Sarajevo Blues

Sarajevo: Stadt zwischen Gedenkfeiern und Trauma

Porträt Sarajevo. 2014 steht die Stadt des Attentats im Zentrum der Gedenkfeiern zum Ersten Weltkrieg

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Auch Menschen, die nicht daran glauben, sprechen bisweilen von der Magie eines Ortes. Sarajevo ist ein solcher: ein Unglücksort, eine traurige Schönheit; in einer Mulde zwischen zerklüfteten Bergen gelegen, durchschnitten vom Flussbett der Miljacka, (der "Lieblichen“), ein Diamant, eingefasst von Smaragden, so wird es besungen. Gleich einer Künstlernatur liegt diese Stadt seit jeher im Widerstreit zwischen Höhenflug und Niederlage, Glanz und Armut, Aufklärung und Rückständigkeit. Fast immer waren Österreicher daran beteiligt.

Prinz Eugen von Savoyen, der ein Reiterstandbild am Wiener Heldenplatz hat, war 1697 mit seinen Mannen brandschatzend und mordend in Bosnien eingefallen und hatte Sarajevo bis auf seine Grundmauern zerstört. Zwei Jahrhunderte später übernahmen Beamte der Donaumonarchie mit straffer Hand die Verwaltung des heruntergekommenen Landes. 1941 marschierten unsere Landsleute abermals auf dem Balkan, diesmal in Wehrmachts-Uniform.

Lage von Sarajevo

Als die Österreicher nach dem Krieg, in den Jahren des Wirtschaftswunders, die "österreichische“ Riviera wiederentdeckten, die Kurorte der Monarchie in Istrien und Dalmatien, gehörte ein Abstecher nach Sarajevo zur Folklore. Man posierte auf den in Beton gegossenen "Fußstapfen“ des Gavrilo Princip, an jener Stelle, an der der minderjährige Attentäter am 28. Juni 1914 auf den Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Gattin Sophie geschossen hatte, und lächelte in die Kamera.

Heute sitzen Touristen gern im "Café Vienna“ unter Kristalllustern, in vertrautem Stimmengewirr und Geschirrklappern, und fühlen sich aristokratisch. Jüdischen Touristen wird das Herz schwer. Eine der schönsten und größten sephardischen Synagogen wurde von den Nazis geschändet und im Sozialismus zweckentfremdet. Ein geschäftstüchtiger Altwarenhändler setzt in diesem Jahr gar auf NS-Devotionalien. Hakenkreuzschleifen, NS-Uniformstücke, Landserhefte und nachgemachte Schilder: "Nicht kauft beim Juden“.

Das Attentat hat Sarajevos Ruf begründet. Geradezu verrückt mutet an, was mit dem Flecken Erde passiert ist, von dem aus die tödlichen Schüsse fielen. Während des Ersten Weltkrieges, im Jahr 1917, wurde ein zwölf Meter hohes Denkmal mit Thronfolger-Büste und Altar errichtet, das schon ein Jahr später, als der Krieg verloren und die Donaumonarchie zerbrochen war, verräumt wurde. Die Trümmer befinden sich im Keller der Nationalgalerie und sollen demnächst in Sarajevo gezeigt werden. Es folgte eine relativ nüchterne Gedenktafel, die nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Jugoslawien abmontiert und dem "Führer“ als Trophäe überreicht wurde. Nach 1945 hingegen galten Gavrilo Princip und seine Mitverschwörer als Helden. Die Volksrepublik Jugoslawien feierte sie als Partisanen gegen die Fremdherrschaft und richtete an der Ecke ein Princip-Museum ein. Als Sarajevo in den Jahren 1992 bis 1995 von Soldaten der serbischen Volksarmee belagert und beschossen wurde, wurde die Princip-Tafel von wütenden Bürgern zerschlagen. In dem Museum, das diesen Namen nicht verdient, sind heute Franz Ferdinand - in hellblauer Parade-Uniform - und Sophie als lebensgroße Puppen zu sehen.

Erinnerungskultur ist ideologisches Schlachtfeld. Am 28. Juni, dem Jahrestag des Attentats, werden im frisch renovierten Alten Rathaus, einem Prachtbau im pseudomaurischen Stil, die Wiener Philharmoniker aufspielen. Vor Staatsgästen aus ganz Europa, dirigiert von Franz Welser-Möst. Schon tobt der Streit, ob es statthaft sei, zu diesem Anlass auch das Kaiserquartett ins Programm zu nehmen. Der österreichische Botschafter in Sarajevo, Martin Pammer, der jeden Anschein einer Habsburger-Nostalgie vermeiden will, hat Bedenken angemeldet.

Die Republik Serbien, EU-Beitritts-Kandidat, geht die Sache forscher an. Auf dem Festungsberg in Belgrad wird demnächst eine riesige Princip-Statue stehen, und eine Kopie davon soll auch in Ostsarajevo, jenem Vorort in der Nähe des Flughafens, der zur Republika Srpska gehört, aufgepflanzt werden. Man wird das hinnehmen müssen. Nach dem Friedensvertrag von Dayton 1995 ist Bosnien-Herzegowina ein bürokratisches Ungeheuer am Tropf der internationalen Staatengemeinschaft, in dem die Korruption blüht, jede politische Entscheidung aber an den beiden Entitäten, einem international verwalteten Distrikt, zehn Kantonen, drei Präsidenten, 14 Parlamenten und 137 Ministerien mit einander überschneidenden Kompetenzen und dem Vetorecht jeder Gruppe erstickt. Die Verwaltung der Habsburger, in der ebenfalls alle ethnisch-religiösen Gruppen zu ihrem Recht kamen, war dagegen Lean-Management.

Theoretisch haben auch heute wieder Österreicher das Sagen. Valentin Inzko, Hoher Repräsentant, ist die oberste zivile Autorität des Landes. Doch ohne Durchgriffsmöglichkeit. Die österreichischen Soldaten, stärkstes Kontingent der Eufor-Truppe, stehen unter Kommando eines österreichischen Generalmajors

Die urbane Mittelschicht Sarajevos hat schon während des Krieges (1992-1995) die Stadt nach und nach verlassen, und die Landbevölkerung kam. Davon hat sich Sarajevo bis heute nicht erholt. Am vergangenen Osterwochenende wurde eine kollektive Beschneidung der männlichen muslimischen Jugend gefeiert. Eine Regenbogen-Parade wäre jedoch unvorstellbar. Schon eine einzige, fast heimliche Vorführung eines Films des europäischen Queerfestivals wurde vor Kurzem gewaltsam gestört.

Doch es gibt eine Parallelwelt aus Vertretern internationaler Organisationen, NGOs, Journalisten und Künstlern. Auch das gab es schon einmal in der Geschichte Sarajevos: sogenannte "Kuferati“, Koffermenschen, Beamte aus allen Teilen der Monarchie. 1878 hatte sich die Donaumonarchie unter Zustimmung der anderen Großmächte Bosnien einverleibt, 1908 auch formal annektiert und damit die 400 Jahre währende Herrschaft der Osmanen beendet. Die Habsburger bauten Straßen, Brücken und Eisenbahnen. Früher als in Wien gab es in Sarajevo eine elektrische Straßenbahn. Die besten Architekten der Gründerzeit bauten repräsentative Verwaltungsgebäude und private Villen. Das Postgebäude ist ein Jugendstil-Juwel. Für die Habsburger waren die Investitionen ein Wechsel auf die Zukunft. Wie ein Jahrhundert später für die österreichischen Banken, die man überall im Stadtbild sieht.

Manche waren Idealisten - wie der k. u. k. Finanzminister Benjamin von Kallay, ein ungarischer Hocharistokrat, der für die Verwaltung Bosniens zuständig war. Mit harter Hand wollte er den Bosniern "ein Gefühl der Staatlichkeit“ einpflanzen und bei Achtung der jeweiligen Traditionen "europäische Institutionen“ schaffen. Er scheiterte grandios, auch weil er die sozialen Verwerfungen missachtete und keine Landreform durchführte.

Touristen gehen heute staunend durch die 600 Jahre alte Bascarsija aus osmanischer Zeit, bücken sich unter niedrigen Türöffnungen der Silberschmiede und Kesselflicker und spielen Orient. Doch der neue Islam trumpft auf. Saudi-Arabien hat eine König-Fahd-Moschee mitten in eine Plattenbausiedlung gestellt.

Die Sarajevoer interessiert das Weltkriegsgedenken überhaupt nicht. Die armen Leute stellen einen Klapptisch auf die Straße und verhökern etwas: alte Pelze, Selbstgestricktes. Doch eine erstaunliche Anzahl an Wutbürgern versammelt sich nun schon seit Wochen an einer zentralen Straßenkreuzung. Sie halten Schilder vor den Bauch, trillern, pfeifen und rufen Europa zur Hilfe gegen die allgegenwärtige Korruption. Sie prangern ihre Politiker an, die in den Nachkriegswirren zu großem Reichtum gelangt sind. Abends treffen sie einander und üben Basisdemokratie. Die Lage heute sei schlimmer als während der Belagerung, sagt ein Musiker, weil es für die jungen Leute keine europäische Perspektive gebe. Von einer "passiven Aggression“ ihrer Landsleute spricht eine Frau, die während der Belagerung tatkräftig geholfen hat. Jetzt herrsche Lethargie. Die Millionen aus der EU versickerten. Im Krieg hätte man gewusst, wofür man lebe, und die Menschen hätten einander geholfen. Es ist das vielleicht letzte Aufbäumen der Zivilgesellschaft vor dem Rückfall in die Depression.

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Buchtipp:

Holm Sundhaussen: Sarajevo. Die Geschichte einer Stadt. Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2014

Christa   Zöchling

Christa Zöchling