Gewaltentrennung

Gewaltentrennung: Die Pannenserie der Grünen

Grüne. Fuzo-Desaster, Anarchie-Verdacht, Altparteien-Image: die Pannenserie der Grünen

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Für Grüne ist der Fasching eher eine Freiluftveranstaltung – schon immer: Im Februar 1987 hatten die Ökos zur Demonstration gegen den Opernball und dessen Stargast Franz-Josef Strauß aufgerufen. Der Protest gegen den obersten Bayer und die oberen Zehntausend in der Oper endete mit Krawallen, schwer verletzten Polizisten und einem parlamentarischen Nachspiel: FPÖ-Chef Jörg Haider warf der grünen Klubobfrau Freda Meissner-Blau vor, sich „von anarchistischen Exzessen grüner Kommunisten“ nicht zu distanzieren.

Vergangene Woche geriet die heutige Grünen-Chefin unter blauen Beschuss. Nach den gewalttätigen Ausschreitungen bei Protesten gegen den FPÖ-Akademikerball in der Wiener Hofburg warf Heinz-Christian Strache Eva Glawischnig Mitverantwortung für „die Gewaltexzesse der linksfaschistischen Stiefeltruppen“ vor. Die Grünen seien eine „Quelle der Gewalt“. Glawischnig reagierte wie Freda Meissner-Blau 27 Jahre zuvor: Die Grünen würden „Gewalt in jeder Form ablehnen“.

Wenn eine Pazifistenpartei wieder einmal unter Anarchieverdacht gerät; wenn eine Partei der Fußgänger, Radfahrer und Bürgerinitiativen plötzlich eine Bürgerbefragung zu Radfahrer- und Fußgängerzone fürchten muss; wenn eine einstige Reformbewegung auf einmal den Hautgout einer Altpartei verströmt – dann kann es sich dabei eigentlich nur um die österreichischen Grünen des Jahres 2014 handeln, auch wenn sie selbst das aktuelle Lagebild gänzlich anders zeichnen. Bei der grünen Klubklausur vergangene Woche in Mauerbach bei Wien bot Eva Glawischnig ihre Partei für „einen Neustart“ nach dem absehbaren Ende der Großen Koalition an. Werner Faymann und Michael Spindelegger seien „Konkursverwalter einer alten Politik“, die Grünen jedoch böten „bessere Lösungen“.

Doch vorerst ist bessere Lösungskompetenz in eigener Sache gefragt. In einer Mischung aus ideologischer Verblendung und politischer Tollpatschigkeit hatten die Jungen Grünen eine Website zur Verfügung gestellt, die der linksextreme Schwarze Block als willkommenes Service zur Organisation seiner Krawalltätigkeiten beim Akademikerball nutzte. Die ehemalige grüne Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft, Janine Wulz, war feixend unmittelbar neben dem Schwarzen Block marschiert.

Differenzierungsschwächen
Auf die erste Kritik an ihren Kontakten zu gewaltbereiten Linksextremisten reagierten die Junggrünen rotzig-trotzig. Erst als ihnen die Parteichefin mit dem Rauswurf drohte, gelobte Bundessprecher Cengiz Kulac Besserung und gab die geforderte „Garantieerklärung“ ab, derartigen Unfug in Zukunft zu unterlassen. Grün-Veteran Peter Pilz attackierte den Parteinachwuchs am heftigsten: „Wer nicht in der Lage ist, zwischen Grüner Bewegung und Schwarzem Block zu unterscheiden“, sei in der Partei nicht erwünscht.
Die neue Grün-Abgeordnete Sigrid Maurer, 28, zeigte vergangene Woche ebenfalls eklatante Differenzierungsschwächen. Bei einer Diskussion im Privatsender Puls 4 brachte es die – immerhin auf die Bundesverfassung vereidigte – Mandatarin nicht zuwege, sich vom Schwarzen Block zu distanzieren. Der grüne Wiener Gemeinderat Klaus Werner-Lobo wiederum quittierte die von Glawischnig geforderte Klarstellung mit Spott. Via Online-Dienst Twitter fragte Werner-Lobo an, ob denn der Spitzenkandidat der Europäischen Grünen, José Bové, „überhaupt eine Garantieerklärung abgegeben“ habe, „dass er keinen McDonald‘s mehr zertrümmern wird“. Der Globalisierungsgegner und Bauernführer hatte mit Gesinnungsfreunden 1999 eine in Bau befindliche Hamburger-Bude im französischen Millau plattgemacht.

Statt über linksradikale Gewalt echauffierten sich die Wiener Grünen lieber über die vermutete staatliche und forderten den Rücktritt des Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl; erst durch das umfangreiche Platzverbot und das Eingreifen der Polizei sei die Demonstration eskaliert. (siehe Artikel hier).
Die vorwöchige Debatte um klammheimliche Sympathien der Parteijugend für den Schwarzen Block verhagelte Glawischnig und ihren Spitzenkandidaten Ulrike Lunacek und Michel Reimon den Auftakt zum EU-Wahlkampf. Dabei steht einiges auf dem Spiel: Im Jahr 2009 waren die Grünen nach der Auseinandersetzung um die Zwangspensionierung ihres EU-Altvorderen Johannes Voggenhuber auf klägliche 9,9 Prozent abgestürzt – nach 12,9 Prozent 2004. Nun peilt Glawischnig sogar ein drittes Mandat an.
Interner Wirbel ist absehbar. Denn die nur auf Platz fünf gereihte Ex-Parteichefin Madeleine Petrovic will einen Vorzugsstimmenwahlkampf führen, um an Reimon vorbei doch den Sprung ins EU-Parlament zu schaffen. Petrovic will ihren parteiintern nicht goutierten Vorzugsstimmenwahlkampf als Offensivmaßnahme gegen die neue Konkurrenz verstanden wissen: „Wir werden einen schwierigen Wahlkampf haben, und ich möchte am Wahltag nicht vor der Situation stehen, dass die NEOS stärker sind als wir.“

Dass im Nationalratswahlkampf die pinken Mitbewerber unterschätzt wurden, gesteht man mittlerweile ein. Immerhin verloren die Grünen manchen Berechnungen zufolge, relativ gesehen, sogar stärker an die NEOS als die ÖVP. Doch mehr als ideologische Abqualifizierungen ist den Ökos in der Auseinandersetzung bisher nicht eingefallen. Die Pinken stünden für „für Deregulierung und die Senkung von Sozialstandards und damit für einen den Grünen entgegengesetzten Kurs“, so Glawischnig bei der Klubklausur der vergangenen Woche. Fast freiheitlich deftig die Wortwahl des EU-Kandidaten Michel Reimon: Die NEOS seien „Lakaien der Großindustrie“.

Im Vergleich zu den Neuankömmlingen wirken die Grünen freilich paläozoisch. Die Erfolge 2013 mit Regierungsbeteiligungen in Kärnten, Salzburg und Tirol wurden von der – trotz 12,4 Prozent – gefühlten Niederlage bei der Nationalratswahl verdrängt. Und was auch immer Grüne in den Landesregierungen in Klagenfurt, Linz, Innsbruck und Salzburg an Sacharbeit leisten – dominiert wird die Berichterstattung vom angewandten grünen Dilettantismus in Zusammenhang mit der Verkehrsberuhigung in der Wiener Mariahilfer Straße.

Schönheitsfehler
Vor der nun anlaufenden Bürgerbefragung zur missglückten Einführung der Fußgänger-, Radfahrer und Begegnungszone fahren die Rathaus-Grünen eine gnadenlose Propaganda-Maschinerie hoch. Vergangene Woche präsentierte Verkehrssprecher Rüdiger Maresch eine Studie zur Luftqualität in Mariahilf. Das bejubelte Ergebnis: Seit der Verkehrsberuhigung in der Mariahilfer Straße sei die Belastung durch Feinstaub, Stickoxide und Benzol im zweistelligen Bereich zurückgegangen. Der kleine Schönheitsfehler: Im Zuge der Studie wurde die Luftqualität technisch gar nicht gemessen, sondern nur theoretisch aufgrund des Verkehrsaufkommens berechnet.
Geht die Volksbefragung für Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou schief, dürfte die rot-grüne Koalition in Wien ein einmaliges politisches Experiment bleiben – was vor allem den Genossen in den großen Arbeiterbezirken wie Favoriten und Simmering durchaus recht sein dürfte.

Die mangelnde Regierungsreife in Wien und die Linksextremismus-Versteher in der Parteijugend drohen das strategische Ziel von Glawischnig zu torpedieren, dauerhaft auch bürgerliche und politik-fernere Schichten abzuschöpfen – wie etwa beim fulminanten Erfolg bei den Landtagswahlen in Salzburg. Denn Ergebnisse jenseits der 15 Prozent sind für Grüne nur möglich, wenn sie Hausbesetzer und Hausbesitzer, Opernball-Demonstranten und Opernball-Besucher gleichermaßen ansprechen.
Im Wahlkampf 2013 setzten Glawischnig und ihr Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner auf eine Doppelstrategie „Saubere Umwelt, saubere Politik“.
Neben Kernwählern mit dogmatischem Interesse für globale Gerechtigkeit, Umweltschutz, Umverteilung und Bürgerrechte sollten mit „lebensnahen“ Themen wie Schule und gesunder Ernährung auch an Überbau-Themen weniger interessierte „Erweiterungsgruppen“, wie Wallner sie nennt, angesprochen werden. Und beinahe wäre das Konzept voll aufgegangen: Bis kurz vor dem Wahltag lagen die Grünen nahe der 15-Prozent-Marke. Dass gerade in den letzten beiden Wochen die Werte schmolzen, lag zum einen an den NEOS und der medialen Aufmerksamkeit für Frank Stronach. Zum anderen habe, so Stefan Wallner, auch die „uralt-grüne Schulmeisterhaltung“ der ebenfalls wahlwerbenden deutschen Parteifreunde zu Vermögensteuern und Veggie-Day negativ auf Österreich abgestrahlt.

Bei der Klubklausur vergangene Woche in Mauerbach führten die Grünen „durchaus intensive Diskussionen“ (so ein Teilnehmer) über eine strategische Neuausrichtung. Während etwa Glawischnig für Kooperationen mit der Regierung in Einzelfragen eintritt, plädiert Peter Pilz für eine scharfe Abgrenzung.
Und während Glawischnig und Bundesgeschäftsführer Wallner die Doppelstrategie des Wahlkampfs „Saubere Umwelt, saubere Politik“ fortsetzen und erweitern wollen, plant Pilz, bis März mit anderen Abgeordneten ein eigenes umfangreiches Strategiepapier auszuarbeiten.
Eine zentrale Frage verbindet die jüngere Truppe um Glawischnig und die ältere um Pilz: Wie kann es den Grünen gelingen, gleichzeitig besser gebildete, souveräne Bürger und um ihre soziale Sicherheit fürchtende, schlechter gebildete Angstwähler anzusprechen?

Denn bisher galt: Grüne werden von gut verdienenden Mittelschichtlern gewählt, damit sie das Leid schlecht verdienender Unterschichtler lindern. 2018 sollen auch die Benachteiligten Grün wählen können. Bundesgeschäftsführer Wallner: „Mieten, Pflege, Energiekosten sind auch unsere Themen. Wir werden enttäuschten Wählern der Sozialdemokraten ein Angebot machen.“
Der Grüne Geschäftsführer empfing nach der Klubklausur vergangene Woche Besuch aus Deutschland. Der nach der Wahlklatsche im September (Absturz auf 8,3 Prozent) neu gewählte Politische Geschäftsführer der Deutschen Grünen, Michael Kellner, war zum Gedankenaustausch von Berlin nach Wien gereist. Kellner hatte seine Parteifreunde angesichts der nach der Niederlage ausgebrochenen strategischen Streitereien zwischen Realos und Fundis aufgefordert, „nicht in Selbstbeschäftigung zu versinken“.
Was Eva Glawischnig sich angesichts der aktuellen Pannenserie wohl auch wünschen dürfte.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.