"Hü! Ho!"

EU-Wahl: Die Pensionisten - schwierig, aber wichtig

Europa. Die Pensionisten - schwierig, aber wichtig

Drucken

Schriftgröße

Auf der Bühne fließt der Schweiß. Im Publikum gehen die Arme hoch. 300 Pensionisten aus dem Mühlviertel sind am helllichten Nachmittag mit Bussen und Autos in die kleine Gemeinde Wartberg ob der Aist gereist, haben um drei Uhr den Saal des hiesigen Kulturzentrums gefüllt, und nun singen sie auf das "I sag hü!“ der vier Musikanten in Lederhosen und Bergschuhen schon recht ungestüm zurück: "I sag ho!“

Noch sind zu Europa erst wenige Worte gefallen. "Ruck ma zamm!“ -"Stoß ma an!“ Ein älterer Herr macht ein Erinnerungsfoto mit dem Smartphone. In der dritten Reihe fällt ein Gehstock zu Boden. Ganz vorne sitzt Josef Weidenholzer, der Kandidat der SPÖ-Pensionisten für die kommende EU-Wahl.

"Um einen Denkzettel geht es nicht"
Später wird er das Mikrofon nehmen und dem Publikum sagen, dass die EU für die längste friedliche Epoche in der Geschichte des Kontinents gesorgt hat, und ihm ins Gewissen reden, am 25. Mai wählen zu gehen: "Um einen Denkzettel geht es nicht. Gerade dann, wenn ihr unzufrieden seid, ist es wichtig, die richtigen Leute zu wählen, damit sich in Europa etwas ändert.“

Weidenholzer sitzt im Innenausschuss, setzt sich für menschlichere Flüchtlingspolitik und besseren Datenschutz ein. Doch dafür gibt es in Wartberg ob der Aist enden wollenden Applaus. Botschaften wie "Hände weg von unserem Wasser“ oder "Mit unserem Geld darf nicht spekuliert werden“ versteht man eher. Der "soziale Herr Professor“, wie Karl Blecha, Präsident des roten Pensionistenverbands Weidenholzer nennt, kämpft auf dem fünften Listenplatz um den Einzug ins EU-Parlament.

34.000 Vorzugsstimmen wären dabei sehr hilfreich. Der Obmann des oberösterreichischen Pensionistenverbands springt ihm als Wahlhelfer zur Seite: "Einfach SPÖ hinschreiben und daneben einen Fünfer. Den kennen wir ja aus der Schule!“

Die über 60-Jährigen sind für SPÖ und ÖVP die verlässlichsten Wähler. Laut Sora-Institut wählten 33 Prozent von ihnen bei der Nationalratswahl 2013 rot, 30 Prozent schwarz. Mehr als die Hälfte in dieser Altersklasse fühlt sich an eine Partei gebunden. Bei den unter 30-Jährigen trifft das nur noch auf ein Viertel zu.

Eine einfache Klientel sind sie nicht. Wenn es um Brüssel geht, drehen sich die Pensionisten als Erste weg, wie Eurobarometer-Erhebungen zur Stimmungslage in der EU regelmäßig zeigen. Bei der jüngsten Österreich-Umfrage im November des Vorjahres fanden nur 17 Prozent der älteren Befragten, die EU gebe ein gutes Bild ab. In der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen waren es 37 Prozent.

Wie sehr die Frage die Generationen scheidet, zeigte sich einmal mehr, als Fritz Plasser und Peter A. Sommer die empirischen Befunde zur Nationalratswahl 2013 sezierten: Während bei den 30-Jährigen das Gros die EU-Mitgliedschaft positiv bewertet und nur 28 Prozent eher Nachteile erkennen, hält bei den über 60-Jährigen jeder Zweite wenig von der EU (55 Prozent). Das gilt auch für den Euro. Rettungspakete für notleidende Staaten werden gar von drei Vierteln der Pensionisten schroff abgelehnt.

"Europa Senioren-Stammtisch"
Vergangenen Mittwoch lud der burgenländische ÖVP-Seniorenbund in die Wirtschaftskammer in Eisenstadt zum "Europa Senioren-Stammtisch“ mit EU-Parlamentarier Heinz K. Becker. Auf jedem Sessel liegt ein kleines Packerl Manner-Schnitten. Das Pickerl darauf erinnert daran, am 25. Mai Becker zu wählen. Wie sein rotes Pendant Weidenholzer tritt er auf dem unsicheren fünften Listenplatz an. 40.000 Vorzugsstimmen würden ihn nach vorn hieven. 13.000 hat er bei der vorigen Wahl bekommen: "Kriegen wir das zusammen?“, wird Seniorenbund-Präsident Andreas Khol gegen Ende der Veranstaltung das Publikum fragen. "Ja“, wird es pflichtschuldig zurückschallen, bevor die fein angezogenen Damen und Herren zum Würstel-Buffet strömen.

Becker, ihr Mann in Brüssel, macht es ihnen nicht leicht. Eine Stunde lang wirft er Grafiken, Tabellen und Stichworte an die Wand. Es ist anspruchsvolle Kost: das Friedenswerk Europa, der Fall des Eisernen Vorhangs, die Balkan-Krise der 1990er-Jahre, die aktuelle Lage in der Ukraine, die langfristige Bevölkerungsentwicklung und die globalen wirtschaftliche Aussichten, die Konkurrenz aus Asien, der Aufschwung in Afrika, Klima- und Umweltschutz, internationale Kriminalität, der Euro, Österreichs Abhängigkeit von Exporten - und schließlich Beckers eigenes Wirken in Brüssel.

Erst bei der Senioren- und Sozialpolitik rückt er näher zum Volk. Da brauche es nicht mehr Europa, sondern mehr Österreich, "weil wir das bessere System haben, und das soll so bleiben, wie es ist“. Mit milde-kämpferischem Tonfall gelobt er, für eine "sichere Zukunft für Jung und Alt“ zu kämpfen: "Die Generation der Großeltern muss schauen, dass nichts passiert, was den Enkeln und Enkelinnen schadet.“ Am Wahlsonntag möge man seinen Namen auf den Zettel schreiben - "oder einen Fünfer, meine Lieblingsnote in der Schule“.

"Die da oben in Brüssel“
Es ist halb zwölf, als Landeshauptmann-Vize Franz Steindl das Mikrophon bekommt, um über Europa zu reden, "nur kurz, den Hungrigen ist ja bekanntlich nicht gut zu predigen“. Es schimpften die Bezirksfunktionäre auf die Landespolitiker, die wiederum auf den Bund und alle zusammen auf "die da oben in Brüssel“. Dabei hätten offene Grenzen und EU-Beitritt das Burgenland nach oben gebracht. Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs habe es 78.000 Beschäftigte und 8000 Betriebe gegeben, heute seien es über 100.000 Beschäftigte und doppelt so viele Betriebe. Seit 1995 sei eine Milliarde Euro ins Land geflossen: "Jawohl, wir haben profitiert!“

Am Ende geht es in der Politik um Interessen und die Fähigkeit, sie durchzusetzen. Das weiß kaum jemand besser als Andreas Khol. Der Seniorenbund-Präsident bespielt die Bühne im dunklen Anzug. Mit wohlwollendem Raunen wird registriert, dass er die rot-goldene Burgenland-Krawatte umgebunden hat. Nach Krim-Krise, Warnungen vor dem immer noch ungezähmten Bären Russland, nach Hypo-Milliarden und der aktuellen Lage der Partei kommt er auf sich selbst und sein rotes Pendant Blecha zu sprechen: "Wenn wir nein sagen, ist das meistens nein, weil wir das Ansehen haben und hinter uns 40 Prozent der Wähler stehen.“ Bei der kommenden Europawahl gelte es zu beweisen, "dass wir wirklich so viele sind“.

Ein Pensionist mit Tiroler Zungenschlag will "vom Tiroler“ Khol wissen, warum man Pensionserhöhungen unter der Inflationsrate zugestimmt habe. Doch die Zeit für Debatten ist schnell um, und die Pensionisten müssen ihren Missmut zu den Stehtischen im Foyer mitnehmen. Da geht es dann um die EU-Gelder für Griechenland, und ein Brüssel, das sich um Energiesparlampen und Olivenöl-Kännchen kümmert statt um die "wahren Probleme“ der Leute. "Wählen gehe ich trotzdem, immer!“, sagt ein korpulenter Herr mit randloser Brille und Trachtenjanker.

"Für ein besseres Europa“
Das ist typisch für die Generation 60 plus, belegen Untersuchungen zur Wahlbeteiligung. Doch es könnte sich ändern. Wer Karl Blecha in seinem Büro im Haus des Pensionistenverbands in Wien-Währing besucht, kommt auf dem Weg dorthin an Glaskojen vorbei, auf denen blaue Zettel kleben: "Für ein besseres Europa“ steht darauf. "Es gibt so viel Kritik, dass zu befürchten ist, dass viele am Wahlsonntag zu Hause bleiben“, sagt Blecha. 72 Edlseer-Auftritte hat er bis zum 25. Mai gebucht. Die volkstümlichen Stimmungskanonen sollen den Rahmen schaffen, um den Pensionisten klarzumachen, "dass die derzeitige konservativ-neoliberale Ausrichtung der EU die Krise verstärkt hat und sie viel zu verlieren haben, wenn sich nichts ändert“.

1995 habe die Generation, die noch den Krieg miterlebt hat, für Europa gestimmt, weil sie sich davon Frieden versprach. "Das war das Motiv Nummer eins, und diesen Frieden sehen sie gefährdet, weil zu wenig für den sozialen Zusammenhalt getan wird“, sagt Blecha. Tenor der EU-Klage: Wir zahlen für Griechenland, damit die Banken dort kein Geld verlieren, und bekommen bei der Pension nicht einmal die Teuerung abgegolten.

„Zugabe! Zugabe!”
Vergangenen Dienstag in Wartberg ob der Aist: Joe Weidenholzer hat zwischen den Edlseer-Gstanzeln von Europa erzählt. Danach spielen die Musikanten auf der Bühne "I bin a Steirer Bua“. Die Pensionisten aus Oberösterreich klatschen trotzdem mit: "Zugabe!“ "Zugabe!“ Um 17 Uhr leert sich der Saal so schnell, wie er sich gefüllt hat. Weidenholzer hat noch ein bisschen Zeit, mit den Leuten im Foyer zu reden. Dann muss weiter: "Es sind noch 45 Tage bis zur Wahl.“

Foto: Kurt Goethans

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges