Ibiza-U-Ausschuss: Kampf, Krampf & Mampf

Der Ibiza-U-Ausschuss hat alles, was ein Spektakel braucht: Helden, Feinde, Opfer. Dazu gibt's Erdnüsse und Chips. Und aufgeklärt wird auch.

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Kai Jan Krainer, Fraktionsführer der SPÖ im Ibiza-Untersuchungsausschuss, hat auf seinem Tisch immer einen kleinen Ferngucker parat. Krainer sieht schlecht. Im weitläufigen Camineum-Saal der Nationalbibliothek, wo der Ausschuss tagt, sitzen die Auskunftspersonen allerdings recht weit entfernt. Der Abgeordnete Krainer will bei der Befragung aber ihre Mimik lesen, daher der Gucker.

Der Ibiza-U-Ausschuss ist zwar nicht große Oper, aber doch Spektakel. Das beginnt mit dem Veranstaltungsort. Das Camineum ist das Ausweichlokal vom Ausweichlokal. Während der Sanierung des Parlamentsgebäudes am Wiener Ring tagt das Parlament in der Hofburg. Und wegen Corona wechselte der U-Ausschuss in das geräumige Camineum. Dennoch könnte es für die Parlamentsdirektion eng werden, falls einmal der Arbeitsinspektor vorbeischaut. So ein U-Ausschuss ist personalintensiv.

Da wären die 13 Mitglieder, ihres Zeichens Abgeordnete der fünf Parlamentsparteien; dazu deren Mitarbeiter für Aktenaufbereitung, Recherche und Presse; der Ausschuss-Vorsitzende und dessen Assistenten; die jeweilige Auskunftsperson plus ihr Rechtsbeistand; Verfahrensrichter und Verfahrensanwalt; schließlich Parlamentsbedienstete für Protokollierung, Saalordnung, Medienbetreuung und Technik. Und am Rande des Camineums sitzen noch die Berichterstatter. Viele Anwesende, aber beileibe nicht alle, tragen Maske. Die FFP2-Pflicht gilt nicht generell, das Mandat ist frei.

Das Camineum diente einst als Pferdestall. Heute ist es die heilige Halle der politischen Kontrolle. Ein U-Ausschuss soll die Geschäftsführung der Regierung überprüfen. Im Ibiza-U-Ausschuss geht es um das gleichnamige Video, Glücksspielkonzerne, Parteispenden, Postenbesetzungen, mutmaßlichen Gesetzeskauf und Fehlverhalten in der Justiz. Ganz allgemein geht es um die Geschäftsführung der kurzen ÖVP-FPÖ-Koalition. Erste relevante Auskunftsperson war Ex-FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache, die vorerst letzte Ex-SPÖ-Kanzler Christian Kern. Dazwischen musste so ziemlich jeder aufmarschieren, der je an Sebastian Kurz anstreifte – und der amtierende Kanzler ebenso.

„U-Ausschüsse unterscheiden sich grundlegend von Gerichtsverfahren: Es sollen keine Streitigkeiten entschieden, sondern Tatsachen festgestellt werden. Es gibt weder Zeugen noch Angeklagte, sondern Auskunftspersonen und Sachverständige.“ So steht es auf der Website des Parlaments – und natürlich wird im U-Ausschuss gestritten, werden Tatsachen zu alternativen Fakten und aus Auskunftspersonen Angeklagte. Politik folgt keinen Regeln, schon gar nicht den eigenen. Bei einem U-Ausschuss ist das auch nicht nötig, weil die Ausgangssituation einem bekannten Dilemma aus der Spieltheorie gleicht: Hält sich nur einer an die Regeln, ist er der Dumme. Dass sich alle an die Regeln halten, ist in Kenntnis der Beteiligten auszuschließen. Also hält sich keiner an die Regeln – womit Fairness gegeben ist.

In der U-Ausschuss-Praxis geht das so: Krainer, SPÖ-Inquisitor, scharfzüngig, rasch im Denken, geht davon aus, geladene türkise Spitzenpolitiker und deren Vertrauensleute würden ohnehin nicht ernsthaft Auskunft erteilen. Daher sieht er sich zu Untergriffen berechtigt. Finanzminister Gernot Blümel, größter Auskunftsverweigerer bisher, ging davon aus, im U-Ausschuss ohnehin nicht fair behandelt zu werden. Daher sah er sich zur Patzigkeit berechtigt und hatte bei seiner Aussage zu fast 90 Vorhalten weder Erinnerung noch Wahrnehmung.

Blümels verkrampfter Auftritt führte zwar zu keinen neuen Erkenntnissen, aber zum legendären Bekenntnis, keinen Laptop besessen zu haben. In einer solchen Gelegenheit zur Selbstbeschädigung liegt die wahre Kontrollwirkung von U-Ausschüssen. In einer normalen Parlamentsdebatte fallen Ausweichmanöver leicht, im Ausschuss muss ein öffentlicher Spitzenfunktionär vier Stunden Rede und Antwort stehen. Ein U-Ausschuss sei auch „Produkt des politischen Wettbewerbs, theatralische Elemente inklusive. Die ,Show‘ ist Teil der Kontrolle“, schreibt der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik. Diese Show hätte mehr Publikum, würden die Sitzungen nicht nur von Journalisten verfolgt, sondern auch im TV übertragen. Mit erwünschten Nebenwirkungen: Das Gemampfe von Chips und Erdnüssen im „Hohen Ausschuss“ würde wahrscheinlich eingestellt. Auch das allgemeine Benehmen (Zwischenrufe, Unmutsäußerungen, störendes Schwätzen) könnte sich bessern. Turnschuhe sind mittlerweile ja parlamentsfähig.

Tipptopp im äußeren Erscheinungsbild, aber kein wirklicher Showman ist ÖVP-Fraktionsführer Wolfgang Gerstl. Ist Krainer ein Inquisitor, so gibt Gerstl den Seelsorger, der türkisen Auskunftspersonen voller Verständnis und Milde Fragen stellt. Sitzt ein SPÖ-Vertreter  auf der Auskunftsbank, ziehen sich Krainer und Gerstl in die zweite Reihe zurück. Vergangene Woche schilderte etwa der frühere SPÖ-Chef Kern, wie seiner Partei das Ibiza-Video im Frühjahr 2018 angeboten wurde. Die Absolution erteilte die SPÖ-Abgeordnete Eva Maria Holzleitner. Das Kreuzverhör führte der ÖVP-Abgeordnete Christian Stocker, der Kern mangels substanzieller Vorhalte ernsthaft nach Verbindungen zwischen Freimaurer-Logen und SPÖ-Politikern fragte.

Manchmal gehen Abgeordneten die Fragen auch schon vor Ende der Fragezeit aus oder werden kryptisch, bevor sie ausgehen: „Wem gehört Ihr Handy?“; „Haben Sie eine Wahrnehmung zu roten Idioten?“; „Wie definieren Sie interne Abläufe?“

Eigentlicher ÖVP-Hauptdarsteller im Camineum ist Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Per Gesetz ist er der Vorsitzende des Ausschusses, in seinem Rollenverständnis dessen Besitzer. Man darf durchaus Spekulationen anstellen, ob nicht auch die Verfahrensrichter (beide ehemalige Höchstrichter) Sobotka für befangen halten. Der Ausschuss-Vorsitzende ist Präsident des Alois-Mock-Instituts, das vom Novomatic-Konzern Sponsor-Leistungen erhielt, die wiederum Untersuchungsgegenstand im Ausschuss sind.

Wenn der impulsive Sobotka gerade nicht mit Kai Jan Krainer kämpft – „Lügen Sie nicht!“ (Sobotka an Krainer); „Sie sind kein Ehrenmann!“ (Krainer an Sobotka) – versucht er, nicht mit Stephanie Krisper zu kämpfen. Die NEOS-Abgeordnete fiel schon im BVT-U-Ausschuss durch Sachkenntnis und unangenehme Fragen auf. Vor ihrer politischen Karriere arbeitete Krisper für beinahe jede Menschenrechtsorganisation in Österreich.  Das hindert sie nicht daran, im U-Ausschuss Foltermethoden anzuwenden. In Krispers Fall bestehen diese in einer Fragetechnik aus Sanftheit und Redundanz, die Auskunftspersonen schon mal zermürben kann.

Die eigentliche Idee des U-Ausschusses besteht darin, dass er von keiner Seite ergebnisoffen geführt wird. Wolfgang Sobotka weiß bereits, dass dabei nichts rauskommen wird, schon gar nichts, das irgendwie unangenehm für die ÖVP wäre. SPÖ und NEOS sind sich schon jetzt ziemlich sicher, dass am Ende das „System Kurz“ überführt sein wird. Dazwischen, aber deutlich näher bei SPÖ und NEOS, schweben die Grünen. Nina Tomaselli und David Stögmüller können das Geschehen relativ entspannt verfolgen, weil sie jedenfalls davon profitieren. Der Imageschaden, den die ÖVP erleidet, stärkt die Grünen innerkoalitionär. Da es ziemlich sicher kein türkiser Totalschaden wird, bleibt die Koalition – und damit die grüne Regierungsbeteiligung – stabil.

Paradox am U-Ausschuss ist: Dem überführten Hauptangeklagten ist es gelungen, wieder in den Status der Unschuldsvermutung zu wechseln. Man erinnert sich: Am Anfang des Affären-Konglomerats standen zwei Spitzenvertreter der FPÖ, die im Sommer 2017 auf einer Insel an einem Politporno mitwirkten. Nun ist die ÖVP in der Defensive. Und FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker tritt nicht wie erwartet als Verteidiger auf, sondern als Nebenkläger wider die ÖVP. Mit rechtlichen Problemen kennt sich der Niederösterreicher aus. Im November wurde er erwischt, als er in einem Gasthaus trotz Corona-Sperre ein Bier trank, während er auf sein Take-away-Schnitzel wartete.

Die U-Ausschuss-Welt ist, was im Akt ist. Arbeitsgrundlage des Gremiums sind Gigabytes von Unterlagen, die von Ministerien, Behörden aller Art, aber auch von der Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) geliefert werden. Vergangene Woche langte der eher unspektakuläre SMS-Verkehr zwischen Kurz und Strache ein. SPÖ und NEOS hoffen auf mehr und wollen laut „Presse“ sogar die Sozialversicherungsdaten von 3000 Novomatic-Mitarbeitern abfragen, um allfällige Spender an die ÖVP aufzuspüren. Auf diese originelle Idee kam bisher nicht einmal die WKStA.

Manchmal wird auch gestritten, was ein Akt überhaupt ist und was nicht. Auch die komplexe verwaltungsrechtliche Frage, worunter eine Minister-Weisung zu verstehen ist und worunter nicht, wurde bereits erörtert. Ein Staatsanwalt erklärte die Problematik vergangene Woche im U-Ausschuss lebensnah: „Wenn mir der Minister sagt, ich soll ihm eine Wurstsemmel mitbringen, dann ist das schon eine Weisung.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.