
Hausdurchsuchung Gottfried Küssel
Experte zu Küssel-Razzia: „Schläge gegen Szene geben Hoffnung“
In Österreich rückt die rechtsextreme Szene erneut ins öffentliche Blickfeld. Jüngst durchgeführte Razzien bei Gottfried Küssel – einer zentralen Figur der Neonazi-Bewegung der 1990er-Jahre – verdeutlichen, dass die Strukturen der Szene weiterhin höchst aktiv sind. Die Polizei verzeichnet zudem seit Jahren einen Anstieg rechtsextremistisch motivierter Straftaten: So gab es im ersten Halbjahr 2025 787 rechtsextreme Straftaten, ein Anstieg von 41,3 Prozent im Vergleich zur ersten Hälfte des Vorjahres. Die gewaltbereite Rechte habe von den multiplen Krisen der letzten Jahre profitiert, so Peham.
Die Razzia rund um Küssel war nicht die erste in der Szene, zuletzt haben die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) und die Polizei die Schlagzahl erhöht. Seit wann ist das der Fall?
Andreas Peham
Ein Datum lässt sich hier nicht nennen, wir haben es eher mit einer Entwicklung seit 2019 zu tun.
Gibt es dafür einen Anlass?
Peham
Der Anlass ist das Wachstum der Neonaziszene und die dementsprechende Zunahme einschlägiger Tathandlungen.
Ist die DSN in der Lage, die Szene vollständig und ausreichend zu überwachen?
Peham
Mein Eindruck ist, dass die DSN das Problem Rechtsextremismus sehr ernst nimmt. Die letzten Schläge gegen die Szene geben Anlass zur Hoffnung, dass sie das – bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten auch mit Hilfe befreundeter Dienste – kann.
In der Razzia rund um Gottfried Küssel stellten Beamt:innen unter anderem Waffen und verschiedene Granaten fest. Wie kommen diese Gruppierungen an die Waffen?
Peham
Die Herkunft der Waffen ist unterschiedlich, meistens stammen sie aus kriminellen Milieus beziehungsweise dem Rockerbandenmilieu.
Was könnten Küssel und sein Umfeld mit den sichergestellten Waffen und Granaten vorgehabt haben?
Peham
Das kann ich von außen nicht beurteilen. Grundsätzlich und entsprechend der Diskurse, die wir beobachten, würde es mich nicht überraschen, wenn solche Ansammlungen auch als Vorbereitungen für einen Bürgerkrieg nach dem imaginierten „Tag X“ dienen sollten.
Der „Tag X“– was ist damit genau gemeint?
Peham
Neonazis verstehen darunter den Tag des Zusammenbruchs des von ihnen gehassten „Systems“. Der genaue Zeitpunkt ist nicht festgelegt, eine Gruppe, die Akzelerationisten, will den Prozess dieses Unterganges durch terroristische Destabilisierung aber beschleunigen.
Geht von Neonazis und Rechtsextremen eine unmittelbare Bedrohung für die Republik aus?
Peham
Nein, unmittelbar bedroht sind all jene, die nicht ins Weltbild passen. Die Gefahren für die Republik sind eher mittelbar: Je weiter sich die Neonaziszene ausdehnt, desto normaler wird ihr Weltbild, das die Demokratie unterminiert.
Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus und Neonazismus
Rechtsextremismus ist eine Ideologie, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt und stattdessen ein autoritäres oder totalitäres System auf nationalistischer und rassistischer Basis anstrebt.
Rechtsradikalismus hingegen bezieht sich auf radikale politische Ansichten, die zwar rechts des politischen Spektrums liegen, aber nicht zwangsläufig verfassungsfeindlich sind, obgleich die Grenzen fließend sein können.
Neonazismus wird als eine spezifische Form des Rechtsextremismus definiert, die sich explizit auf die Ideologie des Nationalsozialismus und der Errichtung eines totalitären Führerstaates nach dem Vorbild des „Dritten Reiches“ bezieht. (Quelle der Definitionen: www.bpb.de)
Die junge Neonazi-Generation gilt als besonders gewaltbereit, um sich vor den Älteren zu behaupten. Gibt es dennoch Gemeinsamkeiten?
Peham
Eine Gemeinsamkeit ist allen voran eine spezifische Vorstellung von „Männlichkeit“. Diese wird immer als bedroht und darum kampfbereit inszeniert.
Damit eng verwoben ist die Verschwörungsmentalität, die ältere mit jüngeren Kadern teilen. Schließlich vereint sie das Hoffen auf den „Tag X“, an dem abgerechnet werden soll. Die Anführer stammen oft aus deutschnationalen Studenten- und Mittelschulverbindungen, betreiben in der Regel Kampfsport und sind immer wieder in Fußballstadien anzutreffen.
Worin unterscheiden sich die beiden Generationen?
Peham
Der zentrale Unterschied ist der Grad der Ideologisierung. Dass die Jüngeren etwa noch nicht wissen, wofür das österreichische Bundeswappen steht und es auf Demos mittragen, führt immer wieder zu Konflikten. Auch kann die überschießende Militanz der nachrückenden Generation für die etablierten Strukturen gefährlich werden, da dadurch ein Einschreiten der Behörden wahrscheinlicher wird.
Von grundlegenden Differenzen würde ich aber nicht sprechen. Die alten Neonazi-Kader sind stark an Nachwuchs interessiert, gehen mit ihnen also nicht zu streng ins Gericht.
Gilt die Gruppe um Küssel tatsächlich als „alt“ – im Sinne des Alters ihrer Zugehörigen?
Peham
Nur im Vergleich zu den Nachrückenden, die oft nicht älter als 15, 16 sind. Und die Gruppe rund um Küssel gilt als „alt“ vor allem im Sinne der langen Szenezugehörigkeit.
Welche zentralen Akteur:innen fungieren als Bindeglieder zwischen der älteren Generation um Gottfried Küssel und der jüngeren Generation um Martin Sellner?
Peham
Ich würde Sellner nicht mehr der jüngeren Generation zurechnen, vielmehr können seine „Identitären“ als eine Art Durchlauferhitzer betrachtet werden: Jugendliche, mehrheitlich junge Männer, kommen hier erstmalig mit rechtsextremer Ideologie in Berührung und werden langsam an einen bestimmten martialischen Habitus gewöhnt.
Wie?
Peham
Die Wahrscheinlichkeit, auf Demonstrationen der „Identitären“ in Kontakt zu Neonazis zu kommen, ist als hoch einzustufen. Und so häufen sich die Fälle von jungen Männern, die sich innerhalb nur weniger Monate vom Rechtsextremismus zum Neonazismus radikalisieren. In der Neonaziszene sind es vor allem Gruppen wie die „Tanzbrigade“, die ein Scharnier zum Nachwuchs bilden und diesen zu integrieren versuchen.
Identitäre Bewegung Österreich (IBÖ)
Die Identitäre Bewegung Österreichs (IBÖ) wird vom DÖW als eine rechtsextreme Jugendorganisation beschrieben, die sich durch faschistische Elemente in Theorie, Ästhetik und Rhetorik auszeichnet. Die Gruppe versucht, durch medienwirksamen Aktionismus und die Nutzung sozialer Medien eine breite Wirkung zu erzielen, und bedient sich dabei popkultureller Elemente wie Internet-Memes und selbstgestalteter Mode. Ihre Ideologie basiert auf der Überordnung eines „Volkes“ als „organische Gemeinschaft“ über das Individuum und lehnt Liberalismus und Multikulturalismus ab. Die IBÖ strebt eine „identitäre Demokratie“ an, die auf einer Homogenität der Bevölkerung basiert und eine gewaltsame Trennung von Völkern impliziert. Obwohl sie sich vom Nationalsozialismus abgrenzt, zeigt sie positive Bezüge zu faschistischen Denkern und kooperiert mit neofaschistischen Gruppen, was eine Einordnung in den Neofaschismus nahelegt. (Quelle der Definition: www.doew.at)
Existieren größere Verbände oder Vereine, in denen beide Generationen direkt zusammentreffen?
Peham
Angesichts des Verbotsgesetzes sind Neonazis angehalten, sich nur informell oder virtuell zu organisieren, eine wichtige Ausnahme bildet Küssels Fake-Burschenschaft Imperia, wo immer wieder einschlägige Veranstaltungen stattfanden. Darum werden für solche Treffen rechtsextreme Organisationen oder Veranstaltungen gewählt, bis vor kurzem etwa das Ulrichsbergtreffen und andere „Heldengedenken“ oder heute vor allem die Demonstrationen der „Identitären“.
Weitere Schnittstellen wären hier bestimmte Kampfsportzusammenhänge und Fitnessstudios . Und natürlich das Hooliganmilieu, das in den letzten Jahren – wie schon in den 1980er Jahren – zu einem zentralen Rekrutierungsort geworden ist.
Zur Person
Andreas Peham ist Rechtsextremismus- und Antisemitismusforscher im DÖW – Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Von 1990 bis 2000 studierte Peham Politikwissenschaft an der Universität Wien. Noch während seines Studiums, 1996, begann er im DÖW zu arbeiten. Peham veröffentlichte drei Bücher, unter anderem „Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft.“