Reinhold Mitterlehner und Sebastian Kurz

Drucksachen: Uneinigkeit in der ÖVP

Auch die ÖVP ist nicht so geeint wie behauptet. Zwei Gruppen streiten um den richtigen Umgang mit der SPÖ.

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Flott waren sie, die Mitarbeiter im staatlichen Bundespressedienst. Kein halber Tag war seit Werner Faymanns Demission Montagnachmittag vergangen, da war auf der offiziellen Website des Bundeskanzleramts schon ein Bild des ÖVP-Chefs platziert. Und ein staatstragendes Zitat dazu: "Bevölkerung erwartet, dass die Regierung arbeitet." Etwas holprig liest sich allerdings Reinhold Mitterlehners neue Funktion: "Vizekanzler (mit der einstweiligen Führung der Geschäfte des Bundeskanzlers betraut)".

Dienstagvormittag leitete der neue Regierungschef erstmals die Sitzung des Ministerrats. Auf der Tagesordnung stand ein heikles Thema: die umstrittene Notverordnung, mit der die Regierung das Asylrecht stark einschränken kann. Innenminister Wolfgang Sobotka merkte an, dass von SPÖ-Seite noch einige Vorarbeiten ausständig seien, worauf SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder seinerseits die ÖVP kritisierte. Der neue Regierungschef griff moderierend ein, man werde über die strittigen Fragen das gemeinsame Gespräch suchen.

Reinhold Mitterlehners erste Tage als Aushilfskanzler verliefen unspektakulär. Er verzichtete darauf, in das Vizekanzler-Büro im Kanzleramt zu übersiedeln, sondern regierte die Republik Österreich von seinem Stammsitz im Wirtschaftsministerium am Wiener Stubenring aus. Den einzigen öffentlichen - und öffentlichkeitswirksamen -Termin des geschiedenen Bundeskanzlers hatte dieser vor seinem Rücktritt an Medienminister Josef Ostermayer delegiert: die Überreichung des Großes Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich an Ski-Star Anna Fenninger, verehelichte Veith.

Ohnehin war es weniger eine Woche des Regierungspolitikers als des Parteipolitikers Reinhold Mitterlehner. Für Dienstagnachmittag hatte der ÖVP-Chef seinen Parteivorstand in Salzburg zusammengetrommelt. Einziges Thema: Reaktionsmöglichkeiten auf den Wirbel beim Koalitionspartner SPÖ.

Uneinig über Umgang mit SPÖ

So ganz einig war man sich dabei nicht. Eine Gruppe in der ÖVP - darunter die Landeshauptleute Günther Platter (Tirol), Josef Pühringer (Oberösterreich) und Markus Wallner (Vorarlberg) - plädiert für Schonung der SPÖ; eine andere - darunter die jungen Wilden wie Außenminister Sebastian Kurz und vor allem der neue Wiener ÖVP-Obmann Gernot Blümel - fordert eine schärfere Gangart gegenüber dem Koalitionspartner.

Reinhold Mitterlehner zählt eher zu den SPÖ-Verstehern. Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll gab in der Sitzung den Vermittler. Danach präsentierte Mitterlehner eine Wunschliste mit drei Punkten für den nächsten SPÖ-Vorsitzenden: keine Entschärfung der neuen Asylregelungen, Einigung bei der Höhe der Mindestsicherung und ein Paket zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts. Neuwahlen, so Mitterlehner, seien kein Thema gewesen und von niemandem in der ÖVP gewünscht.

Ausschließen will sie in der Volkspartei aber auch niemand, schon gar nicht die schwarzen Hardliner - und sei es bloß, um eine Drohkulisse gegenüber der SPÖ aufzubauen.

Die drei Punkte - für die Hardliner sind es Bedingungen - sollen den neuen Kanzler dazu zwingen, Farbe zu bekennen und Regierungsbeschlüsse umzusetzen. Das Kalkül: Ein neuer Kanzler kann nur strahlen, solange er in der Koalition keine konkreten Entscheidungen fällen muss. Niemand dürfte das besser wissen als Mitterlehner, dessen Django-Effekt im Zuge seiner Vizekanzler-Tätigkeit verpuffte. Ideengeber für die Bedingungen dürfte Sebastian Kurz gewesen sein. Beim wöchentlichen Jour fix der Parteigranden am Montag soll der Außenminister gefordert haben, den Druck auf die SPÖ zu erhöhen.

Von Kurz ist bekannt, dass er lieber aus der Politik ausgeschieden wäre, als die Vizekanzler-Rolle neben Werner Faymann zu spielen. Auch jetzt wird parteiintern bezweifelt, dass Kurz neben einem (bei profil-Redaktionsschluss wahrscheinlichen) SPÖ-Kanzler Christian Kern die zweite Geige spielen würde. Hält die Koalition, wird vorerst Mitterlehner ÖVP-Obmann und Vizekanzler bleiben.

ÖVP-Erfolg bei Newahl unwahrscheinlich

Ein glaubwürdiger Grund zum Absprung wäre für die ÖVP wohl nur gegeben, würde der neue SPÖ-Chef tatsächlich einen liberaleren Flüchtlingskurs einschlagen. Dass die ÖVP in Neuwahlen mit ihrem Supermann Kurz erfolgreich wäre, ist allerdings nicht garantiert. Die FPÖ und ihr unumstrittener Chef Heinz-Christian Strache liegen in Umfragen beinahe uneinholbar voran. Die SPÖ darf mit ihrem neuen Spitzenkandidaten auf einen Wähler-Bonus hoffen. Und auch die NEOS würden trotz Kurz-Kandidatur die ÖVP Stimmen kosten.

Ein dritter Platz wäre bei einer Neuwahl also wesentlich wahrscheinlicher als ein erster.

Auch wenn er nicht ÖVP-Spitzenkandidat bei der nächsten Nationalratswahl werden wird, geht Mitterlehner dennoch in die Annalen der ÖVP ein: als jener Obmann, der nach seinen drei gescheiterten Vorgängern (Wilhelm Molterer, Josef Pröll, Michael Spindelegger) den SPÖ-Vorsitzenden und Kanzler Werner Faymann politisch überlebte.

In Faymanns Kanzlerschaft gab es in der ÖVP zwei Denkschulen: Die eine besagte, ein schwacher SPÖ-Kanzler wie Faymann helfe der ÖVP, weil jeder schwarze Vizekanzler daneben glänze. Die andere lautete, ein durchsetzungsschwacher Kanzler würde auch die ÖVP hinunterziehen. Und somit sei ein stärkerer SPÖ-Regierungschef auch im Sinne der ÖVP. Mitterlehner gilt als Anhänger der zweiten Schule. Auch im eigenen Interesse: Nur in einer wirklichen Reformpartnerschaft mit dem neuen SPÖ-Kanzler behält er noch länger seinen Job.

Um neben einer neuen roten Truppe zu punkten, könnte Mitterlehner versuchen, auch seine Regierungsmannschaft umzubilden. Ablösekandidaten sind - wie schon bisher -Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (um mit Elisabeth Köstinger einer Frau Platz zu schaffen) und Sophie Karmasin (mangels Mehrwert für die ÖVP). Spekuliert wird in der ÖVP überdies, Mitterlehner könnte seinem Star Kurz im Zuge einer größeren Rochade ein anderes Ressort, etwa das Finanzministerium, übertragen - wogegen sich der Außenminister wohl wehren würde. Aktiv soll sich Klubobmann Lopatka um ein Ministeramt bemühen.

Ob Mitterlehner noch genug Zeit als mit der einstweiligen Führung der Geschäfte des Bundeskanzlers betrauter Vizekanzler bleibt, um eine weitere Regierungssitzung zu leiten, ist fraglich. Der nächste Ministerrat tagt voraussichtlich Mittwochfrüh nach Pfingsten. Bis dahin könnte der neue SPÖ-Kanzler schon angelobt sein.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.