Bericht: Wie rechte Telegram-Kanäle an Angstmache verdienen

Laut der Bundesstelle für Sektenfragen bauen Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker auf Telegram eine immer größere Gegenöffentlichkeit auf – mit teils erfundenen Bedrohungsszenarien und esoterischen Versprechungen. Mit Verkäufen von Notfallradios, fragwürdigen Büchern und Nahrungsmitteln.

Drucken

Schriftgröße

„Ich schäme mich für meine Frau“, sagt ein Mann am Telefon. „Ich erkenne meinen Vater nicht wieder“, sagt eine Tochter. Sätze wie diese fallen bei Beratungsgesprächen der Bundesstelle für Sektenfragen. Oft sind es Familienfeste, bei denen die Stimmung kippt: Wenn Scham zu groß wird, dann wird Nähe unmöglich – und die Angehörigen suchen Hilfe, erzählt Psychotherapeutin Ulrike Schiesser. Sie leitet die Bundesstelle.

Die Generation der über 50-jährigen radikalisiert sich im Netz. Nicht Islamismus ist das Problem, sondern Esoterik und rechter Extremismus. Das Verheerende: Im digitalen Raum wird Angst erzeugt, um Menschen systematisch das Geld aus der Tasche zu ziehen, zu diesem Schluss kommt ein zweijähriges wissenschaftliches Projekt der Bundesstelle. Über Telegram-Kanäle, Pseudomedien, Shops und Spendenaufrufe finanziert sich eine Parallelöffentlichkeit – ohne Korrektiv oder Kontrolle.

Mehr Geld- als Angstmache

Für ihren Bericht beobachtete die Bundesstelle für Sektenfragen rund 330 öffentliche Telegram-Kanäle. Inhaltlich kreisen sie um Anti-Impf-Narrative, Migration und Krieg. Die Kanäle werden von Kanälen wie AUF1 und Report24 betrieben; oder von Einzelpersonen, wie dem Chef der rechtsextremen und FPÖ-nahen Identitären, Martin Sellner. 

Rechtsextreme Ideologie würde dort laut Bundesstelle mit esoterischer Sprache und fiktiven Bedrohungsszenarien oder gesundheitsschädlicher Desinformation verknüpft. Das Rezept gegen die angebliche Apokalypse? Die Produkte aus den Online-Shops der Angstmacher. Ein perfides Geschäftsmodell. Mit den Erlösen werden die Kanäle finanziert – ein sich selbst verstärkender Kreislauf. Die Produktpalette reicht von Büchern, die die Bedrohungsszenarien stützen („Staatsgeheimnis NGO-Finanzierung – Milliarden an Steuergeld für linke und linksextreme Aktivisten“, das als rechtsextrem eingestufte und zwischendurch verbotene Compact-Magazin) und Survival-Gadgets für die ominöse Bedrohung (Notfallradio, Dosenbrot, Überlebensset). 

„Monetarisierung löst die politische Mobilisierung sukzessive ab", heißt es dazu in dem Bericht der Sektenbeobachter. So wurden die hundertausenden Follower dieser Kanäle zum Jahresbeginn 2024 in Summe 2300 Mal pro Monat zum Spenden von Geld aufgerufen – mehr als zu den Hochzeiten der Corona-Protestbewegung. 

„Einzelne rechtsextreme und verschwörungstheoretische Akteure und Akteurinnen bestimmen die Themen dieser Kanäle und bereichern sich finanziell“, sagt Studienautor Felix Lippe. Wie viel Geld die Hinterleute verdienen, lässt sich wegen der intransparenten Geschäftsstruktur der Kanäle nicht herausfinden.

Linksextreme oder linke Bewegungen fielen im Zuge der Studie nicht auf. Grass-Roots-Bewegungen, wie Corona-Maßnahmen-Gegner, seien systematisch von rechtsaußen vereinnahmt wurden. Jedes Thema werde mit einem rechtsextremen oder rechten Framing besprochen, so Lippe. 

Beratung und Begleitung

Rund 500 Menschen wandten sich 2024 an die Beratungsstelle, so deren Tätigkeitsbericht. Bei Verschwörungsglauben sind es oft erwachsene Kinder von Eltern, die abgedriftet sind. In rund 140 Fällen ging es um esoterische Kontexte, in ebenso vielen Fällen um christlich-fundamentalistische Gruppen. Islamistischer Extremismus spielt nur in neun Fällen eine Rolle. 

Geld ist hierbei der gemeinsame Nenner. „Zu uns kommen die Leute oft, wenn es ums Geld geht”, sagt Ulrike Schiesser, die Leiterin der Bundesstelle. Ab Beträgen von mehreren Tausend Euro beginnt für viele die Schwelle zur Problem-Wahrnehmung. 

Zwischen Kaffee-Eigenmarke und rechter Inszenierung

2022 arbeitete die Plattform Telegram noch mit Behörden zusammen. Der Kanal des rechtsextremen Verschwörungstheoretikers Attila Hildmann war da von den Betreibern von Telegram eingeschränkt worden, heute kooperiert die Plattform nicht mehr mit Behörden. 

Gründer Pawel Durow gilt als Kreml-nah und wurde 2024 in Frankreich verhaftet. Vorgeworfen wurde ihm, dass die Plattform Telegram kriminelle Aktivitäten wie Drogenhandel oder Kindesmissbrauch toleriere. Er kam gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro frei. 

Die Messenger-App habe sich in den 2010er-Jahren als eine Art rechtsfreier Raum etabliert.  Nachdem extremistische Akteure auf anderen Plattformen, etwa Twitter oder Facebook, gesperrt wurden, seien viele dieser Akteure auf Telegram gewandert, so Lippe. „Ich vermute, dass sich die Akteure der verschwörungstheoretischen Szene das abgeschaut haben.“

Das Milieu nutzt die Plattform gezielt: Kanäle wie AUF1 verbreiten täglich neue Angstnarrative. Es wird gleichzeitig um Spenden gebeten – sowie Produkte verkauft: Kaffee, Nahrungsergänzungsmittel und Bücher, die die Bedrohungsszenarien weiter vertiefen. Zwischendurch wird die AfD-Politikerin Alice Weidel interviewt. „Täglich grüßt die Messerattacke” heißt es, ohne Belege, wenige Zeilen darunter findet sich ein Link zu einem Buch im Auf1-Shop.

Die Shops und Spenden würden „extremistische Strukturen“ finanzieren“, so die Conclusio des Berichts. Praktisch ist der Mix aus Inseratengeldern rechter politischer Parteien, Shop-Umsätzen und Spenden, intransparent. Journalistinnen und Journalisten stoßen hier an ihre Grenzen.

Empfohlen wird eine stärkere Regulierung der Plattformen, der Finanzdienstleister und eine höhere Transparenzpflicht, sowie ein dauerhaftes Online-Monitoring. Nur: Die Finanzierung für das Studienprojekt der Bundesstelle ist vorbei. 

Das Familienministerium beantwortet die konkrete Frage nach der Fortführung des Projekts nicht. Stattdessen wird nur sehr allgemein auf „finanzielle Bildung“ und „Medienkompetenz“ verwiesen. Der zuständige Medienminister Andreas Babler spricht von einem „großen Anliegen“, bleibt aber vage. Eine ernsthafte Regulierung von Plattformen oder Shop-Betreibern ist nicht erkennbar. Die Presse- und Meinungsfreiheit müsse gewahrt bleiben, heißt es.

Das Monitoring sei „wichtig“, sagen alle – aber ob es fortgesetzt wird, ist offen.

Endlose Krisen

„Diese Netzwerke bauen eine eigene Realität“, sagt Philipp Pflegerl, der zweite Autor der Studie. Mit eigenen Medien, Expert:innen, Verkaufsstrukturen, Weltbildern. Was hier entstehe, sei keine Meinungsvielfalt – es sei eine ökonomisierte Spaltung der Gesellschaft.

Die dadurch erzeugte Verunsicherung legitimiert Spendenaufrufe, Verkaufsangebote und exklusive Inhalte – und sichert so das Fortbestehen eines Geschäftsmodells, das von den Krisenszenarien profitiert, die es selbst hervorbringt und verstärkt.

Bundesstelle für Sektenfragen

Das Geschäft mit der Angst, S. 10, 2025

Mit der Angst wird Geld gemacht. Aktuell verlässt sich der Staat hier auf Finanzdienstleister, die aktiv werden. Erst im Mai sperrte die ungarische MBH Bank AUF1 das Bankkonto. Aktuell unterhält die Plattform ein Konto bei der Luxemburger Filiale der „Circle Bank“. AUF1 beziehungsweise der AUF1-Shop würde im Einklang mit Anti-Geldwäschebestimmungen agieren. Auf die Frage nach Extremismus-Finanzierung ging die Bank nicht ein.

Jeden Tag eine neue Krise, jeden Tag ein Spendenlink – die Dramaturgie bleibt dieselbe. Nur der Staat scheint noch zu glauben, dass es sich hier um Meinung handelt – und nicht um ein Geschäftsmodell.

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz ist seit Dezember 2024 im Digitalteam. Davor arbeitete sie als Redakteurin bei PULS 24, und als freie Gestalterin bei Ö1. Sie schreibt über Politik, Wirtschaft und Umwelt.