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Ein Mann behauptet, er sei eine Frau: Kriegt er den Quotenjob?

Ein schwäbischer Grünen-Funktionär hat die eigene Partei mit einer originellen Aktion vorgeführt. Schade, dass in Österreich noch keiner auf so eine Idee kam.

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Im aktuellen profil feiern wir die 2500. Ausgabe unseres Magazins. Über fast alles haben wir in mehr als 50 Jahren geschrieben. Die Vorgänge im Kreisverband der Grünen im schwäbischen Reutlingen waren meines Wissens nach noch nie Thema. Höchste Zeit, das wenigstens in der Morgenpost zu ändern: Im August kandidierte dort, also in Reutlingen, eine Person namens David Allison für einen Platz im Vorstand. Das reicht nicht für eine Würdigung, meinen Sie? Immer mit der Ruhe, es kommt noch mehr. David Allison sieht aus wie ein Mann, hört sich an wie ein Mann, kleidet sich wie ein Mann. Aber: Er kandidierte als Frau auf einem Frauenquotenplatz.

Bei den Grünen geht das; die Geschlechter gelten nur als soziales Konstrukt. „Ich definiere mich heute als Frau und berufe mich auf das grüne Grundsatzprogramm und das Frauenstatut“, erklärte Allison bei der Mitgliederversammlung des Kreisverbandes. In seiner Bewerbungsrede erwähnte er auch noch, dass er in einer „glücklichen lesbischen Beziehung mit meiner Cis-Gender-Frau“ (für Nicht-Insider: das heißt, dass die Gattin mit ihrem biologischen Geschlecht einverstanden ist) lebe und zwei Kinder habe.

Die Parteifreunde seien etwas erstaunt gewesen, doch Einwände habe es nicht gegeben. „Verstörend, dass keines der 30 bis 40 anwesenden Mitglieder der Grünen meiner Kandidatur widersprochen hat“, schreibt Allison in einem Gastbeitrag für die feministische Zeitschrift „Emma“. Niemand habe sich die simple Wahrheit auszusprechen getraut, dass er doch offensichtlich ein Mann sei. „Mir dämmert: Meine Partei meint es ernst mit der Abschaffung des auf dem Körper beruhenden Geschlechtsbegriffs im Recht.“

Allison wurde zwar nicht in den Vorstand gewählt, aber er bekam immerhin drei Stimmen. Und eine junge Parteikollegin habe ihm für seinen Mut gedankt, schreibt der Provokateur.

Biologische Tatbestände nicht eingefordert

Falls es wen juckt, die Spaß-Aktion zu kopieren: Grundsätzlich möglich wäre das auch in Österreich. „Frauen* sind keine homogene Gruppe“, heißt es auf der Homepage der österreichischen Grünen. Und weiter: „Der Genderstern steht für alle, die sich selbst als Frauen sehen.“ Biologische Tatbestände werden nicht eingefordert, die bloße Behauptung scheint zu genügen.

Eigentlich erstaunlich, dass vor dem munteren Schwaben noch keiner auf die Idee kam, so ein absurdes Prinzip in der Praxis zu testen. Fundamentalismus dieser Spielart bekämpft man am besten mit grimmigem Humor, finde ich.

Themenwechsel, oder auch nicht: Die Wiener SPÖ ist bekanntlich sehr stolz darauf, den österreichweit strengsten Corona-Kurs zu fahren. Bürgermeister Michael Ludwig betont bei jeder Gelegenheit, wie vorbildlich die Regeln in seiner Stadt seien. Ganz Österreich möge sich bitte etwas abschauen. Leider passen die Zahlen nicht ganz zu Ludwigs Selbstbewusstsein. Wien hat die höchste Inzidenz, die meisten Intensivpatienten und die schlechtesten Prognosen. Ich habe recherchiert, woran das liegt. Etwas grimmigen Humor kann man jedenfalls auch brauchen, wenn man derzeit in Wien leben muss.

Halten Sie durch!

Rosemarie Schwaiger

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Rosemarie Schwaiger