Notenterror

Eurokrise. EU will die Macht der Ratingagenturen beschränken

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Für SPÖ-Finanzstaatssekretär Andreas Schieder sind sie "Schiedsrichter und Spieler zugleich, was unvereinbar ist“. Der frühere deutsche Wirtschaftsminister und jetzige FDP-Fraktionschef im Deutschen Bundestag, Rainer Brüderle, beklagt deren "selbstbewusstes Heben und Senken des Daumens“, was ganze Staaten in den Abgrund ziehen könne. Und auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel will das Oligopol der drei US-Branchengrößen durch Gründung eines europäischen Pendants brechen.

Die marktführenden US-Ratingagenturen Standard & Poor’s (S&P), Moody’s und Fitch, die mit der Bewertung von Unternehmen, Wertpapieren und auch ganzen Staaten weltweit tätig sind, geraten nun selbst immer stärker ins Visier von Kritikern. Europäische Politiker haben ihnen bereits während der Finanzkrise 2008/09 viel zu späte Reaktion auf die Immobilienblase und Fehlbewertungen von Wertpapieren vorgeworfen.

In der Eurokrise sorgen nun ihre laufend schlechteren Noten für schuldengeplagte Staaten für Ärger. Dass die Agenturen einzelne Euroländer auch dann noch weiter herabstuften, nachdem diese milliardenschwere Finanzhilfen erhalten hatten, erzürnt selbst konservative EU-Politiker wie Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker.

Erst vergangene Woche haben die drei führenden Ratingagenturen den EU-Politikern neuerlich ihre Muskeln gezeigt. Da beschlossen die EU-Finanzminister in Luxemburg die Beteiligung privater Gläubiger am nächsten Milliarden-Hilfspaket für Griechenland, was auf einen Vorschlag von Deutschland und Frankreich zurückgeht. Das erklärte Ziel: ein von den Kreditgebern geduldeter Zahlungsaufschub für Griechenland.

Doch der Einspruch der Schuldenrichter ließ nicht lange auf sich warten. Eine solche Maßnahme würde wegen der negativen Auswirkungen auf Investoren umgehend als Zahlungsausfall und somit als Pleite Griechenlands bewertet werden, erklärten Manager der drei Agenturen fast zeitgleich. Griechenlands Anleihen waren zuvor von allen drei Agenturen auf Ramschstatus herabgestuft worden.

Beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel wurde am Freitag ein neues Hilfspaket für Griechenland gegen strenge Sparauflagen beschlossen. Unter den EU-Granden werden aber auch die Rufe nach strengeren Regelungen für die allmächtigen Notengeber lauter.

In Europa tätige Ratingagenturen unterliegen zwar seit dem Vorjahr den Auflagen der neu geschaffenen EU-Wertpapier-Aufsichtsbehörde ESMA, aber wichtige Fragen wie die Haftung für fehlerhafte Bewertungen sind ungelöst. Auch die Forderung nach einer eigenständigen europäischen Agentur wurde bisher nicht erfüllt. Hauptproblem: Eine private europäische Agentur müsste sich erst mühsam das Vertrauen der Investoren erkämpfen. Das geht sicher nicht mit nachsichtigen Bewertungen. "Das wäre ein wenig so, wie wenn man ein europäisches Cola einführen wollte und alle EU-Bürger zum Trinken dieses Getränks verpflichten wollte“, spottet der Sprecher des Finanzministeriums, Harald Waiglein. Die Richter-Rolle der Agenturen stuft aber auch er als problematisch ein.

Die EU verschärft nun die Gangart gegen die US-Firmen. Am vergangenen Freitag drohte ESMA-Chef Steven Maijoor den Agenturen erstmals mit Lizenzentzug, sollten sie sich nicht an europäische Regelungen halten. "Wir sollten nicht blindlings das regulatorische System von Drittländern übernehmen“, meinte Maijoor, dessen Behörde ab 7. Juli die Lizenzen für die Prüffirmen vergeben wird.

Der Einfluss der drei marktführenden US-Agenturen auf die Finanzmärkte ist enorm. Nicht nur Investoren verlassen sich auf ihre Bewertung von Unternehmen und Wertpapieren. Auch Regierungen bestellen Gutachten, um ihre Staatsanleihen am Markt besser anzubringen. Österreich, das schon seit 1975 regelmäßig geprüft wird, erhält seit Jahren die beste Note, gemeinhin "Triple A“ genannt (je nach Anbieter wird die Bonität über Buchstaben und bisweilen Ziffern ausgedrückt).

Dass Staaten von den Agenturen genau wie Unternehmen bewertet werden, ist für den SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter "nicht länger tragbar“. "Agenturen verdienen im Zusammenspiel mit Investoren an schlechten Ratings.“ "Es ist ein Grundfehler, private Firmen mit der Benotung von Staaten zu betrauen, weil ein Staat eben keine Firma ist“, kritisiert auch Wirtschaftsforscher Stefan Schulmeister. Und er erkennt im Vorgehen der Agenturen Methode: "Elf Jahre lang lagen die Anleihenzinsen im Euroraum auf annähernd gleichem Niveau. Doch ab November 2009 stiegen die Zinsraten plötzlich rasant an, im Falle Griechenlands auf wahnwitzige 18 Prozent. Daran waren bei allen Fehlern in Griechenland auch die negativen Bewertungen der Ratingagenturen beteiligt. Man glaubt ihnen blind wie einem Orakel.“

"Ratingagenturen müssen viel strenger kontrolliert werden“
, fordert die EU-Abgeordnete Evelyn Regner (SPÖ), die im Wirtschaftsausschuss des Europaparlaments dazu kürzlich einen kritischen Bericht vorlegte. Auch ÖVP-Delegationschef Othmar Karas konstatiert: "Die Krise hat klar und deutlich gezeigt, dass wir in Europa von den drei großen US-Agenturen abhängig sind.“ Karas nennt als Hauptprobleme den mangelnden Wettbewerb der Agenturen, die fehlende Haftung und Überprüfung von Bewertungen und ihre oft unklare Finanzierung.

SPÖ-Staatssekretär Andreas Schieder hegt überhaupt den Verdacht, dass Ratingagenturen oft im Auftrag von Investmentfirmen handeln. "Da muss eine klare Trennung in Form einer Feuermauer zwischen Ratingagenturen und dem ganzen Investmentbereich vollzogen werden.“

Tatsächlich setzte die Herabstufung von Euroländern wie Griechenland, Irland oder Portugal eine Abwärtsspirale in Gang. Sobald eine höhere Pleitegefahr eines Landes geortet wird, steigen Risikoaufschläge für Staatsanleihen und auch die Prämien für Kreditausfallversicherungen, die berüchtigten "Credit Default Swaps“ (CDS). Das pleitebedrohte Land kann nur noch gegen hohe Zinsen frisches Geld ausborgen und gerät nur noch stärker in die Krise. Die Agenturen erkennen darauf ein erhöhtes Risiko für Investoren und beurteilen die Kreditwürdigkeit des Landes noch schlechter.

Ein Teufelskreis.

Bei den Ratingagenturen beteuert man die "völlige Unabhängigkeit“ bei der Bewertung der Risiken eines Landes oder Unternehmens. Die Pressestelle von Standard & Poor’s verweist auf Anfrage von profil darauf, dass im Falle Griechenlands eine Herabstufung bereits ab dem Jahr 2004 erfolgt sei. Nur hätten damals Politiker und Märkte darauf nicht reagiert. "Völliger Unsinn“ sei der Vorwurf, Ratingagenturen würden mit Investmentbanken kooperieren, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme von S&P. "Ratings sind unsere unabhängige Meinung und weder von Banken noch Regierungen beeinflussbar.“ Zudem würden sich Preise für Wertpapiere keinesfalls nur an Ratings orientieren.

Die Berichte würden in Zusammenarbeit mit den Behörden der Länder erstellt. Die Benotung erfolge transparent und nachvollziehbar nach klaren Kriterien. Auch der Deutschland-Chef von Fitch, Jens-Schmidt Bürgel, bestreitet, "Brandbeschleuniger der Schuldenkrise“ zu sein. Seine Agentur könne sich aber auch nicht "aus Staatsräson vor einem notwendigen Urteil verschließen“.

Dennoch hat sich der Eindruck erhärtet, dass die Agenturen europäische Schuldner weit schärfer anpacken als etwa die USA. Während Ländern wie Italien und Frankreich bereits mit Herabstufung gedroht wurde, wurden die bis über die Kante verschuldeten USA traditionell eher milde kritisiert. Erst vor Kurzem, als die US-Notenbank im Lichte einer Rekordverschuldung eigene Papiere aufzukaufen begann, drohten Moody’s und Fitch mit einer Herabstufung des Triple A auf "negative Aussicht“.

Die Aufsichtsbehörde der New York Stock Exchange hat den Agenturen im Zusammenhang mit fehlerhaften Bewertungen von Wertpapieren mit Klage gedroht. Auch in der EU droht Ungemach. Standard & Poor’s besitzt für die Vergabe der amerikanischen ISIN-Kennnummern für Wertpapiere das Monopol in Europa. Die EU-Kommission hat wegen des Verdachts auf überhöhte und unzulässige Tarifgestaltung ein Verfahren eingeleitet.