In Graz findet aktuell der größte Prozess gegen mutmaßliche Dschihadisten in Österreich statt.

Dschihadistenprozess: Geheimnisvoller Zeugenschwund

Christa Zöchling über den Grazer Dschihadisten-Prozess, bei dem mit dem Prediger Mirsad O. und einem seiner Jünger auch das radikal-islamistische Milieu vor Gericht steht.

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Wie zur Mahnung prangt an der Stirnseite des großen Schwurgerichtssaales im Grazer Landesgericht ein vier Meter hohes Staatswappen. Doch Richter, Staatsanwalt und sogar Verteidiger wirken etwas ratlos gegenüber einer Welt, die sich auf Höheres beruft. Von Anfang an herrscht eine geladene Atmosphäre. Zeugen der Anklage leiden an Gedächtnisschwund, sind nicht auffindbar, werden im Laufe der ersten Verhandlungswoche zwangsweise vorgeführt, nehmen ihre Aussagen, die sie vor der Polizei gemacht hatten, wieder zurück. Es gibt eine Zeugin, die sagt, sie werde bedroht, man hätte ihr per SMS bedeutet, es sei besser, nicht auszusagen. Das erinnert an einen Mafia-Prozess.

Die Anklage versucht zu beweisen, dass der Prediger Mirsad O. seine Anhänger dazu anstiftete, nach Syrien in den Kampf zu gehen. Einer seiner Jünger, der Tschetschene Mucharbek T., soll dort schwere Kriegsverbrechen begangen haben. Der Staatsanwalt hatte dazu am ersten Tag ein umfangreiches Kompendium aus Indizien und Beweisen vor den Geschworenen ausgebreitet: Zeugenaussagen, abgehörte Gespräche aus dem verwanzten Auto des Predigers, ein Netzwerk, das bis nach Bosnien und Deutschland reicht, und ein Experten-Gutachten, wonach Mirsad O. ein salafistisch-dschihadistischer Ideologe sei, der in seinen Vorträgen Terroranschläge mit Verweis auf Koran und Sunna gerechtfertigt und seine Sympathie für Terror-Organisationen nicht verhehlt habe.

"Ihr müsst euch vorbereiten auf den Kampf (...) damit ihr eure Feinde terrorisieren könnt's, ängstigen und abschrecken."

Der Staatsanwalt präsentierte einen Kronzeugen, einen Österreicher tschetschenischer Herkunft, der angab, zur selben Zeit am selben Ort gewesen zu sein wie Mucharbek T. und die Gräueltaten jener IS-Gruppe, in der Mucharbek T. Dienst tat, als Funkspäher der Freien Syrischen Armee aufgefangen und teilweise selbst beobachtet zu haben. Der Zeuge befindet sich im Zeugenschutzprogramm der Republik und sagte vor Gericht, er rechne dennoch damit, getötet zu werden. Ein Foto von ihm, das ihn im Kampfanzug in Syrien zeigt, wird innerhalb der tschetschenischen Community schon über WhatsApp verbreitet.

Man hätte erwarten können, dass angesichts der Schwere der Vorwürfe, die eine Woche lang auf die beiden Angeklagten niederprasselten, einmal einer die Nerven verlieren würde. Das war nicht so. Eher verloren Richter, Staatsanwalt und Verteidiger die Contenance.

Mirsad O., der Prediger, ein durchtrainierter Kerl mit Bühnenpräsenz, parierte seinen mittlerweile berühmten Vortrag über das "richtige" Schlachten von Menschen und Tieren damit, dass er nur aus der Überlieferung des Propheten zitiert habe.

Mehrmals wurde auch ein Vortrag durchgekaut, in dem er nach eigenen Angaben nur eine Sure des Korans erläuterte: "Ihr müsst euch vorbereiten auf den Kampf (...) damit ihr eure Feinde terrorisieren könnt's, ängstigen und abschrecken (...) müsst einen Schießkurs besuchen, Kampfsport (...) nicht im Hawaiihemd wie in den Urlaub."

Gewehre und Klingen, die Scharia bringen.

Die Antworten von Mirsad O. in Bezug auf seine Predigten waren immer dieselben. Er habe gesagt, was er in Saudi-Arabien gelernt habe. Die Sätze, die man ihm vorhalte, seien aus dem Kontext gerissen. Es gab manch skurrilen Schlagabtausch. Der Richter: "Sie predigen: ,Die Vorschrift für den, der Allah beleidigt, ist Mord. Egal an welchem Ort zu welcher Zeit.'" Mirsad O.:"Ich sage nur, was die Gelehrten sagten. Ich habe diese Bücher nicht geschrieben. Ich war damals nicht dabei."

Auch die in seinem Auto abgehörten Gesprächsprotokolle brachten Mirsad O. kaum aus der Fassung. Etwa ein "Dschihad"-Lied, das er mit Frau und Kindern sang: "Gewehre und Klingen, die Scharia bringen". Oder mitten im Baby-Gebrabbel eine CD: "Schneide den Kafir den Kopf ab, gibt dem Schwert, was es verdient." Das sei nur ein Lied, nicht verboten, ein Ohrwurm, meinte Mirsad O.

Mit "Brüdern" sprach er über Glock-Pistolen und Uzis, Schießen auf der Donauinsel, Schießen in bosnischen Wäldern. Mirsad O. sagte: "Sie wissen, dass ich lüge, wenn ich sage, ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun."

Auf die Frage des Richters, was es bedeutet, dass er sagte, einige seiner "Buben" hätten es geschafft, andere nicht, die seien zurückgekommen? - Mirsad O. sieht dem Richter ins Gesicht und sagt, er könne sich nicht erinnern. Im Auto rede man viel. "Wie Kneipengespräche." Nur ein Spaß sei das Gerede von den "Sklavinnen" gewesen.

Ein Vater muss im Zeugenstand weinen. Sein Sohn war immer radikaler geworden, als er ins Umfeld von Mirsad O. geriet.

Die wirklichen Dramen spielen sich bei den Angehörigen ab. Ein Vater muss zusehen, wie sein Sohn wegen des Verdachts der falschen Beweissausage in Handschellen abgeführt wird, direkt aus dem Zeugenstand. Der Junge will Mirsad O. nicht belasten. Der Vater sagt resigniert: Dieser Mirsad O. macht alle verrückt. Alle haben Angst.

Ein anderer Vater krümmt sich im Zeugenstand wie im Schmerz. Der Mann war mit seinem Freund nach Syrien aufgebrochen, um seine Tochter aus den Fängen der IS-Terror-Milizen zu retten und war in einer Villa von IS-Leuten auf Mucharbek T. gestoßen. Er hatte bei der Polizei genaue Angaben dazu gemacht. Jetzt fällt ihm nicht einmal der Name des Freundes ein. Jedes Wort ziehen sie ihm aus der Nase. Eine Mutter erzählt mit zittriger Stimme, dass sie vor der Altun-Alem-Moschee stundenlang gewartet hatte, bis das Licht eingeschaltet wurde und dann von einem Jungen, der die Stufen kehrte, erfahren hatte, ihr Sohn sei in Syrien gefallen. Ein Vater muss im Zeugenstand weinen. Sein Sohn war immer radikaler geworden, als er ins Umfeld von Mirsad O. geriet. Auch sein Sohn ging nach Syrien. Er weiß nicht, ob sein Sohn noch lebt. Er dreht sich tränenüberströmt zu Mirsad O.

Es gibt Zeugen, die Mirsad O. beim Hinausgehen zuzwinkern.

Auch im Publikum sitzen verzweifelte Eltern und große Brüder, die Fäuste gegen Mirsad O. ballen und von Blutrache murmeln.

Er habe in Syrien nur helfen wollen. Er sei bei den IS-Leuten gewesen, doch habe er nicht gekämpft.

Die Familie T. konnte kaum hinhören, als der Kronzeuge recht detailgenau jene IS-Massaker schilderte, an denen die Einheit ihres Sohnes beteiligt gewesen sein soll. Ob Mucharbek persönlich etwas getan habe, das wisse er nicht.

Mucharbek T. war im Juni 2014 aus Syrien nach Österreich zurückgekommen und sofort wieder in den Kreis um Mirsad O. geraten. Er wusste nicht, dass dessen Auto verwanzt war, dass seine Bemerkungen - "heiß auf 's Schlachten" - aufgenommen wurden. Vor Gericht sagte er, der Kronzeuge lüge. Er habe in Syrien nur helfen wollen. Er sei bei den IS-Leuten gewesen, doch habe er nicht gekämpft. Einer seiner Freunde aus dem Publikum erzählt, Mucharbek T. habe in der Schulzeit den Spitznamen "Koalabär" gehabt, weil er immer so weich und nachgiebig gewesen sei.

Seine Mutter sagt, er war ein bedürftiger Junge, und sein Bruder sagt, er sei wahnsinnig stolz gewesen, als ihm bei der Feier seines Lehrabschlusses als Tischler von Wiens Bürgermeister Michael Häupl gratuliert wurde. Ein Foto zeuge von der glücklichen Zeit. Es sei traurig, dass er in diese Kreise geraten sei. Wie ein Spion sei er, der große Bruder, hinter dem kleinen Bruder hergegangen, zur Moschee, in der Mirsad O. predigte, zum Schwimmen, zu dem Mirsad O. mit seiner Gruppe ging. Er konnte es nicht verhindern. Er hofft: "Vielleicht wird Mucharbek T. mit einem anderen verwechselt?"

Christa   Zöchling

Christa Zöchling