Panik auf der Titanic

Eurokrise. Zehn Fragen, zehn Antworten zur gemeinsamen Währung

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Es ist wie auf der Titanic. Auch die Passagiere der ersten Klasse können sich nicht retten.“ Ungewohnt deutlich warnte Italiens Finanz- und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti am vergangenen Donnerstag im Senat in Rom vor einem Finanzkollaps ganz Europas. „Europa hat ein Treffen mit dem Schicksal. Die Rettung kommt nicht von der Finanz, sondern von der Politik“, erklärte er vor der Abstimmung über das neue 79-Milliarden Euro-Sparpaket Italiens. „Die Politik darf aber keine Fehler machen.“

Italiens Regierung hatte sich in der Vergangenheit zu viele geleistet. Unter dem skandalträchtigen Premierminister Silvio Berlusconi wurden wichtige Reformen verschleppt. Die Rekordschulden – 120 Prozent des BIP – blieben auf gleichem Niveau. Als Finanzminister Tremonti vor zehn Tagen ein umfangreiches Sparpaket präsentierte, rüffelte ihn Berlusconi öffentlich: „Er hält sich für ein Genie und alle anderen für blöd.“

Ohne Griechenland-Krise wäre der Streit zwischen Berlusconi und Tremonti wohl nur eine unbedeutende Szene im römischen Polittheater geblieben. Doch plötzlich war auch das Vertrauen in die drittgrößte europäische Volkswirtschaft schwer angeschlagen. Die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen stiegen sprunghaft an. An der Mailänder Börse kamen italienische Konzerne schwer unter Druck. Der Handel mit Aktien der UniCredit-Group, der Mutter der Bank Austria, musste nach einem Sturz um zehn Prozent kurzfristig ausgesetzt werden.

Die Frage, ob das Akronym für Europas Schuldenstaaten nun „PIGS“ oder ­„PIIGS“ (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) heißen muss, scheint geklärt. Berlusconi reiht sich nun neben Griechenlands Premier ­Giorgos Papandreou, Portugals Pedro Passos Coelho, Spaniens José Luis ­Zapatero und Irlands Enda Kenny in den europäischen Verein der pleitebedrohten Regierungschefs ein. Zwar konnte die mit den Stimmen der Opposition erfolgte Verabschiedung des Sparbudgets im Parlament in Rom die Finanzmärkte etwas besänftigen, aber die Eurozone kommt noch lange nicht zur Ruhe.

Die nun immer schärfer kritisierten Rating­agenturen stuften vergangene Woche die Kreditwürdigkeit Portugals und Irlands neuerlich hinunter.

Und Griechenlands Premier Papandreou forderte seine EU-Kollegen zu einer raschen Entscheidung über ein zweites Hilfspaket auf. Ohne dieses droht schon im September der Staatsbankrott.

Die EU-Politiker ringen schwer um eine Einigung. Die Einberufung eines Sondergipfeltreffens lehnte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ab, da zuvor über die Beteiligung der Banken an der Griechenland-Hilfe Einigung bestehen müsse. So könnte der Gipfel erst kommende Woche stattfinden – oder auch gar nicht.

Die EU-Politiker bleiben also bei ihrem zögerlichen Kurs, der die Finanzkrise nur noch weiter anheizt. „Die Märkte haben die immer neue Ankündigung von milliardenschweren Hilfspaketen als Bluff durchschaut“, glaubt ­Stefan Bruckbauer, Chefvolkswirt der Bank Aus­tria, „die EU versuchte mit halbherzigen ­Maßnahmen zu tricksen.“ Dabei sei Experten längst klar, dass ein Teil der Schulden Griechenlands durch niedrige Zinsen gestundet werden müsse.

Ein Schuldenschnitt, „Haircut“ genannt, würde von den Ratingagenturen aber sofort als Staatspleite bewertet werden, mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Eurozone. Doch Griechenland braucht, wenn nicht einen teilweisen Schuldenerlass, so zumindest eine Senkung der Ratenzahlungen, um sich langsam zu erholen.

Doch inzwischen droht eine Ansteckung weiterer Euroländer: Die Angst geht um, dass sich finanzstarke Spekulanten demnächst ­weitere Länder, etwa Belgien oder Frankreich, für gewinnträchtige Wettspiele aussuchen könnten.

profil beantwortet Fragen zu einem möglichen Crash-Szenario.

Italien kurz vor dem Staatsbankrott?

Die nackten Zahlen sind beunruhigend: Mit über 1800 Milliarden Euro, das entspricht 120 Prozent des BIP, entfällt ein Viertel der Gesamtschuld der Eurozone auf Italien. Die hohen Staatsschulden sind aber keineswegs ein Produkt der jüngsten Wirtschaftskrise. Schon 1997, dem Referenzjahr für den Eurobeitritt, war das Land mit knapp 122 Prozent des BIP verschuldet gewesen. Nach den Maastricht-Kriterien hätte Italien beim Start der Währungsunion eigentlich gar nicht dabei sein dürfen.

Doch das Land steht in zentralen Punkten besser da als etwa die Krisenländer Griechenland, Irland und Portugal: Die Wirtschaft ist diversifiziert, die privaten Haushalte sind relativ gering verschuldet, die Staatsschulden liegen zu über 60 Prozent im Inland und sind zudem langfristig.

„Der Ausblick für die nächsten Jahre ist durchaus positiv“, meint Peter Brezinschek, Chefanalyst von Raiffeisen Research. Schließlich sei Italien neben Deutschland und Finnland das einzige Land, das im Staatshaushalt einen positiven Primärsaldo aufweise, also exklusive Zinszahlungen mehr Einnahmen als Ausgaben habe. „In den vergangenen Jahren waren das jährlich zwei Prozent. Italien konnte seine Staats­finanzen also stabil halten.“

Italien bei seinen Reformen versagt?

Italien hat seine Gesamtschulden nie wirklich reduziert, aber zuletzt auch nicht weiter ansteigen lassen. Vor allem bei der aufgeblähten Verwaltung des Landes wurden kaum Einsparungen vorgenommen. Regionale Politiker kassieren Spitzengehälter: Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder verdient mehr als US-Präsident Barack Obama. Die fast ta

usend Abgeordneten des Parlaments kommen auf über 15.000 Euro pro Monat plus Privilegien wie Gratisflüge und freie Bahnfahrt oder kostenloses Telefon. Die Präsidentschaftskanzlei in Rom beschäftigt über 1800 Personen, mehr als das Weiße Haus in Washington und der Buckingham ­Palace in London zusammen. Ein Beamter ist zum Beispiel nur für das Stellen der Uhren im Präsidentenpalast zuständig. Die Präsidentschaftskanzlei in Wien hat 75 Beschäftigte.

Warum kommt Italien ausgerechnet jetzt dran?
Die Schuldenkrise Griechenlands hat Anleger weltweit verunsichert. Italien löst wegen der hohen Gesamtschulden schon seit Jahren Kritik aus. Zuletzt hatten Unstimmigkeiten in der Regierung Berlusconi über Ausmaß und Inkrafttreten des neuen Sparpakets die Finanzmärkte zusätzlich in Aufregung versetzt. Die Kurse italienischer Staatsanleihen fielen daraufhin und wurden gleichzeitig mit steigenden Risikoprämien belegt. Auch das niedrige Wirtschaftswachstum in Italien gibt Anlass zur Sorge. Nach Angaben des Centrum für Europäische Politik in Freiburg (Deutschland) borgt sich Italien seit zwei Jahren im Ausland mehr Geld zur Schuldenbedienung aus, als es für die Ausweitung und Modernisierung von Produktionskapazitäten ausgibt. Ein Verhalten, das auch Griechenland in die Krise geführt hat.

Sind die Ratingagenturen schuld an der Misere?

Zum Teil. Die exorbitante Schuldenlast wurde zwar nicht von Standard & Poor’s, Moody’s oder Fitch verursacht, sondern von den Staaten selbst. Aber die US-dominierten Agenturen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie EU-Staaten weit härter anpacken als die von Rekordverschuldung heimgesuchten USA. „Die Agenturen haben zu spät reagiert und hätten weit früher auf die Missstände hinweisen müssen“, meint Peter Brezinschek, Chefanalyst von Raiffeisen Research. Und sie haben die Probleme zusätzlich verschärft. Mit jeder Herabstufung müssen Schuldenstaaten höhere Zinsen zahlen, damit sie überhaupt noch an Kapital kommen. Wird der Schuldendienst größer, steigt auch die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts. Das wiederum führt erneut zu höheren Risikoaufschlägen auf die Zinsen.

Jene, die nun eine Entmachtung oder Zerschlagung der Ratingagenturen fordern, haben sich selbst in deren Abhängigkeit begeben. So darf etwa die Europäische Zentralbank (EZB) Ländern mit schlechten Noten kein Geld mehr leihen. Auch Regelwerke für Banken und Versicherungen basieren auf den Bonitätskriterien der Agenturen.

Zudem harrt die Errichtung einer europäischen Ratingagentur, die seit dem Kollaps von Lehman Brothers im September 2008 immer wieder gefordert wird, nach wie vor ihrer Umsetzung. Bis sie für mehr Wettbewerb und weniger Abhängigkeit von den amerikanischen Agenturen sorgen kann, wird viel Zeit vergehen. Kritiker der Agenturen wie SPÖ-Finanzsprecher Christoph Matznetter fordern eine gesetzliche Haftung für die Urteile der Agenturen. „Dann werden sie vielleicht vorsichtiger bei ihren Benotungen.“

Kann Italien durch den EU-Rettungsschirm gerettet werden?

Nein. Die Schulden Italiens in absoluter Größe sind zu hoch, als dass der stabile Rest der Eurozone die Probleme abschirmen könnte. Weder für den bestehenden noch für den neu beschlossenen, auf 750 Milliarden Euro aufgestockten Rettungsschirm wäre das verkraftbar. Derzeit haften alle Länder, die nicht selbst unter dem Schirm sind, für die Finanzprobleme der anderen. Je mehr Staaten jedoch vom normalen Finanzmarkt abgeschnitten sind, desto schwieriger wird es für die Gläubigerländer. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis auch deren Kreditwürdigkeit durch die Ratingagenturen herabgestuft würde.

Welches Land greifen die Spekulanten als Nächstes an?

Der zu Beginn der Griechenland-Krise befürchtete Dominoeffekt ist längst eingetreten und nicht unter Kontrolle. Die Finanzmärkte – konkret Hedgefonds, auf den Handel mit Derivaten spezialisierte Banken, aber auch seriöse Großanleger wie Pensionsfonds – nehmen ein Land nach dem anderen, welches die Möglichkeit für den schnellen Gewinn durch Spekulationen auf seine Staatsanleihen bietet, unter Beschuss. Belgien, das seit den Wahlen im Vorjahr noch immer keine neue Regierung hat, oder Frankreich könnten die nächsten Kandidaten sein, auch Portugal und Spanien dürften durchaus noch einmal ins Visier der ­Spekulanten geraten.

Wie sehr ist Berlusconi für die Krise verantwortlich?

Premierminister Silvio Berlusconi hat es in vielen Bereichen verabsäumt, sein Land zu modernisieren. Mit seinen amourösen Eskapaden und Korruptionsskandalen rund um sein Firmenimperium beherrschte er lange die Schlagzeilen. Seriöse Politik hatte da kaum Platz. Sein Finanzminister Giulio Tremonti beharrte zuletzt auf einschneidende Einsparungen im Budget samt Kürzungen im Sozialbereich und Steuererhöhungen. Vorvergangene Woche kam es darüber zu einem heftigen Schlagabtausch mit Berlusconi, der diese Einsparungen wahltaktisch nicht schon im nächsten Jahr durchführen wollte. Für die Finanzmärkte war dies ein Signal, dass es die Regierung mit dem Sparprogramm doch nicht so ernst meinte.

Droht der Tod des Euro?

Ein Zusammenbruch der Gemeinschaftswährung ist unwahrscheinlich, noch hält die Politik eisern daran fest. Der Euro ist auch die Grundlage für das Funktionieren des Binnenmarkts. Die Aufgabe der gemeinsamen EU-Währung würde wohl auch das gesamte EU-Projekt gefährden und zu einer bloßen Freihandelszone zurückstufen.

Würde ein einzelnes Euromitglied ausscheren und eine eigene Währung einführen, könnte dies den gesamten Euroverbund sprengen. Ein Austritt aus der Eurozone ist zudem rechtlich gar nicht vorgesehen. Sollte ein pleitebedrohtes Land aus der Eurozone gestoßen werden, würde es zu einer Kapitalflucht kommen, weil die Anleger nicht mehr sicher sein könnten, ob ihr in Euro angelegtes Geld nicht plötzlich zur Drachme oder Lira werden würde. Für den früheren Präsidenten der EU-Kommission, Romano Prodi, würde es in der EU außerdem wieder zum früheren Abwertungswettlauf kommen. Länder mit schwacher Währung könnten dadurch ihre Produkte leichter exportieren. „Das führt dazu, dass die Wirtschaft der Länder mit stärkeren Währungen wie Deutschland oder auch Österreich geschwächt wird. Schließlich würde sich der gemeinsame Markt auflösen. Dann stirbt auch die EU“.

Würden Eurobonds helfen?

Die Ausgabe von Eurobonds wird von wirtschaftlich stärkeren Ländern abgelehnt, weil sie sich derzeit an den Kapitalmärkten selber billiger Geld besorgen können. Damit würden Steuerzahler in Deutschland, Österreich oder den Niederlanden bei der Schuldenbedienung schwächerer Euroländer zwangsläufig ­mitzahlen. Doch die Spaltung zwischen dem finanzstarken Norden und dem schwachen Süden könnte einen dauerhaften Riss in der Eurozone auslösen, der die gemeinsame Währung erst recht wieder in Bedrängnis bringt. Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister vom Wifo schlug die Einrichtung eines Europäischen Währungsfonds vor, der als gemeinsame Finanzierungsagentur für den Euroraum fungieren könnte. Durch Garantien aller Euroländer wären auch die Zinsen für neue Kredite niedriger als bei Aufnahme durch einzelne Staaten. Auch die ­Risikoprämien auf die Zahlungsunfähigkeit eines Eurolandes wären dann billiger zu haben. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass alle 27 EU-Staaten gleichzeitig bankrott gehen, geht gegen null.

Wie funktioniert das berüchtigte CDS-System?

Es ist ein gewinnträchtiges Zusammenspiel von Investmentbanken und Ratingagenturen: Sobald ein Euroland in Schwierigkeiten gerät, werden auch die Credit Default Swaps (CDS), eine Art Versicherungspolizze gegen die Zahlungsunfähigkeit eines Landes, teurer. Spekulanten, die sich schon vorher mit billigeren CDS eingedeckt haben, ­setzen Wetten auf den Kursverfall der Staatsanleihen des betroffenen Landes. Oft besitzen sie die Anleihen dieser Länder gar nicht, sondern hoffen auf Gewinne durch so genannte „Leerverkäufe“. Sie verdienen also doppelt: durch die Wertsteigerung der CDS-Polizzen und durch den Kursverfall der Staatspapiere, die sie später billiger kaufen und um den zuvor vereinbarten höheren Preis wieder verkaufen.

Werden CDS-Prämien teurer und erhöhen sich Risikoaufschläge für Anleihen, ist das ein Signal für Ratingagenturen, die Bonität des betroffenen Landes weiter herabzustufen, was die Abwärtsspirale in Gang hält. „Es ist ein todsicheres Geschäft, das Anleger so lange machen werden, bis wirklich wirksame ­Gegenmaßnahmen ergriffen werden“, meint SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter. Dazu gehöre ein Verbot von außerbörslich gehandelten CDS-Polizzen oder ein Bann auf Leerverkäufe, was aber nur innerhalb der gesamten EU durchsetzbar wäre.

Matznetter hat in Kooperation mit der Nationalbank schon im Vorjahr ein ­Modell gegen die CDS-Wettgeschäfte ausgetüftelt, das auch Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker unterstützte. So sollten Notenbanken oder die EZB selbst billige CDS-Polizzen auf den Markt werfen, was Spekulanten die Aussicht auf Wettgewinne vermasselt hätte. Beim Frühjahrsgipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs im März 2010 hätte das Modell diskutiert werden sollen. Aber kurz davor hatten sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy auf einen Rettungsschirm für Griechenland geeinigt. Der Abwehrschirm gegen Spekulanten kam nicht mehr auf die ­Tagesordnung.