Interview

Innenminister Karner: „1060 Euro Sozialhilfe für Asylberechtigte ist zu viel“

ÖVP-Innenminister Gerhard Karner verteidigt den Plan, Asylwerber in „sichere Drittstaaten“ zu schicken. Kritik an Ungarns Migrationspolitik will er nicht üben.

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Würden Sie unter einem Bundeskanzler Herbert Kickl Minister sein wollen?
Gerhard Karner
Ich bin nicht bereit, über Begriffspaare zu sprechen, die nicht zusammenpassen und darüber wer, was, wann.
Zum Thema „Was wäre, wenn?" passt die nächste Frage: Sie sprechen sich für Asylverfahren in sicheren Drittstaaten aus. Welches Land wäre denn ein guter Partner?
Karner
Es ist am 8. Juni im EU-Innenministerrat ein Schritt gelungen: Beschlossen wurden unter anderem Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und die Zusammenarbeit mit sicheren Drittstaaten. So lautet die politische Einigung. Mit welchen Ländern das konkret umgesetzt werden soll – so weit sind wir noch nicht.
Die Idee ist alt. Bereits vor fünf Jahren wurden – damals noch unter Bundeskanzler Sebastian Kurz – so genannte „Anlandeplattformen“ angepriesen, und schon damals fand sich kein Staat, der sowohl geeignet als auch willens gewesen wäre, mitzumachen.
Karner
Wenn vor wenigen Monaten jemand gesagt hätte, dass wir den erwähnten Beschluss zustande bringen, hätte jeder gesagt: “Nie und nimmer!„ Aber weil die Asylwerberzahlen in mehreren Ländern wie etwa Deutschland und Italien massiv gestiegen sind, ist man zu der Überzeugung gelangt, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher. Ich gebe zu, wir sind noch nicht so weit wie ich es gerne hätte, wir können daher keine konkreten Länder nennen, mit denen eine Zusammenarbeit möglich und sinnvoll ist. Aber allein der politische Wille, ist bereits ein beachtlicher Schritt.
Das erklärte Ziel ist, zu verhindern, dass Migranten mithilfe von Schleppern auf lebensgefährlichen Booten über das Mittelmeer kommen. Aber was werden die Leute machen, die auf der anderen Seite des Mittelmeeres in einem – angedachten – Asylzentrum abgelehnt werden? Werden die nicht genau dasselbe tun wie jetzt, nämlich den Weg über das Meer zu riskieren?
Karner
Das Ziel ist, das zu verhindern! 2500 Menschen sind im vergangenen Jahr auf diesen Routen ertrunken. Der Großteil dieser Menschen macht sich aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg nach Europa.
Und hätte keine Chance bei diesen Asylverfahren.
Karner
Richtig. Da muss man andere Möglichkeiten schaffen, damit Arbeitskräfte, die wir brauchen, legal nach Europa kommen können. Auch das tun wir, aber ich kämpfe dafür, legale und illegale Zuwanderung klar voneinander zu trennen. Außenminister Alexander Schallenberg hat kürzlich ein Mobilitätsabkommen mit Indien unterzeichnet, das es Menschen ermöglicht, mittels Rot-Weiß-Rot-Karte nach Österreich zu kommen.
Nach welchem Recht soll in den Asylzentren an den Außengrenzen entschieden werden, wer bleiben darf?
Karner
Das ist klar vorgegeben – nach europäischem Asylrecht.
Das muss erst erarbeitet werden.
Karner
So ist es.
Österreich ist ein kleines Land, da sind Grenzen oftmals recht nahe.
Die meisten Flüchtlinge, die nach Österreich gelangen, kommen über Ungarn.
Karner
Faktum ist: Ungarn ist unser Nachbar, und wir arbeiten auf polizeilicher Ebene sehr ordentlich zusammen. Wir kooperieren zum Beispiel bei der Aktion „Fox“ im Kampf gegen die Schleppermafia. Ich war vor einer Woche bei einem Treffen der „Visegrad-Vier“ – Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn.
Ungarn verstößt im Umgang mit Asylwerbern laut dem Europäischen Gerichtshof seit Jahren immer wieder gegen EU-Recht. Es verwehrt Flüchtlingen den Zugang zu Asylverfahren. Im Jahr 2022 verzeichnete Ungarn ganze 46 Asylverfahren. Viele Flüchtlinge ziehen weiter nach Österreich. Wie können Sie als österreichischer Innenminister damit zufrieden sein? Warum finden Sie keine härteren Worte?
Karner
 Wenn Flüchtlinge nach Ungarn oder auch Österreich kommen und keinen Asylantrag stellen, können sie zurückgewiesen werden, das ist nicht illegal. Nur gewaltsame Pushbacks von Flüchtlingen, die einen Asylantrag stellen, sind ist illegal.
Sie wissen, dass Ungarn vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wurde, weil es Flüchtlingen nicht ermöglicht, ein Asylverfahren zu bekommen.
Karner
Es ist Aufgabe der EU-Kommission, das durchzusetzen. Und das erwarte ich mir auch von der Kommission. Hier muss EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen auf Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán mehr Druck machen.
In einem Interview in der ZiB2 haben Sie gesagt „Europa schafft zu viele Anreize und ist zu attraktiv“. Welche Anreize schaffen wir, die man nicht schaffen sollte?
Karner
Ich halte es für falsch, dass ein Asylberechtigter 1060 Euro pro Monat Sozialhilfe bekommt.
Sie sprechen von anerkannten Asylberechtigten. Sie finden  1060 Euro zu viel?
Karner
Ja. Das ist für viele Leute aus anderen Regionen viel Geld, und deshalb bleiben viele von ihnen arbeitslos.
Für die Ukrainerinnen und Ukrainer wurde ein „Vertriebenenstatus“ geschaffen. Das heißt, dass sie nur die niedrige Grundsicherung beziehen können. Es gäbe also viel Anreiz, arbeiten zu gehen. Trotzdem haben die wenigsten einen Job.
Karner
In Österreich leben derzeit rund 68.000 Ukrainer, viele davon Frauen und Kinder. Davon sind rund 12.000 am Arbeitsmarkt untergekommen. Wir haben zuletzt beschlossen, dass die Zuverdienstgrenze angehoben wird, damit der Schritt in den Arbeitsmarkt leichter wird.
Es gibt mehrere Bundesländer, die sich weigern das, umzusetzen. Ihr Heimatbundesland Niederösterreich zum Beispiel, oder auch Kärnten. Warum ist das so?
Karner
So viel ich weiß, arbeiten gerade viele Bundesländer daran, das umzusetzen.
Noch eine Frage zu den Ukrainern: Seit Dezember wurde der Teuerungsausgleich für Quartiergeber versprochen…
Karner
Beschlossen und umgesetzt!
Nein, das stimmt nicht. Es gibt noch immer Bundesländer, die sich zieren – vor allem, was die privaten Quartiergeber betrifft, ohne die der Staat das nicht geschafft hätte. Die lässt man hängen.
Karner
Beschlossen und umgesetzt! Die Voraussetzungen sind geschaffen.
Mag ja alles sein, aber die Länder dürfte das noch nicht so interessieren.
Karner
Wir haben auf Bundesebene die Voraussetzungen geschaffen. Vier Länder haben es beschlossen, zwei setzen es schon um.
Themenwechsel: Eben wurde in Oberösterreich ein Waffenlager von Neonazis ausgehoben. Wie viele rechtsextreme Gefährder laufen in unserer Republik herum?
Karner
Ich darf und werde keine genauen Zahlen nennen. Wir diskutieren das im Unterausschuss des Parlaments. Faktum ist: Wir haben drei Gruppen, die unter Beobachtung des Staatsschutzes stehen: Rechtsextreme, Islamisten und Staatsverweigerer. Da hatten wir einige große Zugriffe. Die Gefahr hat sich aber insofern verändert, als dass sie neben Netzwerken vor allem von Einzeltätern ausgeht, die sich über Social Media radikalisieren. Das hat man auch eindrücklich bei den verhafteten Personen rund um die „Pride“-Veranstaltung in Wien gesehen.
Die mutmaßlichen Täter in diesem Fall sind  alle wieder auf freiem Fuß. Löst sich die Sache in Luft auf? 
Karner
Das liegt alles bei der Justiz. Ein Gericht hat entschieden, diese Personen zu enthaften. Es läuft aber die Berufung der Staatsanwaltschaft, um einige auch wieder festzunehmen.
Ähnlich war das bei dem Rechtsextremen, der einen Anschlag auf das „Volksstimme“-Fest im Wiener Prater geplant haben soll. Den musste man auch freilassen. Woran liegt das? ***
Karner
Das ist Sache der Justiz. Zur Polizei: Wie schaffen wir es, dass wir potenzielle Attentäter, die sich im Internet über Anschläge unterhalten, überwachen können? Im Regierungsprogramm steht auf Seite 156: „Prüfung einer verfassungskonformen Maßnahme zur Überwachung von Nachrichten im Internet.“ Wir verhandeln.
Eine Gruppe, mit der die Exekutive zuletzt öfter zu tun hatte, sind die Klimakleber. Wollen Sie da auch mehr Befugnisse?
Karner
Es gibt radikale Klimaaktivisten, die ich im extremistischen Lager sehe. Die haben wir dieses Jahr ein Malin Aktion erlebt und mussten einschreiten: Bei der Europäischen Gaskonferenz in Wien. Das waren aber hauptsächlich Personen aus Deutschland.  Bei den Klimaklebern wendet die Polizei verschiedene Taktiken an: Kleben und kleben lassen, wenn sie niemanden gefährden und stören. Wo Gefahr im Verzug ist, wird eingeschritten. Wir hatten 500 Festnahmen und 1200 Anzeigen im vergangenen Jahr. Als Innenminister sage ich ganz offen: Ein Minister, der für die Polizei zuständig ist, freut sich immer über mehr Befugnisse.
Kommen wir schließlich zu Ihrem Heimatbundesland Niederösterreich: Die FPÖ ist da mit der ÖVP in der Regierung und spielt wie erwartet auf der Klaviatur von Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Wie geht’s Ihnen da?
Karner
Die Regierung ist erst seit Kurzem im Amt, man soll sie arbeiten lassen.
Wird in Ihrem Ministerium gegendert?
Karner
Ich gehe davon aus. Ich jedenfalls verwende die weibliche und die männliche Form. Es ist eine Frage des Respekts, aber keine Glaubensfrage.

Fotos: Julia Rotter

 

*** bei dieser Frage ist uns ein Fehler unterlaufen, wir haben Rechtsextreme und Zugriffe auf sie verwechselt. Jener Mann, der ein Attentat auf das Volksstimmefest plante, wurde verurteilt. Wir hatten diesen Mann gemeint.

Wir bitten um Entschuldigung.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur