Krawallkids in Wiens Nobelbezirken: „Man wird beschimpft, bespuckt, bedroht“
In Döbling und Währing war zuletzt oft von migrantischen „Jugendbanden“ die Rede. Wer ist noch Lausbub, wer schon Systemsprenger? Und warum legen sich jetzt Rentner mit ihnen an? Lokalaugenschein an einem Hotspot.
„Lena, Valentin, ihr habt beide nicht geschaut. Kommt zurück. Das machen wir jetzt noch einmal.“ Ein Vater unterweist seinen Nachwuchs im Überqueren der Straße. Hinter ihm liegt ein Tennisplatz, laut Eigenwerbung „einer der exklusivsten“ der Stadt, inklusive Pool zum Abkühlen. Auf der anderen Straßenseite der Franz-Weber-Hof. Ein Gemeindebau, der sich harmonisch ins gediegene Ambiente des Döblinger Cottage einfügt: 430 Wohnungen, die sich um eine weitläufige Grünanlage mit Spielplätzen und einem Holzpavillon („Salettl“) im Zentrum reihen.
In diesem Teil des 19. Bezirks stehen Porsches und SUVs in Einfahrten, zieren Namensschilder aus Messing die Eingänge von Stadtvillen, kredenzen Nobelrestaurants Hummercocktails als Vorspeise („unser Klassiker“). Und dazwischen ist im weitläufigen Bezirk mit seinen 76.000 Einwohnern ausreichend Platz für sozial geförderte Wohnanlagen wie eben den Franz-Weber-Hof, den mächtigen Karl-Marx-Hof und 92 weitere Gemeindebauten.
Schwarz gekleidet und auf Krawall gebürstet
Entstanden ist eine Wiener Melange aus unterschiedlichen Lebenswelten, ineinanderfließend und doch klar abgegrenzt. Eine dieser imaginären Grenzen – jene zwischen Tennisclub und Franz-Weber-Hof – überqueren Valentin und Lena gerade. Andere Kinder mit ganz anderen Namen, die wohl nie so behutsam an Regeln herangeführt wurden, sollen hier die Grenzen fast täglich überschritten, ja gesprengt haben. Die Rede ist von Minderjährigen, die über Monate immer wieder im Franz-Weber-Hof auftauchten, in Gruppen von sechs bis acht Burschen und vereinzelt auch Mädchen, schwarz gekleidet und auf Krawall gebürstet.
Sie sollen aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Serbien oder Polen stammen und teils in Döblinger Gemeindebauten, Wohngemeinschaften der städtischen Kinder- und Jugendwohlfahrt, teils aber auch außerhalb des Bezirks wohnen. Das schildern mehrere Bewohner der Anlage, die im Austausch mit der Grätzelpolizei stehen.
Wer von ihnen ist noch Lausbub, wer schon Systemsprenger? Und warum legen sich ausgerechnet rüstige Rentner mit ihnen an? Lokalaugenschein an einem unerwarteten Hotspot.
Wilhelm Jamsek, 76, ist seit 35 Jahren Mieterbeirat im Franz-Weber-Hof. „Da oben haben sie sich getroffen und sind dann brüllend wie die Horden zu uns runtergezogen“, erzählt er. Herunten im Park halle das dann „wie im Kolosseum“, während man sonst „die Grillen zirpen“ höre. Jamsek hat das Ohr ganz nah an den Mietern und entsprechend viel zu hören bekommen.
Er berichtet von Böllern, die in Hauseingänge oder auf vorbeigehende Hunde geworfen worden sein sollen, Grillanzündern in Vorgärten, kleineren Steinen, die herumfliegen, oder von einer eingeschlagenen Glastür, in der ein E-Roller gelandet sein soll: „Sie werden nicht handgreiflich, aber provozieren dich bis aufs Blut. Und wenn wir sie zurechtwiesen, wurden wir aufs Ärgste beschimpft, bespuckt oder sogar bedroht.“
Beim Lokalaugenschein in der vergangenen Woche tauchen die Jugendlichen nicht auf. Ältere Damen drehen ihre Gassi-Runden im Park. „Die letzten Monate waren ein Horror“, sagt eine Pensionistin. „Ich habe viel erlebt, aber so etwas noch nie.“ Warum die vergangenen Tage ruhiger waren, darüber können die Damen nur mutmaßen. „Ein Rädelsführer ist verhaftet worden“, sagt die eine. „Das ist wegen dem Treffen im Park“, sagt die andere. Am 3. Juli versammelten sich im Salettl rund 60 Bewohner, Grätzelpolizisten, Sozialarbeiter und der Sicherheitsbezirksrat zum Krisengespräch. „Die kommen wieder“, trauen die Damen dem Frieden nicht.
Kriminelle Kinder unter 14 Jahren bezeichnet Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) als die großen „Sorgenkinder“. In Wien hat sich die Zahl der Tatverdächtigen von 1400 im Jahr 2010 auf 5000 im vergangenen Jahr vervielfacht. Besonders minderjährige Syrer treiben die Statistik nach oben. Nach 187 Tatverdächtigen im ersten Halbjahr 2024 waren es 707 in den ersten sechs Monaten 2025. Auch in Döbling führen minderjährige Syrer die Anzeigenstatistik an, gefolgt von Afghanen. Wobei Intensivtäter mehrfach aufscheinen können und der erhöhte Polizeidruck mehr Fälle ans Licht bringt.
Konsequenzen gibt es für die Täter keine, weil sie in diesem Alter noch strafunmündig sind. Und das ist vielen nur allzu bewusst.
Dass neuerdings auch in den reichsten Ecken Wiens von „Jugendbanden“ die Rede ist, zeigt, dass sich hier etwas verschoben hat. Die FPÖ stellte gar eine parlamentarische Anfrage an den Innenminister unter dem Titel „Jugendkriminalität in Döbling“. Aber wie gefährlich ist die Lage wirklich?
In den Banden-Begriff wird derzeit viel hineinprojiziert: einzelne „Systemsprenger“, die mehr als 50 Taten pro Jahr begehen und die Anzeigenstatistik massiv pushen; „Intensivtäter“ mit mehr als fünf Straftaten pro Jahr; und Minderjährige, die zum ersten Mal einen Raub, Drogenhandel, Körperverletzung oder Sachbeschädigung begehen. Letztere firmieren unter „Schwellentäter“.
Und dann gibt es die wahrscheinlich größte Gruppe, jene Halbstarken, die sich um ihre Rädelsführer scharen und wie im Franz-Weber-Hof „nur“ provozieren oder sich zu kleineren Delikten anstiften lassen. „Einem Kind wurden auf dem Weg zum Training 15 Euro, einem anderen die Kappe gestohlen“, heißt es aus dem Tennisclub oberhalb des Franz-Weber-Hofs.
Kinder, die andere Kinder rund um die Öffis „abchecken“, verfolgen und dann um Geld, Handys oder Markenklamotten erleichtern: Solche Berichte hörte man in den vergangenen Jahren verstärkt aus dem Nachbarbezirk Währing. „Beim letzten Elternsprechtag waren die Jugendbanden großes Thema. Es gab kaum Eltern, deren Kinder nicht selbst ausgeraubt wurden oder gleichaltrige Opfer kannten“, schildert ein Bankmanager und Vater eines Volksschülers. 2024 schlug ein Raub mit Schlägen und Schreckschusspistole im Währinger Schafbergbad hohe Wellen. Die mutmaßlichen Täter waren zum Teil noch jünger als ihre 13- und 14-jährigen Opfer. Geschnappt wurden sie im 17. Bezirk. Die Bezirksgrenzen bei der Kinderkriminalität sind fließend.
Hinter der Aufregung über Jugendbanden – die Polizei spricht lieber von „Gruppierungen“ – steckt wohl mehr, als die Anzeigenstatistik verrät. Denn 2024 wurden in Währing 284 Straftaten angezeigt, die von Kindern und Jugendlichen unter 18 begangen wurden. In Döbling waren es 254. Und das war ein Rückgang im Vergleich zum Jahr 2022.
„Wir waren schon immer ein Hotspot“, sagt Wilhelm Jamsek, wegen der Grünanlage mit ihren acht Zugängen, durch die man rasch rein- und wieder rauskommt. „In den 1990er-Jahren haben sich hier Skinheads, Rocker oder Giftler angesoffen.“ Mit ihnen habe man noch ein ernstes Wort reden können. „Doch diese Burschen – und auch Mädels – haben weder Respekt noch Hemmschwellen“, spricht er über die vergangenen Monate.
Der Mieterbeirat ist keiner, der die Jugend vorschnell abkanzelt. Als vor zehn Jahren Schmierereien im Bau überhandnahmen, setzte er sich für legale Graffiti-Wände in den Durchgängen zwischen den Wohnblocks ein. Er verwaltet eine „Chill-Zone“ mit Wuzzler und Tischtennistisch in einer aufgelassenen Wohnung mit. Den aktuellen Unruhestiftern wollte Jamsek vorschlagen, „rauf in den Steinbruch“ zu gehen. Damit sie dort „herumbrüllen und sich gegenseitig mit den Gürteln schlagen können“, beschreibt er ein in Döbling bisher nicht gekanntes und verstörendes Hobby.
Doch als sie ihn wieder einmal einen „alten Scheißer“ hießen, reichte es. Nicht nur ihm. Seither besteht eine Dauerleitung zur Polizei. Nach mehreren Anrufen an einem Tag Ende Juni sollen Beamte den Park umstellt und die Jugendlichen angehalten haben, bis sie von Eltern oder Jugendbetreuern abgeholt wurden. Für die Eltern gibt es dann „Normverdeutlichungsgespräche“, um zu signalisieren: Die Taten eurer Kinder sind registriert, ab 14 wird es strafrechtlich ernst.
Bewohnerin Gabriele F. hat den Polizeieinsatz mit Fotos dokumentiert. Die Polizei äußert sich nicht zu konkreten Vorfällen im Franz-Weber-Hof. Doch vielleicht ist es auch deswegen seither ruhiger im Gemeindebau. Die Immobilienmaklerin, die mit ihrem Shih Tzu ihre Runden dreht und nach eigenen Angaben bespuckt, beschimpft („alte Hure“) und bedroht („schlitz dir Kehle auf“) wurde, lässt sich seit Monaten nichts mehr gefallen und hält dagegen.
Was Jamsek, Frau F. und andere Betroffene aus traditionell ruhigeren Ecken der Stadt schildern, wirkt so, als würden diese Jugendlichen umso lauter in ihre Umgebung hineinbrüllen, je ruhiger und beschaulicher diese ist. Weil sie im bürgerlichen Cottage ein stärkeres Echo erzeugen als am Hotspot Reumannplatz in Favoriten. Von „Statusfrustration“ spricht die Integrationsexpertin Emina Saric. „Rebellion ist normal in diesem Alter und richtet sich normalerweise gegen die Eltern.“ Jugendbanden lehnen sich gegen eine Gesamtgesellschaft auf, in der sie nach einer fehlenden, gewaltgeprägten und oft patriarchalischen Erziehung nicht ankommen.
Eine Pensionistin und Hundebesitzerin aus der Anlage, die selbst im Heim aufwuchs („ich habe danach zwei Kinder großgezogen und 45 Jahre gearbeitet“), suchte immer wieder das Gespräch mit den Jugendlichen. „Ich fragte sie: ,Habt ihr keine Träume?‘“ Doch als Antwort habe es oft eine „freche Pappn“ gesetzt. „Die Politik muss ganz unten anfangen, sonst sind diese Kinder verloren.“ Bis dahin gehe sie nicht mehr wählen. „Die Partei muss sich meine Stimme wieder verdienen.“ Welche, sagt sie nicht dazu.
Bezirksvorsteher Daniel Resch von der ÖVP hat das Budget für „Fair-Play-Teams“ aufgestockt, das sind Sozialarbeiter, die Konflikte im öffentlichen Raum verhindern sollen. Und er wünscht sich mehr Sozialarbeit in den betroffenen Schulen, um die negative Energie, die im Park rausgelassen wird, früher abzufangen. „Wie man hört, sind sie in den Schulen oft ganz andere Menschen.“
Auch im Büro der zuständigen Vizebürgermeisterin Bettina Emmerling (Neos) sind die Herausforderungen in Döbling mit den „entgrenzten“ Jugendlichen bekannt. Die örtlichen Jugendtreffs haben auch zu „delinquenten“ Kindern Kontakt und arbeiten „auf Augenhöhe“ mit ihnen. Die Stadt verweist zugleich auf die seit den 1990er-Jahren stark gestiegene Zahl schulpflichtiger Kinder.
So gesehen zählen die Krawallkinder im Cottage zu den vielen „Wachstumsschmerzen“ der Stadt. Und so gesehen sind achtköpfige Jugendgruppen wie im Franz-Weber-Hof ein noch eingrenzbares Problem. Dafür spricht auch die Ruhe der letzten Tage. Herr Jamsek und die rüstigen Damen vom Park werden sich lautstark melden, wenn sie wieder durchbrochen wird.
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.