Konferenztisch in der ÖBB-Halle, Bürgermeister aus dem Nahen Osten: "Die Welt schaut weg."
Flüchtlingskonferenz der Bürgermeister: "Helft uns helfen!""

Flüchtlingskonferenz der Bürgermeister: "Helft uns helfen!"

Flüchtlingskonferenz der Bürgermeister: "Helft uns helfen!"

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Der Geruch von Schmiere hängt in der Luft. Kameraleute laufen durch die zugige Halle, Journalisten mit Notizblöcken, denen die Wiener Gesundheitsstadträtin eben erklärt, was sie von Obergrenzen hält. Überall Trauben von Männern und Frauen, an bunten Halsbändern baumeln ihre Namensschilder. André Hellers Gestalt ragt heraus.

In einem Werksgebäude der ÖBB an der Spittelauer Lände in Wien, wo an normalen Tagen Cityjets gewartet werden, versammeln sich vergangene Woche Bürgermeister aus dem Libanon, aus Jordanien, der Türkei, von griechischen Inseln und italienischen Küstenorten. Sie haben sich für zwei Tage aus ihrem Alltag gerissen, um unter einer imposanten Dachkonstruktion aus Stahl und Glas über Flüchtlinge zu reden. Gebirge von Problemen bauen sie an dem mit Mikrophon-und Kopfhörerkabeln übersäten Tisch auf. Ali Mattar, Bürgermeister von Sahel El Zahrani, Libanon, redet als Erster. Er gibt den Tenor vor: "Bitte, helft uns helfen!"

Wir sind fast zu Vertriebenen im eigenen Land geworden.

Seinen Kollegen aus der Provinz Marej hat er am Vortag im Flugzeug kennen gelernt. Nazem Saleh berichtet von Überschwemmungen, fehlendem Trinkwasser, laschen Behörden, einer Infrastruktur, die für höchstens 15.000 Flüchtlinge ausgelegt ist und jetzt für 20.000 reichen muss. Es gibt Druck auf die Löhne, Ausbeutung, die Mittelschicht droht zu verarmen: "Wir sind fast zu Vertriebenen im eigenen Land geworden."

Auch Yousef Al-Shawarbeh aus der jordanischen Hauptstadt kann nur bitteren Mangel schildern. In Amman und der Region leben 430.000 Flüchtlinge, davon seien 130.000 registriert. Es fehle an Schulen, Gesundheitsversorgung, Wasser. So wie in Um Al Jimal, wo Hassan Ruhaibeh regiert. 45.000 Einwohner leben mit 29.000 Flüchtlingen in der Stadt, dazu kommen 80.000 im Lager Zaatari. Die Grenze zu Syrien ist 375 Kilometer lang. Dahinter wütet ein Bürgerkrieg, "der nicht nur uns etwas angeht, sondern die Welt".

Wiener SPÖ-Stadträtin Sonja Wehsely bei der Bürgermeister-Konferenz.

Die Gesichter der angereisten Bürgermeister blicken überlebensgroß von der Videowand. Sie schauen abgekämpft aus. Die "weibliche Stimme " am Konferenztisch gehört Mai Aleid, einer syrischen Aktivistin, die ihre Flucht über die Balkanroute "vergessen gemacht hat, dass ich eine Frau bin". Sie wisse, dass die Bevölkerung "müde ist, uns aufzunehmen", sagt sie: "Aber wir sind auch müde." Busse. Züge. Grenzen. Soldaten. Helfer. Oft gehörte Worte bekommen plötzlich Gewicht. Vielleicht liegt es daran, dass hier die "Ohnmachtsklasse sitzt, die von der großen Politik verlassen ist", wie André Heller sagt, neben der Kahane-Stiftung und dem Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler einer der Initiatoren der Konferenz: "Das sind die Leute, die jeden Tag das Gespiebene aufputzen."

Ich kenne einige Gebäude, wo Platz für Flüchtlinge wäre.

"Die Welt schaut weg", sagen die Bürgermeister aus dem Nahen Osten. "Europa schaut weg", sagt Spyros Galinos, Bürgermeister der griechischen Insel Lesbos: "Es überlässt die Flüchtlinge verbrecherischen Schleppern." Dieter Posch aus Neudörfl, einer der wenigen heimischen Bürgermeister auf der Tagung, hat in einer Rauchpause seinen Kollegen aus dem steirischen Wagna getroffen, "von da, wo ein Seitenteil vom Türl steht". Posch sagt, im Burgenland wären 300 Leute auf 88 Gemeinden zu verteilen.

Am Nachmittag, als Ahmet Türk, Bürgermeister im türkischen Mardin, zu reden beginnt, verschieben sich die Koordinaten wieder. 150.000 kurdische Syrer seien über die Grenze geflohen. Nur 15.000 habe der türkische Staat versorgt. Ein NGO-Vertreter aus Wien lehnt an einer Seitenwand und starrt mit fassungslosem Blick ins Leere: "Ich kenne einige Gebäude, wo Platz für Flüchtlinge wäre."

Wir sitzen alle im selben Boot

Am Vortag haben die Bürgermeister gemeinsam zu Abend gegessen und sich die Sakkotaschen mit den Visitenkarten ihrer Kollegen in anderen Städten und Ländern vollgestopft. Andreas Babler, Bürgermeister von Traiskirchen, fragte "den Kollegen aus Jordanien", wie viele Flüchtlinge nach Europa wollen. "Die Ägäis zwischen ihnen war bald vergessen. "Wir sitzen alle im selben Boot", sagt Luigi Ammatuna, Bürgermeister des sizilianischen Küstendorfs Pozzalla. Allen, die die Flüchtlingskrise nur aus dem Fernsehen kennen, rät er, sich an einem x-beliebigen Tag in seinem Ort auf eine Bank zu setzen, wenn Hunderte Menschen aus dem Meer kommen, durchnässt, verängstigt, mit Kindern im Arm: "Den möchte ich sehen, der es schafft, auf die Hand zu steigen, die sich am Steg festhält."

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges