WAHLKAMPFZONEN, TEIL 3

Zu Besuch bei den illusorischen Türkisen

Die ÖVP steuert auf dramatische Verluste zu. profil besuchte das Hauptquartier der Volkspartei, die auf ein Wunder im Herbst hofft – und auf ihre übermotivierten Wahlhelfer.

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Eine Glastüre, die nur mit Chip aufgeht, trennt die Parteizentrale der Österreichischen Volkspartei in der Lichtenfelsgasse 7 von der Außenwelt. Man kann aber auch anläuten, wie profil es getan hat, und wird dann von der Empfangsdame hineingelassen. 

Dass diese Dame an der Rezeption für die ÖVP eine wichtige Rolle spielt, merkt man bereits beim Eintreten. „Wir müssen dringend etwas schreddern, der Schredder ist aber kaputt gegangen. Kannst du uns helfen?“, fragt sie ein sichtlich gestresster junger Mitarbeiter.

Der Eingangsbereich in der ÖVP-Parteizentrale

Auf dem Schreibtisch der Frau finden sich aufgestellte Karten, auf denen die Gesichter der ÖVP-Stars zu sehen sind – sie erinnern fast an Autogrammkarten berühmter Sänger:innen. Alle türkisen Promis sind vertreten: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Europaministerin Karoline Edtstadler, Ex-Kanzler und Außenminister Alexander Schallenberg oder Bundeskanzler Karl Nehammer. Wie wichtig Nehammer der ÖVP ist, erkennt man nicht nur an der Autogrammkarte, sondern auch an dem riesigen Screen, der hinter dem Empfangstisch hängt und ein Foto von Nehammer zeigt. Darunter der Slogan: „Gemeinsam sind wir Österreich. Wir. Die Mitte“.

In der ÖVP-Parteizentrale haben viele Teilorganisationen ihren Sitz: Beispielsweise die Schülerunion, die ÖVP Frauen, die Junge Volkspartei oder die Senioren. In den sechs Stockwerken sind ihre Räumlichkeiten aufgeteilt. 

Das Herzstück ist der dritte Stock – denn da befinden sich das Generalsekretariat, die Abteilung für Politik und Strategie, das Bürger:innenservice und das Marketing der Volkspartei. Hier haben etwa der Direktor für Organisation und Kampagnen, Bernhard Ebner, Kommunikationsleiter Gerald Fleischmann oder Generalsekretär Christian Stocker ihre Büros. Der dritte Stock der ÖVP-Parteizentrale unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht besonders von anderen Büros. In der zirka zwei Quadratmeter kleinen Küche steht ein Obstkorb, auf der Wand hängt eine Leinwand, auf der der Spruch „You are Energy“ steht.

ÖVP-Parteizentrale; Trennwand
ÖVP-Parteizentrale; Bilder, die zusammen den Umriss von Österreich ergeben
Leinwand, auf der "You are Energy" steht

Man merkt: Die Volkspartei ist schon in Wahlkampfstimmung. Es geht ins Büro von Generalsekretär Christian Stocker. „Wahlkampf, das gehört zum politischen Leben. Wahlen finden immer wieder statt. Das ist eine sehr intensive Zeit für die Mitarbeiter, aber auch für die Kandidaten und die Funktionäre“, fasst es Stocker im profil-Interview zusammen. 

Heuer setzt man vor allem auf Nehammers Österreichplan – insbesondere auf die Punkte Sicherheit, Familie und Leistung – und auf Nehammer selbst. Karl Nehammer ist laut Generalsekretär Stocker nämlich der einzige, der in schwierigen Zeiten Verantwortung übernommen hätte: „Herbert Kickl hat überhaupt keine Verantwortung übernommen. Er hat auch als Innenminister bewiesen, dass er es tatsächlich nicht kann. Im Vergleich dazu haben wir Andreas Babler, der überhaupt keine Regierungserfahrung hat und sehr widersprüchlich ist“. Er führt fort: „Er hat (Anm. Babler) zu Kreuzen ein sehr eigenartiges Verhältnis gehabt, also kein positives. Jetzt redet er von christlich-sozial. Das ist aus meiner Sicht etwas, wo jemand Schlangenlinien fährt, um wohin zu kommen und erfolgreich zu sein.“

Ob das die Wähler:innen überzeugt? 

Die ÖVP positioniert sich als „Partei der Mitte“, als Partei derer, die „normal“ sind und mit dem Auto in die Arbeit fahren, wie Bundeskanzler Karl Nehammer im Juli vergangenen Jahres in einem Video sagte. Entgegen dieser offiziellen Selbstdarstellung hat die Volkspartei in Sachen Migration und Zuwanderung einen scharfen Rechtskurs eingeschlagen – daran änderte auch der Abgang von Ex-Kanzler Sebastian Kurz nichts. Erinnert sei etwa an die Leitkulturdebatte im Frühjahr, die mit Sprüchen wie „Tradition statt Multikulti“ beworben wurde und stark an Narrative der FPÖ erinnerte. 

Im Österreich-Plan von Nehammer muss man die Unterscheidungen zu den Freiheitlichen suchen. Zwar möchte die ÖVP den Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte erleichtern, allerdings soll restriktiver gegen illegale Migration vorgegangen werden. Abschiebezentren sollen im Ausland eröffnet werden, die „Bewegungsfreiheit abgelehnter Asylwerber:innen“ soll eingeschränkt werden, um zu verhindern, dass sie untertauchen. Und ihre Wertsachen möchte man bereits bei ihrer Einreise beschlagnahmen, um so Kosten zu decken.

Der Kurs scheint jedoch nicht so gut zu funktionieren wie noch unter Kurz. Das zeigen aktuelle Umfragewerte.

In der aktuellen profil-Sonntagsfrage (Stand April 2024) liegt die ÖVP mit 20 Prozent auf Platz drei – hinter Herbert Kickls FPÖ (30 Prozent) und Andreas Bablers SPÖ (21 Prozent). 

Von den schlechten Umfragewerten lässt man sich in der Volkspartei allerdings nicht entmutigen: „Man darf nicht vergessen: Umfragen haben sehr oft nicht gestimmt. Bei den Landtagswahlen haben wir gesehen, dass es teilweise erhebliche Abweichungen gegeben hat. In Kärnten hat keine einzige Umfrage uns einen Zugewinn ausgewiesen und tatsächlich haben wir einen gehabt“, so Stocker. Der Zugewinn bei der Landtagswahl in Kärnten 2023, von dem die Rede ist, betrug 1,59 Prozentpunkte. Ob sich die ÖVP auch im Bund darauf verlassen kann?

Eine Wahlkampfstrategie gibt es jedenfalls schon, die ÖVP setzt auf einen hybriden Wahlkampf - in den konventionellen Medien, auf Plakaten, mit Veranstaltungen, aber auch auf Social Media. Große „Goodies“ soll es nicht geben, Kugelschreiberfans dürfen sich jedoch auf Nehammer-Kulis freuen.

Nachdem unter Sebastian Kurz das Geld in der Volkspartei abgeschafft worden war und die Wahlkampfkostenobergrenze 2017 gesprengt wurde, muss die ÖVP jetzt sparen. Man werde, beteuert Stocker, dieses Mal die Wahlkampfkostenobergrenze einhalten. Ob das Budget vorab bekannt gegeben wird? „Wahlkampfkostenobergrenze“, sagt der Generalsekretär, mehr nicht. Die Grenze liegt bei 8,6 Millionen Euro. 

Man darf nicht vergessen: Umfragen haben sehr oft nicht gestimmt.

Christian Stocker

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker, sitzend

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker

Im Wahlkampf wird sich die ÖVP jedenfalls personell verstecken, aber nur soweit es wirklich nötig ist: Maximal drei Angestellte sollen pro Bundesland dazukommen, teilt Peter Treml, der Pressesprecher der Bundespartei mit. Der 26-Jährige „Politiknerd“, wie er sich selbst bezeichnet, führt profil durch die Parteizentrale. 

Den Newsroom im sechsten Stock möchte er jedoch nicht zeigen, der sei nämlich „nicht aufgeräumt“, dafür geht es mit dem Aufzug hinunter in den ersten Stock, den „War Room“ der Volkspartei. Der Boden ist vollgestellt mit Sackerln. Drinnen findet man weiße Volkspartei-Kugelschreiber und eine Informations-Broschüre von Reinhold Lopatka für die Europawahl. „Europa. Aber besser.“ ist der Slogan der Volkspartei für den Juni. Vervollständigt werden die Sackerl noch mit Brioche-Kipferln von der Felber-Bäckerei, die die Mitarbeiter:innen gemeinsam mit dem Spitzenkandidaten am nächsten Morgen ab 7.00 Uhr früh verteilen. „Danach geht es um neun für uns ins Büro“, erzählt Treml übermotiviert.

Geht man den „War Room“-Gang hinunter, kommt man ins ÖVP-Callcenter. Da werden gerade Parteimitglieder angerufen und über die kommende Wahl im Juni informiert. „Wir schätzen den direkten Austausch mit unseren Mitgliedern sehr“, so Treml. Er selbst hat bis vor Kurzem auch regelmäßig herumtelefoniert. 

Im ÖVP-Callcenter hängt auch Deko: Und zwar zwei Österreich-Fahnen und eine EU-Fahne. Hinter den Telefonierenden hängen zwei große Plakate – eines von Reinhold Lopatka und eines von dem Slogan: „Europa. Aber besser.“

Wahlkampfzonen

Das profil-Digitalteam besucht im Zuge des Superwahljahrs die Parteizentralen von ÖVP, SPÖ, Neos und KPÖ. FPÖ, die Grünen und die Bierpartei wollten an der Reportagen-Serie nicht teilnehmen. 

Zum Abschluss der Tour möchte Peter Treml noch das Erdgeschoss der ÖVP-Parteizentrale herzeigen. Es geht zurück ins Stiegenhaus. Darauf ist Treml besonders stolz, er nennt es ein „Highlight“ im Haus. Besonders auffällig: Rund um die Aufzüge ist eine türkise Folie am Fensterglas aufgeklebt, durch die türkises Licht durchscheint.

Unten angekommen geht es durch das Café in den Veranstaltungsraum. Hier werden die restlichen Sackerl für den nächsten Tag von zehn Mitarbeiter:innen vorbereitet. Es läuft Musik, das Lied „I’m Yours“ von Jason Mraz, zu dem alle Einpackenden freudig mitsingen. Beim Sackerl packen, tragen sie weiße Westen mit dem Logo der Volkspartei – sie tragen es freiwillig, versichert Treml. 

Songwechsel: Jennifer Lopez, „Let’s Get Loud“. Die Stimmung unter den Sackerl-Packer:innen wird mit dem Club-Hit aus den Neunzigern noch euphorischer. Zwei Stunden später packen die ÖVP-Mitarbeiter:innen immer noch freudig, denn da stattet Europaministerin Karoline Edtstadler ihnen einen Besuch ab – und postet das auch fleißig auf Instagram.

Steckbrief

  • Superkraft: Die Übermotivation der jungen Volkspartei-Mitarbeiter:innen
  • Gefahr: Wahldebakel, Verlust des EU-Kommissars und des Bundeskanzlers
  • Spitzenkandidaten: Karl Nehammer und Reinhold Lopatka
  • Veränderung zu 2019: Laut Umfragen minus 17,5 Prozent
  • Wahlkampfbudget: „Wahlkampfkostenobergrenze“
  • Musikempfehlung der Volkspartei-Youngsters: „Let’s get Loud“ von Jennifer Lopez
Natalia Anders

Natalia Anders

ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.