Ex-Abgeordnete Griss: „Ein persönliches Opfer“

Ex-Abgeordnete Griss: „Ein persönliches Opfer“

Irmgard Griss, die frühere Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und Ex-Abgeordnete, über Bußgelder für Parlamentarier, schärfere Transparenzbestimmungen und Grenzen von Compliance-Regeln.

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profil: Vor Ihrem Ausscheiden aus dem Nationalrat waren Sie Teil einer Arbeitsgruppe, die einen Verhaltenskodex für Parlamentarier erarbeiten sollte. Aber gebietet es nicht der gesunde Menschenverstand, dass man als Politiker seinem Ehepartner keine Jobs verschafft? Griss: Vieles, was einem selbstverständlich erscheint, ist offenbar für manche nicht selbstverständlich. Deshalb ist es gut und richtig, wenn wir es festschreiben. Für mich liegt es auf der Hand, dass ich als Politikerin Angehörige nicht beschäftigen kann. Aber offenbar sehen das nicht alle so – wenn ich mir etwa anschaue, wie oft EU-Abgeordnete Familienangehörige als Mitarbeiter beschäftigt haben. Das geht nicht, auch dann nicht, wenn sie doppelt so viel arbeiten wie alle anderen. profil: Die Frau von Innenminister Karl Nehammer ist Sprecherin im Kabinett der Verteidigungsministerin. Sie untersteht also nicht direkt ihrem Mann. Ist das eine saubere Lösung?

Mich stört diese Haltung ungemein: „Wenn strafrechtlich nichts rauskommt, dann ist es in Ordnung.“

Griss: Für die allgemeine politische Hygiene wäre es besser gewesen, wenn sie den Job nicht angenommen hätte. Ist der Mann ein Minister, schaut es nicht gut aus, wenn die Frau in einem Schwesterministerium eine wichtige Position ausübt. Mitgehangen, mitgefangen. Verbieten kann man es natürlich nicht. Das muss jeder Einzelne für sich entscheiden. profil: Frau Nehammer hatte schon davor einen Sprecherinnenjob in der Regierung. Griss: Ich gebe zu, dass es ein persönliches Opfer ist. Aber wer, so wie Frau Nehammer, offenbar hoch qualifiziert ist, findet sicher auch eine vergleichbare Position in einem Unternehmen. Es wäre gut, wenn es hier eine hohe Sensibilität gäbe, damit nicht der Eindruck entsteht, dass es ein paar Eliten gibt, die es sich untereinander ausmachen.

profil: Derzeit gilt oft die Meinung, dass erst das Strafgesetzbuch die Grenze sei. Wie soll sich das ändern? Griss: Mich stört diese Haltung ungemein: „Wenn strafrechtlich nichts rauskommt, dann ist es in Ordnung.“ Politiker haben eine hervorgehobene Stellung in der Gesellschaft, sie sind in vielerlei Hinsicht privilegiert. Das müssen Menschen sein, die an ihr Verhalten einen anderen Maßstab anlegen als ein Durchschnittsbürger. An das Korruptionsstrafrecht muss sich jeder halten, das ist das Minimum. Compliance-Regeln definieren das gesellschaftliche Optimum – und das sollten wir von Politikern verlangen. Damit wird all das geregelt, bei dem ein werteverbundener Mensch sagt: Das tut man nicht.

Wir brauchen einen Verhaltenskodex wie im Deutschen Bundestag.

profil: Wie stellen Sie sich solche Compliance-Regeln vor? Griss: Wir brauchen einen Verhaltenskodex wie im Deutschen Bundestag oder im House of Commons in Großbritannien. Wir haben im Vorjahr im österreichischen Parlament an einem Entwurf gearbeitet, der in der Ichform formuliert ist. Vieles davon klingt selbstverständlich, etwa: „Ich respektiere das Parlament durch meine Anwesenheit und Aufmerksamkeit.“ Mir erscheint ein solcher Verhaltenskodex deshalb so wichtig, weil er zu einem Nachdenkprozess führt. Wozu bin ich als Abgeordnete überhaupt da? Damit ich durchwinke, was meine Partei von mir will? Oder habe ich doch eine andere Aufgabe, und ist es mein gebildetes Gewissen, an dem ich mein Verhalten messen muss?

profil: Der Staatenbund gegen Korruption (Greco) schlägt aber nicht nur Elmayer’sche Benimmregeln vor, sondern etwa auch verschärfte Offenlegungspflichten für Gehälter und Vermögenswerte von Parlamentariern. Griss: Ich glaube, dass es bei diesen Offenlegungspflichten Verschärfungen braucht. Derzeit ist die höchste Einkommenskategorie bei Nebenjobs mit „über 10.000 Euro“ definiert. Aber es macht einen Riesenunterschied, ob ich 11.500 oder 30.000 Euro verdiene. Das sollte genauer offengelegt werden. profil: Wenn Abgeordnete keine ehrlichen Angaben zu Nebenjobs und Lobbytätigkeiten machen, droht keinerlei Sanktion. Auch das kritisiert Greco. Griss: Zu Recht. Wenn man sich im Parlament danebenbenimmt, ist der Ordnungsruf allein keine Sanktion. In der Vergangenheit gab es Abgeordnete, die sagten, sie tragen einen Ordnungsruf wie einen Orden. Das ist ein Mangel an Respekt. Dafür könnte es auch ein Bußgeld geben. Man kann diesen ganzen Apparat an Vorschriften durchaus wirksamer gestalten.

profil: Selbst die besten Compliance-Regeln können keinen Politiker aufhalten, der Tarnvereine gründet, um heimlich Spendengelder einzusammeln. Griss: Nein, darüber entscheidet der Wähler mit seinem Stimmzettel. Er durchschaut das halt leider nicht immer. Man kann nur hoffen, dass die Parteien, die sich ein solches Fehlverhalten leisten, das bei Wahlen spüren. Compliance-Regeln haben trotzdem einen Sinn. Man kann damit zumindest ein gängiges Argument abschwächen: „Die sind sowieso alle gleich.“

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.