Analyse

Herbert Kickl: Der Brandredner

In Wahlkämpfen hat Herbert Kickl den Reiz des Volksdemagogen für sich entdeckt. Jetzt will er mehr und wird es wohl bekommen, weiß Christa Zöchling.

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In seinem früheren Leben stand der drahtige Mann mit Randlosbrille immer etwas einsam im Hintergrund, keiner Seilschaft zugehörig. Er war Gag-Erfinder und Provokateur, Wahlkampforganisator und Kenner der Massenseele. Er fand Worte und Bilder, mit denen der politische Gegner, aber auch die schwächsten in unserer Gesellschaft-Flüchtlinge, Zugewanderte - mit Hohn und Häme übergossen wurden.

Eine antisemitische Attacke auf den früheren Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, ging ebenso auf sein Konto wie der Plakatslogan "Mehr Mut für unser Wiener Blut - zu viel Fremdes tut selten gut" sowie diverse Anti-Islam-Parolen. Das gab billigen Applaus, der sich in Wählerstimmen für die FPÖ bezahlt machte. Angestrahlt wurde der jeweilige Chef, nicht der Texter.


Als Jörg Haider mit dem Gedanken spielte, eine neue Partei zu gründen, nahm Kickl frühzeitig Witterung auf und fragte bei Heinz-Christian Strache an, ob dieser als neuer FPÖ-Chef zur Verfügung stünde. Kickl hatte auf das richtige Pferd gesetzt. Es ging, auch für ihn persönlich, nach oben. Kickl war jetzt Generalsekretär der FPÖ.

2017 kam die FPÖ als Juniorpartner der Türkisen in die Regierung. Kickl wurde Innenminister und brachte freiheitliche Stammwähler zum Jubeln, als er Asylaufnahmezentren in "Ausreisezentren" umbenannte, das Ende der "Verweichlichung" im Asylbereich ankündigte und eine Änderung der Menschenrechtskonvention erwog. Denn das Recht, so Kickl, solle der Politik folgen und nicht umgekehrt. Und die Politik dem Volk. Kickls Anklänge an Worte des Kronjuristen des Dritten Reichs, Carl Schmitt, waren nicht zu überhören. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit - und unter Mitwirkung seines Generalsekretärs im Innenministerium - war ein Rollkommando gegen den Verfassungsschutz ausgerückt und hatte Unterlagen des Extremismus-Referats beschlagnahmt. Darunter auch jenes Dossier, in dem Kickls Auftritt bei einer Versammlung von Rechten und Rechtsextremen in Linz 2016 dokumentiert war. Angeblich hatte nicht einmal Vizekanzler Strache im Vorfeld davon gewusst.


Kickl war mächtig geworden. Als das Ibiza-Video die Regierung sprengte und die Türkisen zwar gern mit Norbert Hofer, aber ohne Kickl weiterregiert hätten, ging Kickl in die direkte Konfrontation zu Sebastian Kurz und half tatkräftig mit, den Bundeskanzler abzuwählen. Einige Wochen später, am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Wels, prahlte Kickl: Er habe damals zu Kurz gesagt: "Einer von uns beiden muss der Kommandant sein, und du bist es nicht."

Im Wahlkampf 2019 war Kickl bereits der heimliche Spitzenkandidat seiner Partei. Anfangs schien er selbst verwundert über die "Herbert! Herbert!"-Rufe, wenn er von der Bühne aus in die Menge sah; das Meer von Fahnen, die begeisterten Gesichter, die Stimmung, die anzuheizen er fähig war. Er war nicht mehr Vorredner, er war zum Hauptredner geworden und bekam den größten Applaus. Und er machte klar, wen er zu seinen Freunden zählte. Dem FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl, der minderjährige Asylwerber hinter Stacheldraht sperren wollte (und der jetzt vor der Anklage steht), spendete er ein dickes Lob, weil er "sich nichts geschissen hat".


Menschenverachtung kam am besten an. "Testosterongesteuerte Spanner im Schwimmbad" habe man bekommen; "nicht bestellt - Lieferung zurück", spottete Kickl über die Flüchtlinge, die 2015 nach Österreich gekommen waren, bei einem Auftritt in Krems. Seine Sprache sei das nicht, entgegnete Parteichef Hofer in einem profil-Interview etwas kraftlos.

In einem Einkaufszentrum in Pasching, am Stadtrand von Linz, begann Kickl mit einer Erklärung: "Nicht nur Freunde schauen zu, sondern auch die selbst ernannte linke Sprach- und Gesinnungspolizei. Die passt auf, was ich sage. Wenn sie bei mir den Versuch unternehmen, mir einen Maulkorb umzuhängen: Dann schnappe ich zu, dann beiße ich zu. Kann nur sagen, dass das wehtut."

Noch derber gab sich Kickl im "Hubertus Stadel" in Wien-Favoriten. "Ich halte auch nichts von diesem Dauerdistanzieren. Wenn man sich von allem distanziert, dann wird man keinen Meter vorwärtskommen. Da bin ich dann schon bei der nächsten Vokabel, wo man angeblich so vorsichtig sein soll: Was ist denn das anderes als ein Bevölkerungsaustausch, was ist denn das, wenn man seine eigene Heimat nicht mehr wiedererkennen kann!"


Seine Brandreden wurden von immer ausgefeilter und menschenverachtender, seine Mimik, die immer ein wenig pikiert gewirkt hatte, fröhlicher. Er fand Gefallen an dem, was er tat. Kickl bekam im Wahlkampf 2019 weit mehr als doppelt so viele Vorzugsstimmen wie Hofer. Er hatte den Parteiobmann damals schon auf den zweiten Listenplatz verwiesen.

Weil er um die Macht der Straße weiß, hat sich Kickl zuletzt der Anti-Corona-Bewegung angeschlossen. Nachdem im Jänner in der Bundeshauptstadt Zehntausende Menschen über den Ring marschiert waren - unter ihnen alle Schattierungen von Corona-Leugnern und Impfgegnern, die glauben, sie würden durch den Stich einen Chip implantiert bekommen, bis hin zu reinen Maskengegnern und Menschen, die den Lockdown für eine falsche Maßnahme hielten-, trat Kickl selbst als Redner auf den Plan.

Dass einige Organisatoren solcher Aufmärsche aus dem rechtsextremen Milieu stammen, dass Neonazis oder Identitäre mit riesigen "Kurz muss weg"-Transparenten die Stimmung anfachten, störte Kickl nicht. Bald trug auch er eine "Kurz muss weg"-Maske, wenn er denn schon eine aufsetzen musste.


Am Wiener Heldenplatz schmähte Kickl die Regierung als "Corona-Stahlhelme" und "Schmuddeltypen", skandierte von der Bühne herab "Kurz muss weg" und rief den Demonstranten zu: "Es ist nicht weit zum Innenministerium und zum Bundeskanzleramt. "Es war ein Spiel mit dem Feuer.

Auf einer Bühne im Prater sagte Kickl: "Wir alle haben ein intaktes Immunsystem, und ein intaktes Immunsystem macht den Menschen stark gegen jede Art von Virus und all die Mutationen, die jetzt von irgendwoher neu entdeckt worden sind. Wir konnten schon immer auf unser Immunsystem zählen. Es wird von Tag zu Tag stärker und die Gegner schwächer. "Hinter Kickl auf der Bühne stand ein bekannter Aktivist aus dem Umfeld von Gottfried Küssel.

Im Vorfeld waren dem Verfassungsschutz Informationen zugegangen, wonach eine Erstürmung des Kanzleramts debattiert worden war.


Nach Kickls Auftritt marodierten dann auch Grüppchen durch die Leopoldstadt, andere versuchten, über die Brücken am Donaukanal in den 1. Bezirk zu gelangen. Aber die Polizei hatte die Übergänge inzwischen weiträumig abgesperrt. Am Tag danach ein Posting auf der FPÖ-Facebook-Seite unter einem Kickl-Video: "Wir sollten die ganze ÖVP zu Hause besuchen."

Kickl zündelt. Das ist sein Erfolgsmodell. Aus dem Mann im Schatten ist ein Volkstribun geworden, eine Zornsammelstelle ohne Vision, gebunden durch die Kraft der Negation. Derzeit ist das eben: "Kurz muss weg."

Ob das reichen wird? Wenn Corona vergessen ist und Kurz eventuell sein Amt ruhend gestellt hat, wird aus dem Austro-Trump womöglich wieder der Büttenredner werden, der Scherze über Tom und Jerry macht.

Doch dann ist es für die FPÖ zu spät. Der Biedermann, den sie hatte und nun gut gebrauchen könnte, ist weg, und der Brandstifter a.D. erreicht nur noch die Ränder des Wählerspektrums.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling