Franz Fischler: „Verstehe nicht, wenn Österreich jammert“
Herr Fischler, Sie gelten ja als einer der Reformer der europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Wenn Sie heute zurückdenken an Ihre Zeit als Agrarkommissar, würden Sie es genauso nochmal machen, oder sehen Sie Dinge, die anders gemacht hätten werden sollen?
Franz Fischler
Im Großen und Ganzen ja – aber nicht alles, was ich vorgeschlagen habe, wurde auch umgesetzt. Der Widerstand bei der Reform war groß, vor allem bei der Frage, ob jeder Hektar gleich gefördert werden soll. Ich habe schon 1998 und 2003 vorgeschlagen, große Betriebe nicht gleich zu behandeln wie kleine. Das ist heute wieder Thema.
Warum?
Fischler
Es gibt zwei Gründe. Erstens: Die Direktzahlungen sind sozial gedacht, nicht für Großbetriebe mit 1.000 Hektar Millionen und mehr. Zweitens: Diese Zahlungen stärken die Wettbewerbsfähigkeit großer Betriebe, die das Geld aber gar nicht für ihr Einkommen brauchen. Das führt zu Preisdruck und benachteiligt kleinere Betriebe.
Warum wurde die Degressivität nicht umgesetzt?
Fischler
Weil der Finanzrahmen einstimmig beschlossen werden muss. Jeder kann jeden blockieren – das führt zu Erpressbarkeit. Ich habe 2003 mit allen Regierungschefs verhandelt und sie aufmerksam gemacht, dass sich mit der Erweiterung um zehn neue Staaten 2004 auch die Agrarstrukturen grundlegend änderten. Danach würde die Einführung der Degressivität noch schwieriger.
Es darf nicht so sein, dass der, der besonders intensiv Landwirtschaft betreibt und damit auch die Umwelt belastet, dass der dann dafür noch höhere Prämien bekommt. Das ist ja widersinnig.
über die Flächenförderung auf der gemeinsamen Agrarpolitik
Gibt es noch etwas, das Sie heute anders machen würden?
Fischler
Damals war der Klimawandel noch kein Thema. Heute muss man landwirtschaftliche Böden als CO₂-Speicher begreifen. Der Humusgehalt ist nur halb so hoch wie im natürlichen Zustand. Wenn wir ihn erhöhen, könnten wir gigantische Mengen CO₂ speichern – und die Wasserspeicherfähigkeit der Böden verbessern. Das gehört in den CO₂-Handel integriert – es würde sich selbst finanzieren.
Gibt es bereits Projekte?
Fischler
In Kaindorf in der Steiermark. Dort werden jährlich im Schnitt fünf Tonnen CO₂ pro Hektar neu gespeichert. Firmen, die CO₂-Zertifikate brauchen, zahlen dafür bis zu 70 Euro. Das ist ein funktionierendes Modell, das man EU-weit anwenden sollte.
Braucht die EU eine neue Agrarreform?
Fischler
Unbedingt. Die Agrarpolitik muss gerechter werden und den Klimawandel bekämpfen. Außerdem müssen bestehende Regeln endlich angewandt werden, etwa im Wettbewerbsrecht. Und sonst kann es keine Erweiterung geben, schon gar keine um die Ukraine.
Wo sehen Sie konkrete Fehlentwicklungen?
Fischler
Etwa in der Verteilung der Gelder. Förderpolitik darf nicht Ungleichheiten verstärken, sondern muss sie abbauen. Große Betriebe bekommen zu viel, kleine zu wenig. Deshalb Degression.
Sie warnen vor einem Rückfall in den Protektionismus. Warum?
Fischler
Weil es gefährlich ist. Der Multilateralismus ist ins Stocken geraten, die Doha-Runde der Welthandelsorganisation WTO ist faktisch tot. Stattdessen setzt man auf bilaterale Abkommen. Das macht die Landwirtschaft angreifbar. Zölle, Grenzen, Abschottung – das erinnert an die Fehler der 1970er Jahre mit ihren Überschüssen in der Produktion.
Was wäre die Alternative?
Fischler
Ein Grenzausgleich für Produkte aus Ländern mit niedrigeren Standards – wie vom Ex-WTO-Chef Pascal Lamy vorgeschlagen. Das schützt Betriebe, die sauber produzieren, ohne Protektionismus zu betreiben.
Der neue EU-Budgetvorschlag sieht Kürzungen für Österreich vor. Zu Recht?
Fischler
Ja. Die Degression bei den Flächenprämien ist sinnvoll. Österreichs Reaktion ist überzogen – wir haben eine der kleinstrukturiertesten Landwirtschaften Europas und profitieren stärker als die anderen EU-Staaten von anderen Förderungen aus der gemeinsamen Agrarpolitik. Wenn sich die Tschechen aufregen, verstehe ich das. Wenn Österreich jammert, nicht.
Die Umwelt- und Sozialauflagen für landwirtschaftliche Betriebe sollen weiterhin nur freiwillig bleiben. Ist es realistisch, dass sie trotzdem umgesetzt werden?
Fischler
Nein. Freiwilligkeit reicht nicht. Es braucht Mindeststandards. Die Auszahlung der Flächenprämien muss an Umweltauflagen gekoppelt sein. Gleichzeitig können darüber hinausgehende Leistungen freiwillig bleiben – etwa ob ein Betrieb biologisch wirtschaftet oder wie stark er die Düngung reduziert.
Rechte Parteien setzen zunehmend auf das bäuerliche Milieu. Warum?
Fischler
Weil sie dort Stimmenpotenzial sehen. Sie machen viele Ankündigungen, aber ohne Substanz. Die ÖVP müsste dem etwas entgegensetzen. Das gilt nicht nur für Österreich, sondern EU-weit. Rechte Politik macht das geschickt über Social Media – das wurde von den Parteien der Mitte verschlafen.
Kann es eine EU-Erweiterung ohne Agrarreform geben?
Fischler
Nein. Nicht nur für die Ukraine, auch nicht für den Westbalkan. Ohne neues Finanzierungskonzept geht keine Erweiterung. Vielleicht braucht es Teilmitgliedschaften – mit abgestuften Rechten und Pflichten. Aber dann muss auch klar sein: Wer teilweise nicht ans Gemeinschaftsrecht gebunden ist, hat auch in diesem Bereich kein Mitbestimmungsrecht.
Zur Person
Franz Fischler war zwischen 1989 und 1994 Minister für Land- und Forstwirtschaft (ÖVP). Zwischen 1995 und 2004 war er Österreichs EU-Kommissar. Als EU-Politik war er Kommissar für Landwirtschaft, Entwicklung des ländlichen Raumes und Fischerei. 2003 initiierte Fischler eine der größten Reformen der gemeinsamen Agrarpolitik er EU, 2005 wurden Zahlungen der EU-Subventionen für die Landwirtschaft von der Produktion entkoppelt.