Graz: Siegfried Nagl – der letzte erfolgreiche ÖVP-Stadtpolitiker

Graz: Siegfried Nagl – der letzte erfolgreiche ÖVP-Stadtpolitiker

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Siegfried Nagl ist eine Provokation. Für Rechte, Linke, Grüne und Liberale. Nicht zuletzt für seine eigene Partei. Man läuft ins Leere, wenn man ihm mit hochgezogener Augenbraue begegnet. Denn Nagl fühlt sich in der Politik offensichtlich wohl wie eine Forelle im Wildbach. Man wundert sich, dass dieser Politiker nicht wie alle anderen nach mehreren Legislaturperioden ausgebrannt aus dem Amt herauskriecht, sondern, im Gegenteil, nach all den Jahren verjüngt erscheint, frischer denn je. Nagl wird heuer 55 Jahre alt und sieht noch immer aus wie ein großer Junge. Ein Junge mit vier erwachsenen Kindern, vier Enkelkindern und ein paar Silberfäden im Haar.

Ein klassischer Citoyen

Vor zwei Jahrzehnten hat alles angefangen. Nagl führte mit Feuereifer den Traditionsbetrieb seines Vaters, ein seit 176 Jahren guteingeführtes Porzellangeschäft in der Grazer Herrengasse. Nur so ist dieser seltsame, aus der Zeit gefallene, und dennoch beliebte Politiker zu verstehen. Ein klassischer Citoyen, dem das Wohl der "Polis", sozusagen seines Stadtstaates, über das des Landes geht. Eine Karriere im Bund konnte ihn nie reizen. Er war in einer Kaufmann-Initiative engagiert sowie in seiner Pfarrgemeinde und in einer katholischen Studentenverbindung. Sein Couleurname dort war "Milupa", wegen seines rosig-frischen Teints oder weil er als studierender Vater ständig eines seiner Kinder auf dem Arm gehabt hatte.

Nagl hatte sich gern bereiterklärt, für die ÖVP auf dem Grazer Hauptplatz Flugblätter zu verteilen. Der Legende nach war er der damaligen Landeshauptfrau Waldtraud Klasnic dabei aufgefallen. Bald danach war er Stadtrat, fünf Jahre später Bürgermeister. Er hatte den beliebten Alfred Stingl beerbt, einen Sozialdemokraten alter Schule. Stingl hatte Nagl wohlwollend gefördert. Er sah in ihm einen Wahlverwandten, einen Politiker, der sich um alles kümmern würde, wie er es selbst getan hatte. Die SPÖ hat sich freilich nie wieder vom Verlust des Bürgermeisteramtes erholt.

Klarer Sieg für ÖVP in Graz - KPÖ hielt Platz zwei

Bei der Gemeinderatswahl am 5. Februar hat Nagl den Bürgermeistersessel verteidigt. Es gibt keine großen Umwälzungen, aber überraschend große Gewinne für die ÖVP und die Verteidigung von Platz zwei durch die KPÖ. Die FPÖ legte zu, konnte die KPÖ aber nicht überholen. Grüne und SPÖ verloren.

Im Laufe der vergangenen drei Perioden hat er mit jeder im Stadtparlament vertretenen Partei, bis auf den einen Piraten, schon einmal koaliert. Zuletzt mit den Kommunisten.

Graz ist ein eigenes Pflaster

Graz wächst durch Migration. Graz ist konservativ. Ein arrogantes, bisweilen revoltierendes Kleinbürgertum, eine Studentenschaft von drei Hochschulen und Kreative, die einander in provinzieller Enge lieben und hassen zugleich, haben die politischen Verhältnisse immer schon unberechenbar und volatil gemacht. Die Grazer Geschäftsleute sind ein eigener, beständiger Machtfaktor. Diesem Milieu entstammt Nagl, als Erbe des alten Familienunternehmens.

Doch er trägt nicht die Last dieser Familiengeschichte, besitzt nicht den Dünkel des eingesessenen Bürgertums. Sein Vater hatte in das Geschäft eingeheiratet. Wie durch ein Wunder hat der "Klammerth" bis heute überlebt.

"Dienst am Kunden"

Schon als fünfjähriger Stoppel sei er auf die Kunden zugesprungen, wenn die Ladenklingel ertönte, um ihre Wünsche zu erfahren und sie zu erfüllen. Es schade nicht, "wenn du im Handel aufgewachsen bist", sagt Nagl. Diese Haltung des "Dienst am Kunden", die man heute nur noch als Werbephrase kennt, ist offenbar Nagls innerster Wesenskern. Neben Familiensinn und Gottvertrauen.

Nagl sieht sich als Scharnier in der Polis, als Vermittler zwischen den Bürgern, den Parteien, vor allem aber fühlt er sich verantwortlich für alles, was in der Stadt geschieht, vom Strom, der aus der Steckdose kommt, bis hin zu den Papierfetzen, die der Wind auf der Straße aufwirbelt. In der Ausländerpolitik, in der auch in Graz die Emotionen hochkochen, ist keiner ganz mit Nagl zufrieden. In der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 hat er die Zivilgesellschaft zusammengeholt und nachhaltige Strukturen geschaffen. Bis heute leisten die Grazer unglaubliche Freiwilligenarbeit in der Betreuung von Flüchtlingen. "Vielleicht werden wir für spätere Generationen einmal ein Vorbild sein", sagte Nagl, um kurz danach auf Obergrenzen zu bestehen -mehr als ein Prozent könne man nicht verkraften.

Sauberer Strom, sauberes Wasser

Wenn er über seine hochfliegenden Pläne für Graz spricht, wirkt das leicht hypertroph. Eine Mur-Gondel soll die Grazer ins Umland schaukeln. Nicht Wien, sondern Silicon Valley sei das Vorbild. Nagl will, "dass Graz als die modernste Stadt Österreichs wahrgenommen wird, wo die Kreativen sitzen, die sich verrückte neue Lösungen zutrauen". Er will den Mur-Fluss, der sich zwischen den beiden Stadtteilen, dem armen und dem reichen, eingegraben hat, "wieder zu einem Lebensraum machen, der die Teile zusammenführt". Er will sauberen Strom, sauberes Wasser. "Und wenn da einmal Boote sind, dann sind da auch Schwäne, dann haben wir die Ruderer hier, und die Nationalmannschaft der Ruderer wird hier bei uns trainieren, weil es bei uns so windstill ist." So referiert Nagl in einem Innenstadtlokal vor einer Versammlung der Grazer Griechen. Vor diesen Zuhörern spricht er auch von einem Marshallplan für Griechenland, bei dem die Grazer Unternehmerschaft eine wichtige Rolle spielen könnte. Die älteren Männer lächeln milde.

Er variiert seine Ideen für das jeweilige Publikum. Einmal ist er stolz auf die "Ordnungswacht", die durch die Grazer Innenstadt patrouilliert, eine uniformierte Truppe, die grölende Passanten abstraft und auch für Hundstrümmerl zuständig ist. Ein anderes Mal sagt er, es wäre ihm lieber, man würde sie nicht brauchen.

Nagl kann gut mit den Menschen. Beim ÖVP-Stand in der Herrengasse stellt er sich geduldig aufgebrachten Ausländerhassern. Er weiß bereits von der bevorstehenden Razzia gegen ein islamistisches Netzwerk. Er stimmt nicht in die Wutreden von der Parallelgesellschaft ein. Mancher geht von dannen wie ein sanftes Lämmchen.

Biedersinn

Nagl scheint seine Wiederwahl ohne Egomanie zu betreiben, ohne dass persönlicher Triumph im Spiel wäre. So einem verzeiht man politische Patzer, den Biedersinn, der eigentlich gar nicht zu einem Städter passt. Verboten ist in Graz das Sitzen auf den Stufen des Erzherzog-Johann-Denkmals am Grazer Hauptplatz, verboten ist Alkohol auf den Straßen der Innenstadt. Verboten sind Handy-Telefonate in der Straßenbahn, Heizschwammerl und Musikanten, und Bettler sollen sich, wenn es nach Nagl geht, registrieren lassen. Einmal rief Nagl Graz "zum Bollwerk gegen die Türkei" aus. Ein anderes Mal riet er homosexuellen Grazern, mithilfe des Glaubens "in die Normalität" zurückzukehren. Nagl sieht das heute anders, doch den Trauungssaal im Grazer Rathaus, in dem sich Homosexuelle neuerdings verpartnern dürfen, würde er gern umbenennen. Er meint, bei Homosexuellen sei das keine Trauung.

"Genugtuung"

Zuletzt hat Nagl im Amokfahrer-Prozess Rachegefühle angeheizt. Der Bürgermeister war auf seiner Vespa unterwegs gewesen, als der Amokfahrer in unmittelbarer Nähe auf ein junges Paar zuschoss. Als der junge Mann starb, hielt der Bürgermeister seine Hand. Wohl aus persönlicher Betroffenheit hatte er vor dem Prozess an die Geschworenen appelliert, den Mann schuldig zu sprechen, obwohl ein gerichtliches Obergutachten den Amokfahrer zum Tatzeitpunkt für unzurechnungsfähig erklärt hatte. Nach dem Schuldspruch sprach er von "Genugtuung".

Nagls Stärke ist gleichzeitig seine größte Schwäche. Er ist authentisch.

Der Artikel ist erstmals in profil 5/2017 vom 30. Jänner 2017 erschienen – lesen Sie die komplette Ausgabe als E-Paper.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling