#wienwahl20

Dominik Nepp übertrifft in der Fremdenhetze selbst Altmeister Strache

Die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Dominik Nepp meinen, dies sei die letzte Wahl, "wo die Österreicher noch die Mehrheit haben".Bei solch forciertem Tempo in der Fremdenhetze kommt selbst Altmeister Heinz-Christian Strache kaum mit.

Drucken

Schriftgröße

Es ist eines der beliebtesten und ältesten Volksstücke. Die Posse vom Fremden, der sich über die Häuser machen soll, und die vom Häuptling, der seine Untertanen mit: "die ihr eigentlich die größten seid's" anspricht (Johann Nestroy: Häuptling Abendwind).


Es gab Konjunkturen. Bis heute unerreichte Blüte erreichte die volkstümliche Ausländerhetze bei Jörg Haider. Sein Nachfolger Heinz-Christian Strache hat vereinfacht, verroht und viele der gemeinen Feinheiten weggelassen. Immer unter Anleitung von Meisterregisseur Herbert Kickl.

Zu einem Zeitpunkt, da niemand mehr zu hoffen wagte, das Stück werde sich abnützen (auch die türkise Truppe gab es zum Besten), tauchte das Ibiza-Video auf und zerriss die Regierung. Der Protagonist auf Ibiza, Strache, zog sich "voreilig",wie er heute meint, aus allen Parteiämtern zurück, wollte dann doch wieder mitmachen und wurde daraufhin von seinen früheren Parteifreunden als schamloser Spesenritter vorgeführt und aus der FPÖ ausgeschlossen. Nun treten bei der Wien-Wahl zwei Parteien aus demselben Fleische an. Eine reiche mit sattem Funktionärsapparat und eine arme, die mehrere kleine Bankkredite laufen hat und von einigen abgesprengten Bezirkspolitikern und drei ehemaligen Gemeinderäten der FPÖ unterstützt wird. Angeblich hat die Liste Strache 3000 Mitglieder.

Für die FPÖ-Wien geht Dominik Nepp ins Rennen, 38 Jahre alt, Döblinger Herkunft, der sich im Aufstieg immer eng an Strache und Johann Gudenus, den anderen Ibiza-Darsteller, hielt und als Finanzreferent der FPÖ von dem Spesenskandal, den er nun Strache anlastet, nichts mitbekommen haben will; der in der FPÖ-Jugend Karriere machte, als dort ein Grundsatzpapier kursierte, in der von Gefahren der "Umvolkung", der "Wiege der Weißen" und der "Immunschwäche" europäischer Gesellschaften die Rede war; der einer Türkin die Mitgliedschaft im RFJ verweigerte, weil sie Türkin ist; der einer schlagenden Verbindung("Aldania")angehört, die eine Integration von Flüchtlingen für nicht möglich und nicht wünschenswert hält("vom Aufnehmerland haben sie keine Ahnung und werden niemals eine Ahnung haben").

Für den Dauerbrenner Ausländerhetze erweist sich Nepp als ein Talent, das die Verschlagenheit Haiders mit der Glätte, die man aus der türkisen Schnöseltruppe kennt, verbindet.

Strache sagt, er kannte Nepp schon, als dieser 14,15 Jahre alt war, habe ihn damals unter seine Fittiche genommen und fühle sich von ihm verraten.

Strache ist 20 Jahre älter als Nepp und steht jetzt da, wo er vor drei Jahrzehnten angefangen hat, in Vorstadt-Cafés und Hinterzimmern; anfangs noch jugendlicher Neonazi, der in Wäldern trainierte und Holocaust-Leugner bewunderte, 15 Jahre später Einpeitscher auf großen Bühnen am Viktor-Adler-Markt und am Stephansplatz, mit Strache-Rap, Disco-Nächten, kreischenden Mädchen, die ihn "geil" fanden und sich ein Autogramm aufs Dekolleté von ihm wünschten. Die Korporierten in der FPÖ standen bei solchen Auftritten oft am Rande und ließen zwiespältige Gefühle erkennen für die Wirkung ihres Frontmanns, der sich abstrampelte oben auf der Bühne, für die da unten. Anerkennung, gemischt mit Verachtung für den Zahntechniker, der mangels Studium nicht einmal akademischer Burschenschafter ist. Heute steht Strache wieder am Wiener Viktor-Adler-Markt. Ganz in Schwarz gekleidet, was ihn noch schlechter aussehen lässt. Ohne Band, ohne Bühne, nur ein Mikrofon vor sich und ein weißes Banner mit dem Logo der Liste HC-Strache im Rücken. Als hätte er nie das verschwitzte Leiberl getragen, in dem jeder ihn vom Ibiza-Video vor Augen hat.


Wortfetzen wie "Hirnverbrannte Grüne"-"Gürtel-Pool-Kloake", "Pop-up-Radwege" "Autofahrer schikanieren", "Polizei entwaffnen", "soll die Polizei mit Wattebäuschchen?"jagen über den Platz. Die Anlage ist schwach. Strache steht auf einer Ebene mit zufälligen Passanten-das eigentliche Event wurde coronabedingt abgesagt-und Unterstützern, die von der Aktion wussten.

Der richtige Wahlkampfauftakt der Liste HC-Strache geht im Lotus Event Center, einer traurigen Location in der Wiener Donaustadt, unter Tankstellen, Diskontern und Stadtautobahn, über die Bühne. Neben einem Pulk von Rauchern bewegt in der Nähe des Eingangs ein schwacher Ventilator die Luft-das ist wohl Corona geschuldet; Masken trägt hier niemand, außer Journalisten und Kameraleute Es gibt Würstel, Red Bull, weiße Spritzer und viele, nicht mehr ganz junge Männer, die sich in enge Jeans gepresst haben. Strache marschiert ein wie in früheren Zeiten, unter Ha-tse-Ha-tse-Rufen. Er sieht übernächtigt, blass und müde aus, muss sich erst warm reden. Strache droht, bittet, schmeichelt. Seine Stimme verwandelt sich von laut nach leise, vom Flüstern ins Aufbrausende. Wie bei einem guten Märchenerzähler. Er wütet nicht mehr so monoton wie früher.

Strache glaubt, dass hinter dem Auftreten von Corona etwas liegt. Es sei nicht so gefährlich wie der "Angstschober" und der "heilige Sebastian" behaupten, schon gar keine Pandemie sei es, die Maßnahmen dienten anderen Zwecken: das Bargeld abzuschaffen, eine Schuldenunion einzuführen, den Euro abzuwerten, die Sparer zu enteignen, die Gesellschaft zu kontrollieren.

Seine frühere Partei sieht das genauso: FPÖ-Chef Norbert Hofer meinte, der Koran sei "gefährlicher als Corona." Bei einer Wahlveranstaltung in Ottakring höhnte er die Muslime, "wo jetzt auch die Männer einen Gesichtsschleier tragen." Das Publikum tobte vor Vergnügen. Spitzenkandidat Dominik Nepp: Das "Widerwärtigste, das ich jemals erlebt habe, war, dass die Enkerl als Todesengerln missbraucht wurden, die den Opa nicht mehr besuchen durften".-"Das alles nur, um die eigene Macht zu erhalten."

Straches Wirkung besteht heute in seiner Geschichte von Aufstieg, Fall und Verrat. Auch hier wittert er eine Verschwörung. Vor 15 Jahren habe er die FPÖ aus schwerster Krise geführt, von drei auf 31 Prozent hochgebracht, sein Leben der Partei geopfert, als Vizekanzler in der Regierung den UN-Migrationspakt verhindert-der jetzt über die Hintertür wieder eingeführt werde-so Strache-und dann sei er auf die schäbigste Weise zu Fall gebracht, verraten und aus der Partei gedrängt worden. "Das war ein aus dem Ausland gesteuerter Anschlag, um eine Regierung wegzukriegen-um mich wegzukriegen-weil ich gewissen mächtigen Kreisen im Wege gestanden bin", donnert Strache jetzt in den Saal im Lotus Event Center. Die Sache klingt wie ein "Tatort"-Krimi. Ganz ruhig ist es geworden. Die Menschen, die ihm zuhören, bekommen leuchtende Augen. Sie sind die Treuesten, sie fühlen mit. Umfallen und Aufstehen, das kennt hier jeder. Da ist keiner, der mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen ist.

"Ich bin ein Opfer",sagt Strache unter dem tosenden Applaus seiner Anhänger.

Geldkoffer, Kuverts, Konten in Liechtenstein und Spesenexzesse-das ist in der FPÖ alles schon einmal da gewesen. Die freiheitliche Familie ist daran gewöhnt. Es scheint, als gäbe es ein ideologisches Unterfutter für die Anfälligkeit für Korruption, was hier im landläufigen, nicht im juristischen Sinn zu verstehen ist. Nach dem Motto: Man schädigt ohnehin nur den Staat, den man bekämpft.

2004 machten Gerüchte über horrende Parteispesen von Jörg Haider die Runde. "Niemals wieder dürfen Glücksritter, die nur an sich und nicht an die Gemeinschaft denken, in der FPÖ nach oben kommen", sagt Strache, damals FPÖ-Chef in Wien. Jetzt stellt sich heraus: mehr als 500.000 Euro an Spesen hat Strache in den vergangenen Jahren verbraucht. Und es kursieren peinliche Details von Potenzpillen und Computerspielen, die er sich angeblich von der Partei hat bezahlen lassen.

Auch wenn es sich als wahr herausstellen sollte, seine Anhänger haben ein großes Herz, nur für die Ausländer reicht der Platz nicht. Die Stimmung im Lotus Event Center hat jetzt ein Plateau erreicht, sie kann umschlagen in andere Emotionen. "Willst du eine soziale Wohnung haben, musst du nur ein Kopftuch tragen" sagt Strache. Der Spruch ist 25 Jahre alt. Er wirkt noch immer. Er ist nicht an Erfahrungen in der Realität gebunden.

Strache: "Viele sind gekommen und nicht bereit zu arbeiten-sie kriegen mehr Geld als Österreicher, die ihr Leben lang gearbeitet haben. Das ist asozial."-"Ich bin gegen den Bevölkerungsaustausch, der stattfindet-und diesen Begriff lassen wir uns nicht verbieten",ruft er in den Saal.-Es ist eine gezielte Provokation, ein Schlagwort der Identitären, unter dessen Motto der Attentäter von Christchurch eine Moschee betrat und aus Hass Dutzende Menschen erschoss.

Strache warnt: "Im Jahr 2040 werden wir bei den 16-Jährigen schon muslimische Mehrheiten haben, und das wollen wir nicht."

Nicht einmal damit kann Strache mit seiner früheren Partei in Anti-Ausländer-Hetze mithalten. Die ist schon weiter.

Die FPÖ hatte bei ihrem Wahlkampfauftakt mitten in Wien-Ottakring die Apokalypse in blau ausgerufen.

"Das ist die letzte Wiener Wahl, wo noch die echten Österreicher eine Mehrheit haben, die letzte Möglichkeit, dass wir noch als echte Wiener, als echte Österreicher in der Mehrheit sind. Machen wir uns nichts vor",donnerte Nepp über den Meiselmarkt.

Es ist ein lauer Abend. Die Infektionszahlen sind zuletzt in die Höhe geschnellt. Keine Masken, kein Abstand. Die unvermeidliche John-Otti-Band. "Ein Bett im Kornfeld" und Griechischer Wein".Mit Eintreffen der FPÖ-Führung stimmen sie den Trutz-Song: "Wir sind alle eine Familie" an. Blaue Luftballons vor dem Rot des Sonnenuntergangs. Gratisbier.

Hier ist man-mangels Heldenskript-gleich mitten drin im Ausländerthema. "Millionen für islamische Kindergärten, wo Kinder salafistisch erzogen werden und kleine Mädchen Kopftuch tragen müssen"-Im Stakkato geht es weiter: "Wo ist das Recht, dass in den Schulen wieder Deutsch gesprochen wird, dass sich unsere Frauen wieder sicher fühlen können."-"Wir haben kein Verständnis für Zuwanderer, die nicht Deutsch gelernt haben, kein Verständnis für Zuwanderer, die unsere Regeln nicht befolgen, die unter dem Deckmantel des Asyls kommen und hier kriminell werden." Zustimmende Rufe. Applaus.

Dann die Hauptbotschaft des Abends. Nepp steht auf der Bühne, ringt förmlich die Hände und sagt, die Bedeutung dieser Wahl liege nicht allein darin, dass "wir den anderen am Sonntag ein neues Wunder präsentieren, nein, die Wahl geht leider auch deshalb in die Geschichte ein, weil es die letzte Wahl ist, wo der Österreicher noch in der Mehrheit ist. 30 Prozent der Menschen in Wien sind schon Nichtstaatsbürger, 45 Prozent haben Migrationshintergrund".-"Wir sind für den echten Österreicher da, der gern hier lebt und arbeitet." Nepp lässt an diesem Tag offen, wen er zu den "echten" Österreichern zählt, und es steht zu befürchten, dass dies gern die Freiheitlichen bestimmen würden.

Schlag auf Schlag geht es weiter: "Die Wiener sind an den Rand gedrängt, haben ihr Lebensgefühl nicht mehr, ihr Wien ist nicht mehr da."-"Kriminalität, Vergewaltigung, Mord, Raub-wer ist da führend?-Tschetschenen, Afghanen und Syrer-wenig überraschend",meint Nepp.

"Bei uns hat der echte Österreicher Vorrang. Bei der Gemeindewohnung, der Mindestsicherung, der Familienbeihilfe." Vor allem, wenn es, wie erwartet, zu einer Ressourcenknappheit komme, sagt Nepp.

Auch das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos kommt zur Sprache. Nepp nennt die ÖVP hier doppelzüngig: "Es wird dann schon immer auch mit dem humanitären Gedanken geliebäugelt, wo man auf die Tränendrüse setzt."

Kein einziges Mal bei dieser Veranstaltung war von Strache oder Ibiza die Rede. Der langjährige Parteichef, Ex-Vizekanzler Strache-einfach ausgelöscht. Wie unter Stalin in der Sowjetunion, wo auf Fotos und Revolutionsgemälden die in Ungnade gefallenen Parteiführer wegretouchiert und übermalt wurden.

Straches Wahlkampf ist bescheiden, spielt sich in Lokalen am Rande von Gemeindebausiedlungen ab, meist in trostlosem Ambiente. Dieter Kops, Ex-FPÖ-Gemeinderat und Strache-Unterstützer der ersten Stunde, sagt: "Man wird es nicht glauben, im Zuge der Comeback-Tour hatten schon einige Wirte zugesagt, sind dann bedroht worden und mussten die Zusage dann zurückziehen."

Wien-Landstraße. Erdberg, Straches Heimatbezirk. Vor dem Café Public sitzen ein paar Dutzend Leute im Gastgarten, von staubigen Buchsbäumen von der Kreuzung an einer stark befahrenen Durchzugsstraße getrennt. Sie warten auf Strache. Hoch über ihren Köpfen ragt ein Kran. Das Café ist im Souterrain eines Gemeindebaus eingemietet. Eine Band müht sich, die Wartenden bei Laune zu halten, den Verkehrslärm, den Baulärm zu übertönen. Ein älterer Herr am Schlagzeug und ein anderer älterer Herr, der zu Schlagern aus der Konserve im Playback die Lippen bewegt, manchmal aber auch selbst mitsingt. "Tanz mit mir"-"Marmor, Stein und Eisen bricht"-"Hofbräuhaus".Zwei Frauen beginnen miteinander zu tanzen. Die Stunde zieht sich.

Es sind die treuesten der Treuen, mehrere frühere FPÖ-Funktionäre aus dem Bezirk Landstraße gekommen, denn "so kann man mit Strache nicht umgehen, von den eigenen Leuten angeschüttet",sagt Ex-FPÖ-Bezirksrat Heinz Wieser.

Eine Durchsage: Wegen der Grünen, die "Wahnsinnigen haben den Rochusmarkt blockiert"-Stau und Verspätung. Zwei junge Männer parken vor dem Café Publi. Aus dem offenen Auto tönt: "We are going to Ibiza" von den Vengaboys.

Dann endlich, Strache: "Ja, ich bin am Boden gelegen und dank euch wieder aufgestanden. Wir haben eine Kraft, die man spürt, viele haben die Faust im Hosensack geballt. Es gibt ein geheimes Wahlrecht, und sie werden TeamHC Strache ankreuzen. Ich freue mich schon auf die langen Gesichter."

Am Rande eines ähnlichen Events nahe dem Schöpfwerk sagt Strache zu profil: "Ich habe einen Reifungsprozess hinter mir. Ich halte es da mit Viktor Frankl. Ob Ausländer oder Inländer, es gibt überall Anständige und Unanständige. Das fehlende Budget machen wir mit Herzblut und Idealismus wett. Viele sagen: Lass dich nicht unterkriegen, Kopf hoch! Die Bekennerquote für unsere Liste ist niedrig. Aber fragen Sie einmal einen jungen Burschen, ob er Selbstbefriedigung betreibt. Das wird keiner zugeben."

 

Die Geschichte erschien in profil Nr. 40/2020 vom 27.09.2020.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling