"Hohe Ekelschwelle"

"Hohe Ekelschwelle" - Tatort-Reinigung ist ein Knochenjob

Spurensicherung. Im Gespräch mit der ersten Tatort-Reinigerin Österreichs

Drucken

Schriftgröße

Wenn Rosalia Zelenka im Radio von einem Gewaltverbrechen hört, bei dem es Tote gegeben hat, packt sie im Geiste schon ihren Koffer. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Tatort-Reinigerin bald angerufen wird, ist groß. Wie damals von dem Sohn, der es nicht schaffte, die Wohnung seiner Mutter zu betreten. Die alte Dame war von einer Einbrecherin mit ihren eigenen Krücken erschlagen worden, der Hausflur und das Wohnzimmer waren verwüstet. Extremfälle wie diese bleiben Zelenka in Erinnerung: "Meine Augen sind gut geschult. Ich kann nachvollziehen, was sich an einem Tatort abgespielt hat."

Erste Tatortreinigerin Österreichs
Auch wenn die zierliche Wienerin nicht so aussieht - sie ist eine Frau fürs Grobe. Ihr Einsatz beginnt, wenn Polizei, Spurensicherung und Bestatter den Ort des Schreckens verlassen haben. Die erste Tatort-Reinigerin Österreichs entfernt Spuren der Gewalt, Überreste von Leichen und tröstet die Hinterbliebenen.

Zelenka war 20 Jahre in der Reinigungsbranche, als sie 2011 ihre Leidenschaft für Tatorte entdeckte. Anders als in Deutschland und den USA ist Tatort-Reinigung hierzulande kein Lehrberuf. Um die Profession ausüben zu können, machte Zelenka eine Ausbildung zur Gebäudereinigerin, Schädlingsbekämpferin und Desinfektorin. Die 52-Jährige mixt sich ihre Putzmittel inzwischen selbst - Reiniger für Hirnmasse und andere Körperflüssigkeiten gibt es schließlich nicht im Baumarkt.

Wenn junge Menschen im Spiel sind, geht der Mutter einer erwachsenen Tochter die Arbeit besonders nah. Etwa der Fall des gerade wegen eines Drogendelikts aus der Haft entlassenen jungen Mannes, der mit aufgeschnittenen Pulsadern durch seine Wohnung geirrt und erst nach langem Todeskampf gestorben war: "Hat man einmal eineinhalb Liter Blut verloren, verspürt man starkes Durst- und Schwächegefühl. Dadurch konnte ich mir erklären, warum wir überall an den Wänden, auf den Böden und am Wasserhahn sein eingetrocknetes Blut gefunden haben. Wie verzweifelt muss er gewesen sein?"

An manchen Tatorten ist es richtig gruselig. An einem grauen Novembertag putzte sie mit einem Mitarbeiter ein Innsbrucker Büro, in dem ein Architekt Selbstmord begangen hatte. "Wenn sich jemand mit einer Schrotflinte in den Kopf schießt, hat das eine unglaubliche Streuwirkung." Das Blut war bereits gestockt, was die Arbeit normalerweise erleichtert, weil es mit einem Spachtel abgekratzt werden kann.

Nur: Der Schreibtisch des Toten war übersät mit Dokumenten, die das Blut und die Gehirnflüssigkeit aufgesogen hatten. Die Sicherung der Akten dauerte ewig. Plötzlich krachten drei Blumentöpfe vom Fensterbrett. "Wir haben uns wahnsinnig erschreckt und mussten eine Pause einlegen. Erst später konnten wir darüber lachen."

Ist eine Leiche drei Tage alt, beginnt sie zu "zerfließen". Der Leichensaft, ein Gemisch aus Blut, Exkrementen und Lymphflüssigkeit, sickert durch Fußböden und wandert die Wände hoch. Insekten können Bakterien im ganzen Haus verbreiten. Im Ganzkörperanzug, mit Schutzmasken und Handschuhen rückt Zelenka Körpersäften und Ungeziefer zu Leibe. Sie wischt Flüssigkeiten mit Wegwerftüchern auf, desinfiziert Oberflächen, reißt Fußböden heraus. Nichts darf übrig bleiben: Nicht auszudenken, würden Angehörige einen Haarschopf, einen Zahn, einen Knochensplitter hinter der Schrankwand finden.

Grundsätzlich riecht der Tod faulig
Den oft beißenden Gestank bekämpft die Wienerin nach der Reinigung mit Ozongas. "Jeder Tatort riecht anders, weil auch jeder Mensch anders riecht." Grundsätzlich rieche der Tod faulig. Die Unternehmerin hat eine feine Nase, aber eine "hohe Ekelschwelle". Zur Gasmaske greift sie nur im Notfall, weil sie beim Arbeiten stört.

Zelenka und ihr Team reinigen etwa 100 Tatorte im Jahr. Je nach Zustand verlangt sie dafür zwischen 200 und 10.000 Euro. Manchmal bleibt nur der Abriss: Ein eines natürlichen Todes verstorbener Messie war in seiner zugemüllten Wohnung gefunden worden. "So bizarr! Zwei Wochen war er tot auf dem WC gesessen", erinnert sich Zelenka in ihrem kürzlich in der Edition Innsalz erschienenen Buch "Der Tod hat
viele Gerüche". Die Leichtbau-Wände des Hauses hatten sich mit seinen Körpersäften vollgesogen.

Wie entspannt man sich nach einem solchen Auftrag? Unter anderem mit Putzen, sagt Zelenka lächelnd. Sie hat ein großes Haus und nimmt sich täglich ein Zimmer vor. Die deutsche Serie "Der Tatort-Reiniger" ärgert sie: "Der Hauptdarsteller scherzt pausenlos mit den Angehörigen." Sie selbst sitzt oft noch mit den Hinterbliebenen zusammen. Mit der Witwe eines Selbstmörders suchte sie das Foto für dessen Partezettel aus. "Die Angehörigen legen für einen Augenblick ihre Probleme auf meine Schultern und können kurz durchatmen."

Woran erkennt die Tatort-Reinigerin, dass ihre Auftraggeber nicht die Mörder sind? Beim perfekten Verbrechen sollte man auf die Tatort-Reinigerin lieber nicht setzen: "Wir haben Tests mit der Polizei gemacht. Unsere Putzmittel vernichten zwar Krankheitserreger, aber nicht die menschliche DNA."

Rosalia Zelenka: Der Tod hat viele Gerüche. Beruf Tatort-Reinigerin. Edition Innsalz, 200 Seiten, 17 Euro.

VIDEO: Aufräumen nach dem Tod: Das Leben als Tatortreinigerin

Rosalia Zelenka im Gespräch:

Bild: Monika Saulich

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.