Sujet: Falsche Polizisten
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Falsche Polizisten: Ermittler heben erstmals „Callcenter“ in Wiener Wohnung aus

Gerade rund um Weihnachten sind die falschen Polizisten besonders aktiv. Allein Österreich haben die Betrüger rund 23 Millionen Euro Schaden angerichtet. Jetzt konnten Ermittler ein „Callcenter“ in Wien ausheben.

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Im Nachhinein, sagt Gerlinde S., habe sie gespürt, dass etwas nicht stimmt. 8. Oktober, 19.45 Uhr. Die 75-Jährige sitzt gerade vor den Abendnachrichten, als ihr Telefon läutet. Am Apparat ist ein Mann, der sich als „Kommissar Michael Reinhold, Polizei Bayern“ vorstellt. Ohne Umschweife kommt er schnell zum Punkt: Auf der B155, der Bundesstraße zwischen Freilassing und Salzburg, habe es vor ein paar Minuten einen Unfall gegeben. Zwei Fahrzeuge, Totalschaden. Eine Frau sei noch an der Unfallstelle verstorben, in ihrem Wagen war noch ein Baby, es sei schwer verletzt. Und dann der Satz, der Gerlindes Welt innerhalb von Sekunden kippen lässt: „Ihr Sohn ist der Unfallverursacher.“

In diesem Moment hört die 75-Jährige eine weitere Männerstimme im Hintergrund. Der Mann klingt verzweifelt, panisch: „Mama, ich brauche deine Hilfe!“ Gerlinde erkennt den Klang und ist davon überzeugt, das kann nur die Stimme ihres Sohnes sein. Kommissar Reinhold erklärt weiter: Gerlindes Sohn sitze nun in Untersuchungshaft in der Justizanstalt Puch-Urstein in Salzburg. Es gebe jedoch eine Möglichkeit, ihn freizubekommen – sofort, heute noch, aber nur gegen Kaution. Wie hoch die Summe ist, wird später kaum mehr rekonstruierbar sein. In Erinnerung blieb der 75-Jährigen ein Betrag von 100.000 Euro. Doch zu diesem Zeitpunkt war sie schon zu tief in ein Gespräch verstrickt, das jede Form von Misstrauen unterbinden sollte.

Dass Gerlindes Telefon an jenem Abend klingelte, war kein Zufall. Die Masche der falschen Polizisten folgt einem festen Drehbuch, das keine Skrupel kennt und längst zu einem europaweiten Phänomen geworden ist. Die Täter spähen ihre Zielpersonen akribisch aus, sammeln Daten aus öffentlichen Telefonverzeichnissen oder sozialen Medien und schaffen ein Szenario, das möglichst tief ins Mark trifft: ein schwerer Unfall, ein inhaftiertes Familienmitglied, Zeitdruck. Ermittler sprechen von sogenannten Schockanrufen, die aus professionell organisierten „Callcentern“ geführt werden. Diese operieren in den meisten Fällen bewusst im Ausland, fernab der österreichischen Strafverfolgung, um Ermittlungen zu erschweren. Das Ergebnis: eine kalkulierte Ausnahmesituation, in der jeder Zweifel erstickt wird und den Tätern Beträge in Millionenhöhe beschert – und das inzwischen in ganz Europa.

Daniela Breščaković

Daniela Breščaković

ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.