Staffel I, Folge 1

Ist Österreich tatsächlich eine… Diktatur? Eine Erkundung.

2021, das Jahr des Pferdewurms. Herbert Kickl ist im Krankenstand, in Österreich wird die Diktatur ausgerufen. Ein Staatsstreich? Das öffentliche Leben ist zum Lockdown verdammt – doch nicht ganz: Der Bundesrat tagt.

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„Österreich ist mit heutigem Tag eine Diktatur!“, entfährt es Herbert Kickl Freitag vergangener Woche im Corona-Krankenstand. Ein Fiebertraum? Eine unerwünschte Nebenwirkung? Findet sich dazu etwas im Beipackzettel von Ivermectin? Kickls Hausarzt schweigt. Ist uns im Lockdown tatsächlich die Demokratie verlorengegangen, weil Impf- zur Bürgerpflicht wird? Mal sehen. Der Weg führt in die Wiener Hofburg. Im großen Redoutensaal tagen, solange das Parlamentsgebäude an der Ringstraße renoviert wird, sowohl Nationalrat (183 Mandatare) als auch Bundesrat (61 Mandatare).

Der Bundesrat ist das kleine Geschwisterlein des Nationalrats, den er – wie jedes kleine Geschwisterlein – mit einem sturen Nein wenigstens dann und wann sekkieren kann. Aber auch nicht mehr. Stünde der Bundesrat nicht unter verfassungsrechtlichem Naturschutz, wäre er längst ausgestorben wie der Kaiserspecht. 

Die Sitzung ist eröffnet. Seltsame Stille im Saal. Hat Kickl doch recht? Wurde die Länderkammer mundtot gemacht? Keineswegs. Es ist nur so, dass der Redoutensaal dem Bundesrat gleich zwei Nummern zu groß ist: als würde eine U-10-Mannschaft im Happel-Stadion einlaufen. 

Putsch von oben?

Für den Bundesrat ist es ein besonderer Tag. Die SPÖ-Fraktion hat Kanzler Alexander Schallenberg und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein zur Beantwortung von 80 Fragen zum Komplex „Corona-Totalversagen der Bundesregierung“ vorgeladen. Kanzler und Gesundheitsminister rächen sich für die Themenwahl, indem sie bei der Angelobung eines neuen Mandatars sitzen bleiben. Das ist zwar gegen die Würde des Hauses, aber noch nicht die Abschaffung der Republik.

Während eine SPÖ-Abgeordnete am Rednerpult das Total-Versagen der Regierung ausführt, vertiefen sich Kanzler und Gesundheitsminister in Unterlagen und markieren geschäftig Passagen. Mückstein benötigt dafür gleich drei verschiedene Textmarker, einen gelben, einen grünen und einen orangen. Mit dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz führt er auch ein kompliziertes Ressort. Ein persönliches Farbleitsystem beim Aktenstudium ist dabei sicher hilfreich. Alexander Schallenberg reichen ein oranger und ein gelber Textmarker. Dafür hat der Kanzler zwei Handys dabei, vielleicht zur Reserve, falls ihm eines überraschend abhandenkommt. 

 

Sie lesen Folge 1 einer Serie von Gernot Bauer über die heimische Innenpolitik. Alle bisher erschienen Teile von “Bauer sucht Politik” können Sie hier nachlesen.

„Impf-heil“

In seiner Beantwortung der SPÖ-Fragen erklärt Schallenberg, der Lockdown habe „kein Enddatum für Ungeimpfte“. Das Enddatum für Geimpfte nennt er leider auch nicht. Dafür versichert er mehrfach, die Regierung agiere „geschlossen“. Tatsachenwidrige Aussagen können laut Geschäftsordnung des Bundesrates zwar berichtigt werden, allerdings gilt dies nur für Wortmeldungen von Abgeordneten. Ein Kanzler darf ohne Korrektur behaupten, was er will.

Sitzungen des Bundesrates sind zäh, auch weil die Redezeiten länger sind als im Nationalrat. Wolfgang Mückstein, ganz Arzt, baut Nackenverspannungen mit Dehnübungen vor. Der Kanzler kramt öfter in der Sakkotasche nach Hustenzuckerln und Taschentuch, putzt die Brille dann aber doch lieber mit der Krawatte. Vielleicht sind das alles auch nur Übersprungshandlungen im Corona-Stress. 

Lebhaft wird es bei Wortmeldungen der Freiheitlichen zur Impfpflicht. Der Kärntner Mandatar Josef Ofner richtet dem Kanzler aus, das Volk würde sich „nicht in die Nadel zwingen lassen“; und dass er „ein schreckliches Bild vor seinen Augen“ habe, wenn er von „Impfstraßen für Kinder“ lese. Der Niederösterreicher Andreas Spanring lustfaselt von einer „geheimen Impfpolizei“, die ihn wohl unter „Impf-Heil“-Rufen in einer „Nacht- und Nebelaktion aus dem Bett holen“ würden.

In einer Diktatur, die auf sich hält, würden spätestens an dieser Stelle Beamte der Staatspolizei einschreiten. Aber nichts dergleichen. Nicht einmal ein Ordnungsruf wird erteilt. Für eine Diktatur herrscht reichlich Redefreiheit im Parlament.

Irgendwann endet auch diese Bundesratssitzung. Erleichterung. Die Republik lebt, weder Fadesse noch Impfpflicht und nicht einmal abgründige Nazi-Vergleiche können sie erschüttern.

Eine der Nebenwirkungen von Ivermectin ist übrigens „Schwindel“.

Gernot Bauer

Der profil-Redakteur ergründet seit 20 Jahren Wesen und Unwesen der österreichischen Innenpolitik.

 

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Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.