Familienministerin Claudia Plakolm (ÖVP), Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) und Bildungsminister Wiederkehr (Neos) bei der Präsentation des Nationalen Aktionsplans gegen Gewalt an Frauen.
Lücken im Gewaltschutz: Wo der neue Aktionsplan versagt
Was haben ÖVP, SPÖ und NEOS bei Maßnahmen im Gewaltschutz gemeinsam? Relativ wenig. Das zeigt sich nicht zuletzt an der unterschiedlichen Haltung zum „Ja heißt Ja“-Prinzip. Entsprechend kompromisshaft wirkt der neue Nationale Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen, der heute präsentiert wurde. Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) sprach von „unzähligen Maßnahmen“, die der Plan enthalte. Doch die entscheidende Frage lautet: Was kann dieser Aktionsplan wirklich leisten?
Bereits 2023 hatte der Rechnungshof in einem umfassenden Bericht aufgezeigt, wo der Gewaltschutz in Österreich Schwachstellen hat. Viele seiner Empfehlungen finden sich nun tatsächlich im NAP wieder. Trotzdem bleibt deutlich: Zentrale Lücken sind weiterhin offen.
1. Lücke: Wenig Daten zur Verfolgung von Taten
Was passiert nach einer Anzeige wegen geschlechtsspezifischer Gewalt? Tatsächlich wissen die Behörden häufig selbst wenig über den weiteren Verlauf. Die Aufzeichnungen sind lückenhaft, ein durchgehender Überblick fehlt.
Der Rechnungshof forderte eine Weiterentwicklung der IT-Systeme der Justiz, damit fallbezogene und differenzierte Statistiken zu geschlechtsspezifischer Gewalt möglich werden – insbesondere durch die Erfassung des Täter-Opfer-Beziehungsverhältnisses und eine durchgehende Nachverfolgung von Verfahren.
Der NAP greift das Thema auf, indem er eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe zur Sammlung von Verwaltungsdaten vorsieht und zusätzlich datenschutzrechtliche Fragen prüfen lässt, weist eine Sprecherin von Ministerin Holzleitner nach der Veröffentlichung des Artikels hin. Welche konkreten Maßnahmen aus dieser Arbeitsgruppe entstehen, um die Datenlücken zu schließen, bleibt abzuwarten.
2. Lücke: Das Tool, das Gefährder fürchten
Zwei Polizisten werden von besorgten Nachbarn gerufen. Aus einer Wohnung sind laute Schreie zu hören, man fürchtet, der Ehemann könnte gewalttätig sein. Als die Beamten an der Tür stehen, öffnet der Mann – freundlich, ruhig, als wäre nichts gewesen. Eine typische Situation: Von außen wirkt plötzlich alles harmlos, und doch müssen die Polizisten entscheiden, ob sie eine Wegweisung aussprechen, also den mutmaßlichen Gefährder verpflichten, sich mindestens 100 Meter von der Wohnung fernzuhalten. Solche Entscheidungen gehören zum polizeilichen Alltag: 2023 gab es österreichweit 15.115 Wegweisungen, oft abhängig vom persönlichen Ermessen der Beamten.
Um solche Situationen verlässlicher beurteilen zu können, nutzt die Wiener Polizei seit Jahren das Softwaretool PROTEEKT, wie profil bereits berichtete. Gibt es Hinweise auf Gewalt in der Privatsphäre, müssen die Polizisten den GiP-Support (Gewalt in der Privatsphäre) kontaktieren. Dort ist rund um die Uhr ein Journaldienst besetzt, der gemeinsam mit den Einsatzkräften vor Ort einen strukturierten Fragenkatalog durchgeht – zu früheren Körperverletzungen, Alkoholproblemen, Missachtung behördlicher Auflagen, bestehenden Waffenverboten und mehr.
Aus 13 Fragen errechnet das System ein Risikoprofil, dargestellt als Ampel: niedrig (grün), erhöht (gelb), hoch (rot). Dieses klar strukturierte Verfahren erleichtert Entscheidungen – und ist wohl mitunter ein Grund, warum in Wien österreichweit die meisten Wegweisungen ausgesprochen werden.
Der Rechnungshof empfahl dem Innenministerium, dass alle Landespolizeidirektionen ein solches Gefährdungstool erhalten sollen. Der Nationale Aktionsplan (NAP) greift diese Empfehlung jedoch nur teilweise auf: Zwar sollen Abläufe in Hochrisikofällen überprüft und ein Tool für den Gesundheitsbereich entwickelt werden – verbindliche Maßnahmen fehlen jedoch.
3. Lücke: Richter ohne Fortbildung
Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt suchen Hilfe, zeigen Gewalt an – und haben das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Aussagen werden angezweifelt, Hinweise auf Gefahr heruntergespielt. Wohl auch, weil Richter und Staatsanwälte im Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt unzureichend geschult sind. Zwar gibt es Fortbildungen – aber die Teilnahme ist freiwillig.
Genau hier setzte der Rechnungshof an: Es reiche nicht, einfach mehr Kurse anzubieten, wenn sie nicht verpflichtend sind. Das Justizministerium müsse sicherstellen, dass Bedienstete diese Schulungen tatsächlich absolvieren. Zusätzlich brauche es einheitliche Inhalte, damit überall nach denselben Standards gearbeitet wird.
Der Nationale Aktionsplan (NAP) bleibt jedoch dahinter zurück: Er kündigt zwar mehr Kurse an, von einer Verbindlichkeit dieser konkreten Schulungen ist jedoch keine Spur.
Was die Regierung plant
Einige Lücken will der NAP allerdings tatsächlich schließen: Auf den 24 Seiten finden sich neben allgemein formulierten Absichten auch konkrete Maßnahmen. Dazu gehören etwa Fußfesseln bzw. Armbänder für Hochrisikogewalttäter, gegen die bereits eine einstweilige Verfügung nach einem Betretungsverbot vorliegt. Außerdem prüft die Regierung ein Verbot sexuell motivierter Bildaufnahmen ohne Zustimmung der Betroffenen – eine Regelung, die schon im kommenden Jahr umgesetzt werden soll.