Wieviel Kurz steckt in Schallenberg?
Titelgeschichte

Jenseits von Kurz und Böse

Der neue Bundeskanzler Alexander Schallenberg hat drei Probleme: Sebastian Kurz, die Volkspartei und die Koalition. Der ÖVP-Chef plant sein Comeback. Seine Partei zerfällt in türkise Systemerhalter und schwarze Systemgegner. Und die Koalition mit den Grünen ist labil.

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An früheren Plenartagen leuchteten die ÖVP-Sitzreihen im Parlament vor türkisen Kleidungsstücken und Accessoires: Röcke, Socken, Ohrringe, Ketten, Stecktücher, Handyhüllen. Vergangenen Dienstag, als mit Alexander Schallenberg der vierte Bundeskanzler binnen fünf Kalenderjahren seine Antrittsrede im Nationalrat hält, ist nur wenig Parteifarbe zu sehen: hier ein türkises Damenjackett, da eine FFP2-Maske, dort eine Krawatte. Der frisch angelobte Kanzler trägt einen roten Schlips mit Elefanten-Muster. Und gleich zu Beginn attackiert er – gegen alle Usancen einer Regierungserklärung – die Opposition: Der angesetzte Misstrauensantrag gegen Finanzminister Gernot Blümel sei „beim besten Willen nicht zu verstehen“. Zu den Grünen meint er: „Unsere Hand als neue Volkspartei ist ausgestreckt in Richtung des Koalitionspartners.“

Doch die Koalition ist aus dem Gleichgewicht. In türkisen Reihen herrscht Fassungslosigkeit über den „Verrat“ der Grünen an Sebastian Kurz. Der Fortbestand der Regierung hängt nun vom Verhältnis zwischen Kanzler und Vizekanzler ab. Würde in diesen Tagen neu gewählt, wäre die türkis-grüne Mehrheit Geschichte. Die ÖVP stürzt in der Sonntagsfrage auf 25 Prozent ab (siehe Seite 14). Eine Mitte-Links-Mehrheit aus SPÖ, Grünen und NEOS ginge sich aus, erstmals seit Jahren. Diplomatie seitens der ÖVP wäre gefragt. Doch Neo-Kanzler Alexander Schallenberg provoziert die Grünen mit Solidaritätserklärungen für seinen Vorgänger. Kann Schallenberg überhaupt Kanzler?

Sebastian Kurz war einst Star, stets umgeben von Fans und Handy-Leuchten. Schallenberg hingegen kann noch unerkannt am Wiener Flughafen in einen Rollfeld-Bus steigen. Er wird Donnerstagfrüh von niemandem um ein Selfie gebeten. Sein erster Auslandsbesuch als Kanzler ging nach Brüssel, es ist eigentlich ein guter Tag für ihn: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigt Schallenberg als einen, der EU „von der Pike auf gelernt hat“. Schallenberg kann sich nur kurz in Lobesworten sonnen. Denn ein Tweet, der seinen Antrittsbesuch verkündet, wird versehentlich von Kurz’ Account verschickt statt von seinem eigenen. Die Häme ist ihm sicher.

Das passt zu Schallenbergs holprigem Start. Gleich nach seiner Angelobung am Montag posaunte er heraus, die Vorwürfe gegen Kurz „für falsch“ zu halten, versicherte bei jeder Gelegenheit seine Loyalität zu Kurz und gab wie ein Parteisoldat die türkise Erzählung wieder, an den Vorwürfen sei „nichts dran“. Bisher zeigte er auch keinerlei Anstalten, die schweren Vorwürfe gegen das „System Kurz“ politisch aufarbeiten zu wollen – etwa mit einem Transparenzpaket.

Die Kurz-Vertrauten Gerald Fleischmann, Medienbeauftragter, und Pressesprecher Johannes Frischmann sind derzeit beurlaubt. Mehr Zäsur war nicht.
Ein Neustart sieht anders aus. Wird Schallenberg sich emanzipieren? Kann er, will er, wird er aus dem Schatten von Kurz treten?

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Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin

Christa   Zöchling

Christa Zöchling