt Schweiger. 

Sollten die nicht sofort zünden, stehen im Keller ja noch ein Haufen roter Fahnen.

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.