Geschäftsmodell: Angst

Geschäftsmodell: Angst - Hochkonjunktur für Security-Firmen

Privatisierung. Der Staat spart - auch bei der Sicherheit. Ein lukratives Geschäft für Security-Dienstleister

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Wo edle Designermodelle, Nobeljuwelen und die neuesten italienischen Taschenkreationen um die Aufmerksamkeit der Flaneure buhlen, sind die Pistolenhalfter nicht weit. In anderen Metropolen gehört dieser Anblick längst zum Alltag. Im Goldenen Quartier am Kohlmarkt, dem teuersten Pflaster Wiens, sind die Männer in dunklen Anzügen, die diskret, aber unübersehbar bewaffnet vor mondänen Vitrinen Wache halten, noch gewöhnungsbedürftig.

So viel Zeit kann nicht verstreichen, dass der oberste Polizeigewerkschafter Hermann Greylinger sich mit den privaten Kollegen abfinden wird, die von den Luxushändlern der Nobelmeile angeheuert werden. Für Recht und Ordnung sei die Polizei zuständig, insistiert Greylinger: "Der Staat muss dafür sorgen, dass wir genug Personal haben. Dann können wir mehrmals am Tag hier vorbeikommen, und niemand braucht sich private Sicherheitsleute vor das Geschäft zu stellen.“

Der Staat steht unter Sparzwang
Eigentum, zumal exklusives, scheint bedroht. Das ist zumindest der Eindruck, der entstehen soll, weil dann das Geschäft mit der Sicherheit floriert. Der Staat steht unter Sparzwang. Immer mehr Agenden der Exekutive werden von Sicherheitsdienstleistern übernommen: Parkraumbewachung, Flughafenkontrolle, Bewachung von Gerichtsgebäuden und Spitälern, Ordnungsdienst bei Großereignissen und - jüngstes Beispiel - die Betreuung von Schubhäftlingen (siehe Kasten Seite 18). Privat ist günstiger, flexibler - und vor allem frei von Folgekosten wie Zulagen oder Pensionsansprüchen.

Im traditionell staatskritischen angloamerikanischen Raum ist Sicherheit schon länger in privater Hand. Das Einsperrgeschäft expandiert rund um den Globus: Die weltweite Nummer eins, die Geo Group Inc, betreibt dutzende Gefängnisse und Flüchtlingslager in zahlreichen Ländern.

In Großbritannien, wo 1992 die erste Haftanstalt privatisiert worden war, führte man 20 Jahre später eine neue Generation privater Billiggefängnisse ein. G4S hatte den Zuschlag für Oakwood in Nordengland bekommen. Was der britische "Guardian“ unlängst berichtete, klingt nicht nach einer Erfolgsstory: Unter den bis zu 1600 Häftlingen, die von mangelhaft ausgebildeten Wächtern eher schlecht als recht in Schach gehalten werden, grassieren Alkohol, Drogen und Gewalt. Doch weil die Anstalt billig ist (ein Häftling dort schlägt mit nur 12.000 Pfund jährlich zu Buche, in staatlichen Anstalten liegen die Kosten bei durchschnittlich 22.400 Pfund) und Resozialisierung nicht auf der Prioritätenliste der regierenden Tories steht, geht in drei Jahren schon das nächste Privatgefängnis in Betrieb.

3500 Soldaten bei Olympia
Dabei hatte das Kabinett Cameron 2012 große Mühe, gegenüber der Bevölkerung den Trend zu privaten Sicherheitskräften zu rechtfertigen. Damals konnte die mit der Überwachung der Olympischen Spiele beauftragte Group4 Security nicht genügend Personal bereitstellen; 3500 Soldaten mussten einspringen.

In Österreich glitt die Entwicklung eher unmerklich voran. In der vergangenen Dekade konnten die Wachdienste ihren Umsatz auf fast 400 Millionen Euro nahezu verdoppeln. Doch bis heute weicht die Politik der Debatte aus, was die Privaten tun dürfen, was sie können müssen, welche gesetzliche Basis notwendig ist und welche Kernkompetenzen der Staat bei sich behalten soll. Es geht bei diesen Fragen um Grundrechte, Ideologie und vor allem: um sehr viel Geld.

Sicherheit ist ein Geschäft mit der Angst. Eigentumsdelikte, Cyberkriminalität, Unternehmensspionage, immer mehr Festivitäten im öffentlichen Raum, internationale Konferenzen: Über allem schwebt das Bedürfnis nach absolutem Schutz. Davon profitieren die kommerziellen Sicherheitsanbieter.

Die "großen Vier" der Security-Branche
Die Zahl der Wachdienste und ihrer Mitarbeiter vervielfachte sich innerhalb weniger Jahrzehnte. Fast 400 Unternehmen teilen sich den Markt in Österreich. Platzhirsche sind aber die "großen Vier“: Group4Security, Securitas, Österreichischer Wachdienst und Siwacht.

Die unter britischer Fahne segelnde Österreich-Niederlassung der Group4Security, kurz G4S, steigerte ihren Umsatz von 60,8 Millionen im Jahr 2005 auf 85,5 Millionen Euro im Vorjahr; der Securitas-Konzern mit Sitz in Schweden wuchs im selben Zeitraum von 33,2 Millionen auf 47 Millionen; der Österreichableger der ebenfalls schwedischen, auf Geldtransporte spezialisierten Loomis-Gruppe konnte ihren Umsatz seit 2005 von 16,2 Millionen auf 28,8 Millionen steigern.

Wo Gewinner sind, gibt es auch Verlierer: Um die Jahrtausendwende zählte die Exekutive fast 30.000 Beamte. Danach ging es steil bergab. Ausgerechnet Schwarz-Blau, deren Proponenten für Sicherheit und Ordnung standen, strichen zwischen 2000 und 2006 über 3000 Planstellen. 2009 ließ sich die Regierung das Zugeständnis abringen, wieder 1000 neue Polizisten im Jahr einzustellen. Davon gehen zwei Drittel durch Pensionierungen oder Kündigungen verloren, sodass die Polizei - trotz imposanter Ankündigungen, wonach mehr Uniformierte auf die Straßen kämen - mit knapp mehr als 27.000 Bediensteten deutlich unter dem Stand früherer Jahre liegt.

Der Personalabbau weichte - nicht nur in Österreich - das Sicherheitsmonopol der Exekutive auf. Laut einer Studie der Confederation of European Security Services (CoESS, Dachverband der europäischen Sicherheitsdienstleister) und der Universität Brüssel aus dem Jahr 2010 standen in 34 untersuchten Ländern zwei Millionen Polizeibedienstete 1,7 Millionen privaten Sicherheitskräfte gegenüber. Österreich hat mit einem Verhältnis von eins (Private) zu fünf (Polizisten) noch einen starken staatlichen Sektor. In den USA drehte sich das Verhältnis längst um: 1,5 Millionen private Wachmänner versus 830.000 staatliche Sicherheitskräfte.

"Der Trend geht Richtung technische Lösungen"
Der österreichische G4S-Vorstand Matthias Wechner sieht deshalb durchaus Wachstumspotenzial im hoheitlichen Bereich, der derzeit knapp zehn Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht: "Ich bin bereit, mit dem Justizministerium über private Aufträge in Gefängnissen und die Rahmenbedingungen dafür zu reden.“ Beim Konkurrenten Securitas spielen einst staatliche Aufgaben, und hier überwiegend die Überwachung der Landesflughäfen, bereits bis zu 25 Prozent des Umsatzes ein. Geschäftsführer Martin Wiesinger sieht Österreich bei Privatisierungen "erst auf halbem Weg“, vom Überwachungsgeschäft erwarte er aber nicht mehr viel: "Der Trend geht in Richtung technische Lösungen.“ Also Zutrittssysteme oder Videoüberwachung.

Das Sicherheitsbusiness nahm in Europa erst nach dem 11. September 2001 Fahrt auf. Brüssel fördert die Branche mit vielen Forschungsmillionen. Politik und Sicherheitsanbieter verschmelzen zu Interessengemeinschaften. In Österreich bündeln sich die Kräfte im Kuratorium Sicheres Österreich, kurz KSÖ, das sich als "nationale Vernetzungs- und Informationsplattform im Bereich innere Sicherheit“ versteht. Partner sind Sicherheitsanbieter wie RSA, SafeNet, EVVA oder Thales, aber auch Versicherungen, Autofahrerclubs und Software-Unternehmen wie Kapsch, IBM oder Microsoft. In Präsidium und Vorstand sitzen Security-Platzhirsche wie G4S-Vorstand Wechner, Securitas-Chef Wiesinger, der Geschäftsführer der Sicherheitsberatung SecureLine, Michael Zoratti, oder Reinhart Gausterer, Generaldirektor der Oesterreichischen Staatsdruckerei, wo alle amtlichen Papiere und Ausweise gedruckt werden.

So weit, so unverdächtig.

Was Spitzenbeamte des Innenministeriums in der Runde zu suchen haben, ist zu hinterfragen: KSÖ-Vizepräsident ist Franz Einzinger, Chef der Sektion I im Innenministerium und zuständig für Budget, Personal und Ausbildung; Hermann Feiner, verantwortlich für Beschaffungen, Vergaben, Technik und IKT, sitzt ebenso im KSÖ-Präsidium wie Mathias Vogl, Leiter der Legistik in der Herrengasse. Weiters vertreten: Konrad Kogler, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit; Franz Lang, Direktor des Bundeskriminalamtes, sowie fast alle Landespolizeispitzen.

"Sicherheit kein ausschließliches Produkt der Exekutive"
Ein Interessenskonflikt? "Da Sicherheit kein ausschließliches Produkt der Exekutive sein kann, hat sich das Kuratorium Sicheres Österreich zum Ziel gesetzt, durch seine Veranstaltungen und Aktivitäten das Verhältnis zwischen Bürger - Exekutive - Politik - Medien - Wirtschaft permanent zu verbessern und friktionsfrei zu gestalten“, lautet die ausweichende Antwort aus dem Innenministerium.

Offener formulierte der ehemalige Direktor für die öffentliche Sicherheit, Johann Schadwasser, im ministeriumseigenen Magazin "Öffentliche Sicherheit“: Österreich habe sich auf einen "informellen Weg der Zusammenarbeit“ verständigt, der KSÖ sei das "Bindeglied bei der Wahrung öffentlicher und privater Interessen“.

Diese laufen freilich nicht immer parallel. Mehr private Wachleute heben nicht das subjektive Sicherheitsgefühl, wie Walter Fuchs vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie in seiner Dissertation über private Sicherheitskräfte im europäischen Vergleich befundet. Im Gegenteil: "Je stärker die Sicherheitsindustrie, desto geringer ist das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung und das Vertrauen in die Institutionen.“ Damit freilich geraten Grundpfeiler für demokratische Stabilität und gesellschaftlichen Zusammenhalt ins Wanken.

Im Ernstfall muss immer die Polizei ran
Es ist eine Negativspirale: Wo private Securitys patrouillieren, wird mehr gesehen und angezeigt. Das beunruhigt die Anrainer, weil die Polizei permanent zur Unterstützung anrücken müssen. Nur sie darf im Ernstfall einschreiten. Securitys dürfen - grob gesprochen - das, was jeder Bürgerin und jedem Bürger auch erlaubt ist. Da können die Unternehmen auf ihren Websites noch so viel versprechen: "Präventionsarbeit durch verdeckte Ermittlungen und Observationen“ (G4S), "Sicherung von Beweismaterial in zivil- und strafrechtlichen Angelegenheiten durch moderne Technik und durch nationale und - wenn nötig - internationale Kontakte“ oder "Rückführung von gestohlenen und unterschlagenen Sachwerten“ (Securitas).

Der Handlungsspielraum von Polizisten ist durch Sicherheitspolizei- und Waffengebrauchsgesetz, aber auch das Disziplinarrecht, eng gesteckt. Ihre privaten Kollegen dürfen im öffentlichen Raum Personen weder anhalten noch wegweisen. Nur wenn sie einen Übeltäter bei einem strafrechtlich relevanten Delikt ertappen (etwa einem Überfall), dürfen sie diesen festhalten, bis die Polizei kommt, und dabei notfalls auch grob werden. Der Gesetzgeber verlangt "Verhältnismäßigkeit“. Verglichen mit den präzise gefassten Bestimmungen für Exekutivbeamte ist das ein diffuses Terrain.

Das Handeln privater Securitys sei mit "enormer Rechtsunsicherheit“ behaftet, sagt Grundrechtsexperte Christof Tschohl.

Polizisten haben eine Dienstnummer, absolvieren eine zweijährige Ausbildung und werden für Konfliktsituationen geschult; Securitys weisen sich nicht aus und ihre Ausbildung beschränkt sich in vielen Fällen auf ein paar Trainingseinheiten.

Übertritt ein Polizist seine Kompetenzen, steht er vor der Disziplinarkonferenz. Und ein privater Wachmann?

Vor einem Jahr war ein Ö1-Radioreporter dabei, als Securitys Schlafende aus abgestellten ÖBB-Waggons verjagten und es dabei zu Handgreiflichkeiten kam. Geahndet wurden sie nicht. Die Obdachlosen hätten sich den Weg vor ein Zivilgericht auch nicht leisten können. Auch "menschenrechtliche Kontrollinstrumente werden stumpf, wenn die privaten Sicherheitsdienstleistungen um sich greifen“, sagt Martin Schenk vom Menschenrechtsbeirat in der Volksanwaltschaft, die im Übrigen auch immer mehr Beschwerden über private Sicherheitsmitarbeiter, die im Gesundheits- und Pflegebereich eingesetzt sind, notiert.

Gesetzliche Basis erforderlich
Dass die steigende Zahl an privaten Sicherheitsdienstleistern eine gesetzliche Basis erforderlich macht, weiß die Politik nicht erst seit heute. Schon 2007 stand im Koalitionsabkommen: "Es fehlt für deren Tätigkeit ein Bundesgesetz, in dem klare Grenzen zwischen staatlichem Gewaltmonopol und Aufgaben von Sicherheitsunternehmen definiert werden.“ Zwei Jahre später schrieb das Kabinett Faymann I nieder: "Die Schutzpflichten des Staates dürfen nicht aufgeweicht werden, da es dadurch zu einer Niveauverschlechterung des Grundschutzes kommt.“ Daher brauche es "eine explizite Abgrenzung zwischen staatlichem Gewaltmonopol und Aufgaben von Sicherheitsunternehmen.“ Der Anspruch verkam 2013 im rot-schwarzen Programm von Faymann II zur kurzen Feststellung: "Qualitäts- und Ausbildungsstandards für privaten Sicherheitsdienstleister.“

Das Innenministerium teilt knapp mit, ein "Projekt“ sei "in Vorbereitung“.

Kommerzielle Wachdienste agieren auf Basis der gewerblichen Genehmigungen für Wachdienste und für Berufsdetektive. Weil die Wirtschaftskammer, welche die Gewerbescheine erteilt, an Verschärfungen nicht interessiert ist, hängt das Vorhaben gut ab. Dabei plädiert selbst G4S-Chef Wechner, Ex-Jurist im Kabinett des Innenministers, dafür, Graubereiche zu regeln und die Ausbildung zu verbessern.

Vielleicht wäre es unter anderen Voraussetzungen im September des Vorjahres nach dem Freundschaftsmatch 1. FC Nürnberg gegen SK Rapid im Wiener Hanappi-Stadion nicht zu stundenlangen Ausschreitungen gekommen. Fußballrowdys bewarfen Polizisten und Ordner des Wiener Sicherheitsunternehmens FassSec mit Glasflaschen und Heurigenbänken. Bei der jüngst abgeführten Gerichtsverhandlung wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch und Körperverletzung stellte sich Erstaunliches heraus: Die Großteil aus Ungarn rekrutierten Securitys waren zwar kampfsportgeschult, Techniken der Deeskalation oder gar gesetzliche Bestimmungen waren ihnen freilich fremd.

Wie auch die deutsche Sprache: Bis auf "Ruhe!“ verstanden sie kaum ein Wort.

Mitarbeit: Michelle Kreuzer, Susanne Veil

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges