Georg Willi: Der Querlenker

Die Grünen stolpern von einem Wahldebakel zum nächsten -nur nicht in Innsbruck: Dort hat Georg Willi gute Chancen, erster grüner Bürgermeister Österreichs zu werden. Was macht er richtig?

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"Guten Tag, ich möcht gern Bürgermeister von Innsbruck werden", stellt sich Georg Willi in der Fußgängerzone bei Passanten vor und drückt ihnen einen Werbeprospekt in die Hand. Der großgewachsene Tiroler, Jeans, hochgekrempeltes Hemd, ist für einen Grünen in einer ungewöhnlichen Situation. Wo sonst stellt ein Ökopolitiker den Führungsanspruch? Obwohl der 58-Jährige unbedingt Bürgermeister werden will, wirkt Willi nicht aufdringlich oder gar arrogant - höflich-bittend wirbt er in eigener Sache. Seine ruhige, sonore Stimme hilft dabei. Eine Radfahrerin bremst vor Willi ab: "Ich hätte da gleich ein Anliegen", sagt sie und beschwert sich über eine gefährliche Kreuzung. Willi setzt seinen treuherzigen Blick auf - es ist seine Lieblingspose: als Zuhörer. So wird er auch auf den Wahlplakaten inszeniert. Wenn er mit den Leuten spricht, wirkt er authentisch. Mit großspurigen Versprechungen hält er sich selbst im Intensivwahlkampf zurück. Lieber nickt er bedächtig, erklärt oder stellt Fragen.

Ein untypischer Grüner

Kommenden Sonntag könnte sich Willi seinen Platz in den grünen Parteichroniken sichern: Gewinnt er die Bürgermeister-Stichwahl in Innsbruck, wird er der erste grüne Stadtchef überhaupt sein - und das mitten in der schwersten Krise der Ökopartei: Zuletzt setzte es ein Wahldebakel nach dem nächsten. Am 22. April eroberten die Innsbrucker Grünen mit 24 Prozent der Stimmen zum ersten Mal in ihrer Geschichte Platz eins in einer Landeshauptstadt. Willi selbst holte über 30 Prozent in der Direktwahl - mehr noch als die amtierende Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer von der ÖVP-Abspaltung "Für Innsbruck". Sie muss in der Stichwahl um ihr Amt bangen. Die grüne Bundespartei sollte allerdings nicht zu viel Hoffnung hegen, dass Willi eine Trendumkehr eingeleitet hat. Sein Erfolg wurzelt in seiner Eigenwilligkeit. Denn der umgängliche Innsbrucker passt in keine Schublade. Er ist ein auffallend untypischer Grüner.

Das beginnt damit, dass sich Willi ehrenamtlich als Leiter eines Kirchenchores engagiert. "Papst Franziskus hat meinen Blick auf die Kirche geradegerückt", sagt der bekennende Katholik in der Mittagspause zwischen zwei Wahlkampfterminen: "Der fährt ein richtig ökosoziales Programm - was da an Kapitalismuskritik und Ökologie drinnen ist!" Vermutlich ist der Grüne öfter in Gotteshäusern anzutreffen als seine bürgerliche Konkurrentin.

Der ambivalente Charakter Willis wird erst fassbar, wenn man seine Sozialisierung kennt - in einer Großfamilie mit sieben Geschwistern. "Da lernt man, mit wenig auszukommen", sagt Willi: "Ich habe immer darunter gelitten, und es hat mich auch ein bisschen kämpferisch gemacht, dass ich das alte Gewand von den Älteren gekriegt habe." Das Aufmüpfige hat er von seinem Vater: Josef Willi war ein schwarzer Querdenker. Als Bildungsleiter der Tiroler Landwirtschaftskammer forcierte er als einer der Ersten den biologischen Landbau -zum Argwohn zahlreicher Bauernbündler. Mit Tiroler Sturheit ausgestattet, trat er Anfang der 1990er-Jahre vor dem Parlament in Wien für 14 Tage in den Hungerstreik, weil ihm das Landwirtschaftsgesetz nicht ökologisch genug war. Sohn Georg malte das Transparent für die Protestaktion. Schon während der Schulzeit las er die Broschüren des Vaters Korrektur.

Die familiäre Politisierung blieb nicht wirkungslos: 1989 legte der 30-jährige Biologie-und Jus-Student Georg Willi seine Uni-Karriere auf Eis, stieg in den Innsbrucker Gemeinderatswahlkampf ein und eroberte ein Mandat für die konservativen Vereinten Grünen Österreichs (VGÖ). Seine Studien sollte Willi nie abschließen. Anfangs war die junge Öko-Bewegung in Linksalternative und Konservative gespalten. Es gab Vorbehalte, auch von Willi: "Bei uns hat es immer geheißen: Dieser Peter Pilz ist außen grün und innen dunkelrot. Und Rot war in Tirol ein Schimpfwort." Bald verwarf Willi seine Aversionen gegen die Alternativen, auch aus Pragmatismus: Er orchestrierte die Fusion der rivalisierenden Grünen-Listen, die zusammen schon damals auf 15 Prozent der Innsbrucker Wählerschaft kamen. Auf der Vereinigungspressekonferenz 1992 träumte Jungpolitiker Willi von mehr: "Gemeinsam wären durchaus 20 Prozent möglich." Dass einst sogar das Bürgermeisteramt greifbar sein würde, ahnte er damals noch nicht. Sein Weg führte ihn vom Gemeinderat in den Landtag und schließlich in den Nationalrat. Innsbruck verlor er dabei nie aus den Augen. Er engagierte sich gegen die Transitbelastung und gegen überbordenden Tourismus. Einer seiner Lieblingsgegner war über all die Jahre ein alter Freund seines Vaters: der frühere Bürgermeister von Innsbruck und Landeshauptmann von Tirol, Herwig van Staa. Er spaltete einst die Bürgerliste "Für Innsbruck" von der ÖVP ab. Würde das bürgerliche Lager geeint auftreten, läge es vor den Grünen. "Der Willi ist ein sehr fleißiger und ernsthafter Mensch. Sein Hauptproblem ist nicht seine Person, sondern seine Mannschaft, die politisch sehr weit links steht", sagt Van Staa heute.

Willis jüngster Erfolg ist nicht nur seiner regionalen Bekanntheit geschuldet. In der Stadt am Inn sind die Bedingungen für die Grünen besonders günstig: Schon bei Nationalrats-und Landtagswahlen im Jahr 2013 schafften die Ökos den Sprung auf den ersten Platz. In keiner anderen Kommune ist der Studentenanteil so hoch wie in Innsbruck. Auf 132.000 Einwohner kommen 35.000 Studierende. Dazu mischen sich Tausende EU-Bürger, die der Stadt einen Hauch von Internationalismus verleihen. Und obwohl die Innsbrucker mit der Entwicklung ihrer Stadt zufrieden sind (88 Prozent lobten 2015 in einer Studie des Instituts Sora die Lebensqualität), hat Willi einen Nerv getroffen: Die Wohnungspreise machen selbst der Bundeshauptstadt Wien Konkurrenz, und auch in Fragen der Transparenz und Mobilität sehen die Innsbrucker Aufholbedarf - drei grüne Kernthemen, die Willi im Wahlkampf zu bedienen weiß.

"Sonst können sie sich in Zukunft brausen gehen."

Mit seiner Entourage radelt Willi am Mittwoch der Vorwoche durch die Stadtteile Innsbrucks, macht an neuralgischen Punkten Halt und erklärt sein Programm. Er deutet auf einen neuen Wohnpark im Grünen: "Für Baugrundstücke in Grünlage müssen die Investoren der Allgemeinheit etwas zurückgeben. Sonst können sie sich in Zukunft brausen gehen." Einen Moment später interessiert er sich in einem Park für die städtische Sicherheitswache: "Ihr kennt's wahrscheinlich eure Pappenheimer?", fragt er. Die beiden Uniformierten nicken.

Willi kann erklären und zuhören. Aber kann er auch als Stadtchef eine bunte Truppe zusammenhalten und 1500 Magistratsmitarbeiter führen?"Die Grünen haben in Innsbruck endgültig den Ruf des Bürgerschrecks abgelegt. Die vergangenen sechs Jahre in der Stadtregierung machen sich bezahlt", sagt der aus Innsbruck stammende Politikberater Peter Plaikner, einst Journalist bei der "Tiroler Tageszeitung". Willi sei seit Jahren der "logische Spitzenkandidat" der Grünen gewesen, meint Plaikner. Interne Querelen hätten das fast verhindert.

Die Rückkehr vom Wiener Nationalratsparkett nach Innsbruck war beschwerlich. Willi musste erst die etablierte grüne Vizebürgermeisterin Sonja Pitscheider bei den parteiinternen Vorwahlen niederringen - und hinterher den grünen Gemeinderatsklub befrieden, der keine Freude mit dem Führungswechsel hatte. Der ausgebildete Mediator Willi ist für seine eigenwilligen Ansätze zur Streitschlichtung bekannt -bei den Grünen Innsbruck half gemeinsames Kochen und Mittagessen. "Ich lasse die Leute ganz viel reden und frage nach. So treten die Interessen hinter dem hervor, was sie sagen." Nur die geschlagene Ex-Parteichefin Pitscheider ließ sich nicht einkochen. Sie warf Willi zwei Tage vor der Wahl vor, die "Sprache der Rechten" zu verwenden. Er hatte erklärt, ein Dach über dem Kopf sei den Wählern wichtiger als die Debatte über das Binnen-I. Pitscheider trat aus. Geschadet hat ihm das nicht.

"Ich habe Glück", lächelt der Vater eines Sohnes die Frage weg, warum er erfolgreicher ist als die Grünen in Restösterreich. Auch wenn er es nicht zugeben würde: Unerwartet kommt der Erfolg nicht. Bereits Ende 2017 engagierte Willi den früheren grünen Nationalrat Dieter Brosz. Der Ex-Grüne führt heute eine Beratungsagentur und schulte Willis Team in politischer Verhandlungsführung. Man will für den Ernstfall gerüstet sein, und der Ernstfall heißt: Juniorpartnersuche als Bürgermeisterpartei. Brosz vermutet: "Angestrebt hat er den Bürgermeister sicher schon länger. Jetzt war der Zeitpunkt da, wo er gesagt hat: Ich will es wissen."

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.