Mehrkämpfer: Sportverbände sind Tummelplätze für Politfunktionäre

ÖSV, ÖFB, ÖTV: In der Pandemie werden die wichtigsten Sportverbände des Landes zu Schlachtfeldern.

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Seit 1990 hatte Österreich acht Kanzler: Vranitzky, Klima, Schüssel, Gusenbauer, Faymann, Kern, Kurz, Bierlein. Und einen ÖSV-Präsidenten: Schröcksnadel. In den Statuten des Skiverbands ist keine Begrenzung der Amtszeit vorgesehen. Daher hätte Peter Schröcksnadel heuer erneut für das Präsidentenamt kandidieren können. Doch mit knapp 80 Jahren ist selbst für einen wie ihn Schluss. Wie so viele Langzeitherrscher verabsäumte es der ÖSV-Präsident, sein Erbe beizeiten zu regeln. Die Folgen: Nachfolgekämpfe, Fraktionierungen, unterdrückte Konflikte, die plötzlich aufbrechen. Der Sport ist nicht anders als die Politik.

Zwei Millionen Sportler, organisiert in 15.000 Vereinen, bilden eine riesige Wählergruppe, auf deren Pflege keine Partei verzichten kann. Das Mittel dazu sind Förderungen in Millionenhöhe. Der Verteilungskampf schafft Abhängigkeiten und verlangt Gefälligkeiten. Auf der einen Seite sind die Sportler, auf der anderen die Politiker – und mittendrin jene Mehrkämpfer, die sowohl ein politisches Amt als auch eine Funktion in einem Verein oder Verband innehaben. Da kann die Unvereinbarkeit zur Regel werden.

Wie verzahnt Politik und Sport sind, zeigt sich beim ÖSV. Ein Player im Streit um die Nachfolge von Schröcksnadel ist der Präsident des Steirischen Skiverbands, Karl Schmidhofer. Der 59-Jährige war geschäftsführender Gesellschafter der Lachtal Seilbahnen und der Kreischberg Seilbahnen, 2019 Geschäftsführer der Hauser Kaibling Seilbahn bei Schladming. Lang ist auch die Liste seiner politischen Funktionen. Schmidhofer ist Funktionär der steirischen Wirtschaftskammer, Vize-Obmann des ÖVP-Wirtschaftsbundes, stellvertretender ÖVP-Bezirksparteichef in Murau und seit April 2019 Nationalratsabgeordneter. Für die ÖVP sitzt er im Tourismus- und natürlich im Sportausschuss.

Im Kampf um den ÖSV-Vorsitz unterstützt der Steirer Schmidhofer seine Landsfrau Renate Götschl. Die frühere Weltklasseläuferin ist Schröcksnadels Wunschkandidatin. Ihr Gegner ist ebenfalls ein ehemaliger Abfahrtsweltmeister: Michael Walchhofer, Hotelier in Zauchensee. Aus heutiger Sicht wird es im Juni zu einer Kampfabstimmung kommen, dank 
Schröcksnadels Regie verfügt Götschl derzeit über die Mehrheit der Delegiertenstimmen. 

Spitzenfunktionäre im Skiverband haben eine zumindest semipolitische Funktion. Sie lobbyieren vor Großereignissen wie den Ski-Weltmeisterschaften in Schladming (2013) und Saalbach-Hinterglemm (2025) um möglichst hohe Finanzierungen durch die öffentliche Hand. Sie halten Kontakte zu Skiindustrie, Wirtschaft und Sponsoren. Sie bemühen sich um Medienkooperationen. Und sie intervenieren bei Behörden. 

Kein Wunder, dass sich gerade im Skisport Politiker engagieren. Anton „Toni“ Leikam ist ein noch älterer Hase als Peter Schröcksnadel. Seit 1985 ist der Kärntner Vize-Präsident des ÖSV. Von 1986 bis 2002 saß er für die SPÖ im Nationalrat. Dazu ist Leikam Spitzenfunktionär im SPÖ-nahen ASKÖ. Die Dachverbände kontrollieren seit jeher die Sportvereine im Land. Hier wirken Proporz und Parteipolitik wie zur Spitzenzeit rot-schwarzer Machtverteilung. Aktueller Präsident des ASKÖ ist der frühere SPÖ-Abgeordnete Hermann Krist. Obmann der schwarz-türkisen Sportunion ist Peter McDonald, von 2015 bis 2016 ÖVP-Generalsekretär. Vizepräsidentin ist die türkise Europaministerin Karoline Edtstadler. 

Auch in den Fachverbänden und Sportorganisationen wirken aktive oder ausgediente Politiker. Präsident der Basketball-Bundesliga war bis 2019 der frühere FPÖ-Sportstaatssekretär Karl Schweitzer. Präsidentin des Österreichischen Paralympischen Komitees ist die frühere ÖVP-Ministerin Maria Rauch-Kallat. Finden sich keine Politiker, eignen sich auch Beamte als Ehrenamtliche, wie etwa Sonja Spendelhofer, Präsidentin des Österreichischen Leichtathletikverbandes und Fachinspektorin in der Bildungsdirektion Wien.

Einige Verbände lösten sich aus der politischen Einflusssphäre. Im Schwimmverband besetzen nach SPÖ-Präsidenten nunmehr Nullgruppler die Spitzenfunktionen. Der Abschied der Politiker erfolgte nicht freiwillig, sondern nach einem 2013 aufgeflogenen Skandal um fingierte Rechnungen und erschlichene öffentliche Subventionen.

Einer der einflussreichsten Sportfunktionäre ist der Präsident des Österreichischen Tennisverbandes, Magnus Brunner. Der Vorarlberger wurde erst im Oktober 2020 in sein Amt gewählt. Nicht wesentlich länger, seit Jänner 2020, ist Brunner, 49, ÖVP-Staatssekretär im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Davor diente er elf Jahre als Mitglied im Bundesrat. Im heurigen Februar forderte Brunner öffentlich, die coronabedingt geschlossenen Tennishallen wieder aufzusperren. Schließlich sei das Ansteckungsrisiko erwiesen gering. Dazu kritisierte er forsch „den fehlenden Stellenwert von Sport und Bewegung in Österreich“. Adressat von Brunners scharfer Kritik war der Sportminister. Der Staatssekretär hätte sich auch direkt an Werner Kogler wenden können. Er sieht ihn jeden Mittwoch beim Ministerrat. 

Angesichts der Pandemie steckt Brunner in einem Dilemma. Als Verbandspräsident kämpft er gegen massive Einschränkungen des Sportbetriebs durch die Regierung, die er als Staatssekretär mitträgt. Sportfunktionäre ohne politisches Mandat taten sich da leichter und kritisierten das Krisenmanagement der Bundesregierung. Vorn dabei: Peter Schröcksnadel. Aber immerhin: Dank der Hartnäckigkeit seines Präsidenten konnte der ÖSV die Weltcup-Rennen in Sölden im Herbst durchführen. Und auch der Rest der Saison, inklusive der Klassiker in Kitzbühel und Schladming, lief – wenn auch ohne Publikum – glatt. Mit anderen Forderungen, etwa der Bevorzugung der ÖSV-Athleten beim Impfen, blitzte Schröcksnadel allerdings ab.

Noch politischer als im Skiverband geht es im ÖFB zu. Berge gibt es nur im Westen, Fußballplätze in ganz Österreich. Fußball ist aus politischer Sicht – von Bundespräsident Alexander Van der Bellen abwärts – nicht Neben-, sondern Hauptsache. Während Randsportverbände im Lockdown diskret den Trainingsbetrieb auch für Jugendliche aufrechterhalten konnten, blieben die Fußballplätze mit Ausnahme der Profi-Ligen geschlossen. Da konnte der Präsident des ÖFB, Leo Windtner, noch so viel protestieren. Auch dessen Amtsperiode läuft heuer aus. Windtner hat noch nicht genug. Ein möglicher Gegenkandidat, der frühere oberösterreichische Wirtschaftslandesrat Michael Strugl, ÖVP, winkte vergangene Woche gegenüber den „Oberösterreichischen Nachrichten“ ab. Laut profil-Informationen sind einige Landesverbände aber weiterhin auf der Suche nach einer Alternative zu Windtner.

Der Chefposten im ÖFB ist Energiesache. Michael Strugl werkt seit Jahresbeginn als Vorstandsvorsitzender des Verbunds, Windtner war Chef der Energie AG Oberösterreich. Beide Unternehmen treten als Großsponsoren im Fußball auf – was mit ihrer Gesellschafterstruktur zu tun hat: Mehrheitseigentümer ist die öffentliche Hand, bei der Energie AG das Land Oberösterreich, beim Verbund die Republik. Wünschen nach Sportsponsoring wird man sich in teilstaatlichen Betrieben nie entziehen. Das Volk will Spiele, die Politik kann sie bieten. 

Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als in der Bundeshauptstadt. Die städtische Wien Energie ist Hauptsponsor des SK Rapid Wien. Und wird es auch immer bleiben, woran ein Blick in die Mitgliederliste des Rapid-Kuratoriums keinen Zweifel lässt. Dort tummeln sich vor allem Politiker der SPÖ: Ex-Stadträtin Renate Brauner, Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky, Ex-Finanzminister Rudolf Edlinger und der EU-Abgeordnete Andreas Schieder. 

Das Kuratorium der Wiener Austria ist bunter. Vizepräsident des Vereins ist der frühere ÖVP-Chef Josef Pröll. In diversen Funktionen sind tätig: ÖVP-Generalsekretär Axel Melchior, FPÖ-Abgeordneter Hubert Fuchs, Ex-Bürgermeister Michael Häupl, ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, SPÖ-Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke. Diese Politikpower half wohl mit, der finanziell maroden Austria im letzten Moment die Bundesliga-Lizenz zu sichern. 

Betriebe in öffentlichem Besitz wie Verbund und Wien Energie sind realpolitisch zur Sportförderung verpflichtet, Glücksspielunternehmen sogar gesetzlich. 80 Millionen Euro pro Jahr müssen die Lotterien abliefern, seit dem Jahr 1986 insgesamt 1,8 Milliarden Euro, vor allem für den Breitensport, aber auch für das Österreichische Olympische Comité. Daher bekleiden Manager aus dem Glücksspielbereich gern Funktionen im Sport, etwa Friedrich Stickler. Der Ex-Vorstand der Lotterien war von 2002 bis 2008 ÖFB-Präsident. Der ehemalige Casinos-Chef Karl Stoss ist Präsident des Olympischen Comités.

Im Allgemeinen ist der Sport Sache der Länder. Wenn es ums Zahlen geht, ist der Bund zuständig. Für Sportförderungen gibt dieser heuer 135 Millionen Euro aus. Dazu kommen Unterstützungsleistungen bis zu 18.000 Euro  für Vereine, die von Corona besonders betroffen sind. Größter Nutznießer der Sportförderung ist der ÖFB. Der Fußball-Bund erhält jährlich 15 Millionen Euro, der ÖSV 2,3 Millionen, der Handballverband 1,4 Millionen. 

Oberster Sportfunktionär des Landes ist der Präsident der Bundes-Sportorganisation (BSO), die auch unter „Sport Austria“ firmiert. Nach dem überraschenden Tod des ehemaligen Sozialministers Rudolf Hundstorfer 2019 übernahm der frühere burgenländische Landeshauptmann, Hans Niessl, SPÖ, das Amt. Dass ab 19. Mai Sportausübung in jeglicher Form, auch indoor, wieder möglich sein wird, erfüllt Niessl mit Freude: „Jetzt wird der Gesundheitsmotor des Landes endlich wieder angeworfen.“ Was nicht nur die Sportler, sondern auch die Politiker-Funktionäre bewegt.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.