Fußfessel für potenzielle Täter: Schützt sie Frauen vor Gewalt?
Fünf Finger, ein Handzeichen und aufmerksame Polizisten. Vergangene Woche sorgte ein sechsjähriges Mädchen damit für Schlagzeilen, und das im positiven Sinn. Während eines Verkehrsunfalles gestikulierte sie das SOS-Zeichen an die Beamten. Der Mann, der die Familie bedroht und in das Auto gezwungen hatte, ist der Vater des Mädchens. Er wurde in eine Justizanstalt gebracht. Aufgrund vorangegangener Eskalationen hatten ihm die Behörden bereits eine Einstweilige Verfügung ausgestellt. Die Mutter hatte alle relevanten Schritte eingeleitet, und dennoch war es der Zufall, der sie und ihre Kinder vor Schlimmerem bewahrte. „Es ist ein Musterbeispiel, das aufzeigt, wo Fußfesseln für Täter sinnvoll sein könnten“, behauptet eine Stimme des Bundesministeriums für Frauen, Wissenschaft und Forschung (BMFWF). Der Nationale Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen verspricht die Umsetzung „ab 2026“. Viele Fragen sind allerdings noch offen. Auch diese: Was bringt die aufwendige Maßnahme wirklich?
So soll‘s funktionieren
Wird eine Frau von einem Mann bedroht, können Behörden aktuell ein Annäherungs- und Betretungsverbot sowie eine Einstweilige Verfügung aussprechen. Genau an diesem Punkt soll die neue Maßnahme greifen, und Gefährder zum Tragen einer Fußfessel verpflichten, sofern die Frau das möchte. Das Gerät soll mit einem GPS-Tracker ausgestattet werden, und aufzeichnen, wo sich der Täter aufhält. Kommt er der Frau zu nahe, soll diese eine Benachrichtigung erhalten, um Polizeikräfte mittels Alarmknopf kontaktieren zu können. Die Maßnahme soll Täter abschrecken, und weitere Eskalationen unterbinden. Die Aufenthaltsüberprüfung soll über die Polizei abgewickelt werden, der Verein Neustart, zuständig für den elektronisch überwachten Hausarrest in Österreich, zeigt sich nach eigenen Aussagen bereit für eine Kooperation.
Das schwierige an der Prävention ist, dass sie nicht leicht messbar ist. Systeme wie die sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen zeigen uns aber, dass wir etwas bewirken.
Geschäftsführerin Gewaltschutzzentrum Burgenland
Wirksamkeit schwer messbar
Mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung für Hochrisikotäter haben andere Länder bereits Erfahrung: Spanien führte sie 2009 ein, Deutschland testet sie seit 2011 in mehreren Bundesländern. In Hamburg kam die Fußfessel seit 2019 nur bei einem Mann zum Einsatz, wobei sie aufgrund einer Beschwerde vor dem Oberlandesgericht wieder aufgehoben wurde. Spanien hingegen nutzt sie deutlich häufiger: Dort trugen mit Stand 2023 4548 Hochrisikotäter eine solche Fessel. Studien liefern bisher jedoch keine eindeutigen Ergebnisse über die Wirksamkeit, wie Jörg Kinzig von der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen erklärt. „Bei den verfügbaren Daten besteht kein direkter Zusammenhang zwischen der aktiven Fußfessel und dem Rückgang der Partnerinnentötungen“, bestätigt er. Der Kriminologe leitet das Institut für Kriminologie, aus seinen Forschungsarbeiten geht hervor, dass sich die Wirksamkeit der Fußfesseln nur schwer beurteilen lässt. Grund dafür sind fehlende Vergleichszahlen, die zeigen, wie sich die Täter ohne die Fußfessel verhalten hätten.
Auch Karin Gölly, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Burgenland, warnt vor voreiligen Schlüssen: „Das schwierige an der Prävention ist, dass sie nicht leicht messbar ist. Systeme wie die sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen zeigen uns aber, dass wir etwas bewirken“. Die Fallkonferenzen dienen der Risikoeinschätzung und zielen darauf ab, den Austausch zwischen verschiedenen Institutionen zu verbessern. Sie können von einer Sicherheitsbehörde einberufen werden, und können angemessene Maßnahmen für Gefährder und Opfer festlegen.
Um langfristige Erfolge zu erzielen, müssen die Fußfesseln laut der Expertin mindestens mehrere Monate getragen werden, als Ersatz für die U-Haft kämen sie allerdings nicht in Frage. „Es gibt klare gesetzliche Voraussetzungen, die Fußfessel darf hier nicht das gelindere Mittel für die Haft sein“, erklärt Gölly. Die Gewaltschutzzentren sind in diversen Arbeitsgruppen des Nationalen Aktionsplanes vertreten, arbeiten gemeinsam mit den Ministerien an konkreten Gesetzesentwürfen. Im punkto Fußfesseln habe sich die Regierung bisher noch nicht an die Gewaltschutzzentren gewandt, sagt Gölly.
Entlastung oder Belastung?
Die Präventionsarbeit zeigt: „Die meisten Täter überlegen vorher nicht, mit welchem Strafmaß ihre Tat einhergeht. Die Fessel kann grundsätzlich kein gewalttätiges Verhalten reduzieren“, meint Geschäftsführerin Gölly. Sie sieht den primären Nutzen bei den Opfern, durch die Fußfesseln sollen sie rechtzeitig gewarnt und Sorgen um die eigene Sicherheit loswerden. Einziger Knackpunkt: die Freiwilligkeit der Frauen.
Wer möchte, dass ein Gefährder die Fußfessel trägt, muss sich explizit dafür aussprechen. Noch dazu müssen Frauen selbst ein Tracking-Gerät tragen, um Annäherungsversuche seitens der Männer festzustellen. Dass dies eine große Hürde für Opfer sein kann, weiß auch Gölly: „Man muss mit bedenken, dass auch Frauen ihren Standort teilen müssen. Für manche kann es jedoch eine große psychische Belastung sein, mit ihrem Gefährder elektronisch verbunden zu sein.“ Einer Studie des Instituts für Konfliktforschung zufolge haben zwischen 2016 und 2020 lediglich 20 Prozent der Opfer von Femiziden ein Betretungs- und Annäherungsverbot anordnen lassen. Neben intensivem Stalking soll dies jedoch die zentrale Voraussetzung für die Fußfessel-Anordnung darstellen.
„Wir haben unsauber gearbeitet“
Um die elektronische Überwachung bei Hochrisikotätern einzuführen, braucht es Geld, Personal und Expertise.
„Die Polizei muss nicht mehr ihre Runden fahren und kontrollieren, ob das Betretungsverbot eingehalten wird. Das wäre eine große Entlastung für die Exekutive“, glaubt man im Frauenministerium. Die Polizei gibt sich zum Vorhaben deutlich weniger euphorisch man lässt lediglich wissen, dass man sich derzeit noch in einem frühen Stadium der Ausarbeitung befindet.
Dazu kommt: Gerichte brauchen Kapazitäten, um die Fußfessel anzuordnen, Behörden müssen einschätzen können, wer als Hochrisikotäter gilt. Die Gewaltschutzzentren führen eine solche Risikoeinschätzung bereits flächendeckend durch. Als Hochrisikotäter gilt laut Gölly jene Person, die eine „akute Gefährdung für das Wohlbefinden der Frau“ darstellt. Der Expertin zufolge lässt sich dies anhand unterschiedlicher Kriterien einschätzen, Aspekte wie der Zugang zu Schusswaffen, massive Eifersucht oder sexualisierte Gewalt seien dabei entscheidend. Eine vorangegangene Straftat sei laut Gölly jedoch keine zwingende Voraussetzung.
Die Polizei erprobt in Wien das digitale Analysetool „Proteekt“ für die Bewertung von Gefährdern. Das System hilft, Hochrisikofälle als solche zu erkennen und leitet relevante Informationen an die Opferschutzzentren weiter. Ob das System auch für die Fußfessel Anwendung finden wird, ist offen. Eine weitere Möglichkeit wäre, im Rahmen der polizeilichen Fallsicherheitskonferenzen festzustellen, ob es sich um einen Hochrisikotäter handelt. Bis dato weiß die Polizei noch nicht, wieviel und welches Personal für die Maßnahme benötigt wird. Ebenso offen: ob die Überwachung überhaupt mit Fußfessel erfolgt. Es könnte laut dem Nationalen Aktionsplan auch ein Armband sein.
Die Zuständigkeit laut dem Aktionsplan im Justiz- und im Innenministerium. Letzteres lässt via Stellungnahme wissen: „Zur Klärung genau jener Fragen wurde eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet (..). Diese Arbeitsgruppe wird die notwendigen Konzepte und Grundlagen zunächst erarbeiten und vorlegen. Erst auf Basis dieser Ergebnisse können weitere Entscheidungen getroffen und detaillierte Informationen bereitgestellt werden.“ Auch das Justizministerium zeigt sich bisher noch zugeknöpft, Überlegungen seien „bereits am Laufen“, heißt es. Am wichtigsten sei dabei, „sich an der Umsetzung in den anderen Ländern zu orientieren“.
All das klingt nicht nach baldiger Umsetzung. Eine Involvierte aus dem Frauenressort, die namentlich nicht genannt werden möchte, gesteht: „Wir haben es unsauber geschrieben: konkrete Planungen starten im Laufe des nächsten Jahres, die Umsetzung kann aber auch später kommen.“