Interview

Meinl-Reisinger: "FPÖ steht außerhalb des demokratischen Bogens"

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger will in eine nächste Regierung, aber sicher nicht mit der FPÖ. Den Landeshauptmann der "sozialistischen Volksrepublik Burgenland" sieht sie kritisch.

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Was sagen Sie zum Kampf um die SPÖ-Spitze zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil?
Meinl-Reisinger
Das tut beim Zuschauen weh. Und ich frage mich, ob man mit einem Mann an der Parteispitze genauso umgehen würde.
Mit Rendi-Wagner verstehen Sie sich gut, oder?
Meinl-Reisinger
Ich hatte auch mit Doskozil interessante Gespräche.
Worüber?
Meinl-Reisinger
Sein Wohnbaumodell zum Beispiel. Ich finde es bemerkenswert für einen Sozialdemokraten, dass er damit Eigentum fördern möchte.
Seine Politik ist insgesamt recht etatistisch, das Gegenteil von NEOS.
Meinl-Reisinger
Ja. Ich bin in ganz vielen Dingen nicht seiner Ansicht. Und ich frage mich, wie er all die Ausgaben in seiner sozialistischen Volksrepublik Burgenland finanzieren möchte.
In der türkis-grünen Koalition herrscht Endzeitstimmung. Läuft bereits Wahlkampf?
Meinl-Reisinger
Ja. Der Wahlkampf ist eröffnet, nur der Wahltag ist noch offen. Wenn sich alle die Schädel einschlagen und das Vertrauen in die Politik dadurch weiter schwindet, wird unsere Rolle als Reformkraft wichtiger.
Streben Sie eine Ampelkoalition aus SPÖ, NEOS, Grünen oder eine Variante aus ÖVP, NEOS, Grünen an?
Meinl-Reisinger
Wir sind die Mittepartei, die links und rechts verbinden kann, eine echte Alternative zu einer Koalition mit der FPÖ. An uns soll nach der nächsten Nationalratswahl niemand vorbeikommen.
Die FPÖ schließen Sie aus?
Meinl-Reisinger
Eine Koalition mit der FPÖ schließe ich aus. Eine Partei, die meint, Menschenrechte sollen nur für Inländer gelten, steht außerhalb des demokratischen Bogens.
Sie spielen auf FPÖ-Niederösterreich-Chef Udo Landbauer an. Die ÖVP Niederösterreich koaliert nun mit ihm.
Meinl-Reisinger
Ein Sittenbild. Udo Landbauer macht Johanna Mikl-Leitner nun doch zur Landeshauptfrau und belügt damit seine Wähler. Die ÖVP koaliert lieber mit Rechtsaußen, bevor sie mit der SPÖ eine flächendeckende Kinderbetreuung ermöglicht. Für die Salzburgwahl im April heißt das: Eine progressive, proeuropäische Regierung gibt es nur mit uns.
In den profil-Umfragen lagen NEOS zuletzt zwischen neun und zehn Prozent. Warum holen Sie nicht mehr von der schwachen ÖVP?
Meinl-Reisinger
Hätte mir bei der Parteigründung vor zehn Jahren jemand prophezeit, dass ich heute hier sitze mit Umfragen um zehn Prozent, ich hätte eine Flasche Champagner geöffnet.
NEOS waren damals frisch und frech, heute sind sie etabliert. Wofür stehen NEOS? Das ist nicht immer klar.
Meinl-Reisinger
Es ist glasklar, wofür wir stehen: Freiheit, Fortschritt, Gerechtigkeit. Jeder Mensch soll alle Chancen und ein selbstbestimmtes Leben haben – vor allem durch die beste Bildung. Einen starken Sozialstaat braucht es ebenfalls – für die, die nicht können, nicht für die, die nicht wollen.
Eine klassisch liberale Partei wie die deutsche FDP sind Sie nicht.
Meinl-Reisinger
Im europäischen Parteienspektrum sind wir wirtschaftspolitisch und gesellschaftspolitisch liberal.
Mehr privat, weniger Staat war schon länger nicht zu hören.
Meinl-Reisinger
Privatisierungen sind kein Selbstzweck. Es geht darum, den gierigen Staat im Zaum zu halten. Die enorm hohe Steuerlast bewirkt, dass sich derzeit niemand mehr was aufbauen kann und es kein Aufstiegsversprechen mehr gibt. Die Menschen sollen sich von ihrem Lohn wieder mehr leisten können – bis hin zum Eigentum.
ÖVP und Grüne haben die kalte Progression abgeschafft – eine zentrale NEOS-Forderung.
Meinl-Reisinger
Das ist sehr zu begrüßen, aber noch keine Steuersenkung, sondern nur der Verzicht auf künftige Steuererhöhungen. Eine deutliche Senkung der Lohnnebenkosten hätte höhere Reallöhne ermöglicht, ohne eine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen und die Inflation weiter zu befeuern.
Elf von 15 NEOS-Abgeordneten haben 2021 für die Corona-Impfpflicht gestimmt. War das nicht unvereinbar mit urliberalen Grundwerten?
Meinl-Reisinger
Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Jeder NEOS-Abgeordnete konnte nach seinem Gewissen frei entscheiden. Aus meiner Sicht war es richtig, für eine potenziell noch gefährlichere Virus-Variante gerüstet zu sein sind. Außerdem war es uns wichtig, Kinder und Jugendliche aus der Impfpflicht rauszuverhandeln.
Weil die Pandemie gerade aufgearbeitet wird: Die NEOS verfolgten den schwedischen Sonderweg ohne Lockdowns sehr aufmerksam. War dieser am Ende erfolgreicher?
Meinl-Reisinger
Wenn ich Übersterblichkeit, psychische Langzeitfolgen bei Jugendlichen und wirtschaftliche Einbußen zusammenzähle, war der schwedische Weg erfolgreicher.
Bei der Zuwanderung haben Sie nachgeschärft. Sie sagen, wir könnten uns „keine offeneren Tore mehr leisten“. Solche Ansagen sind von Ihrer Asyl- und Migrations-Sprecherin Stephanie Krisper nicht vorstellbar. Sie könnte mit ihren Positionen genauso bei den Grünen oder der Caritas sein.
Meinl-Reisinger
Uns alle verbindet unsere liberale Überzeugung und unser Programm. Wer wie Krisper Menschenrechte hochhält, verlangt nicht „No Borders“. Auch profil geht es in dieser Frage offenbar mehr um Polarisierung als einen vernünftigen Diskurs.
Ihr Integrationssprecher, Yannick Shetty, fordert Verwaltungsstrafen für Flüchtlinge, die sich nicht an Integrationsvereinbarungen halten. Schülerinnen und Schüler mit schlechtem Deutsch sollten am Nachmittag verpflichtend einen Zusatzunterricht besuchen. Tragen diese neue Härte alle mit?
Meinl-Reisinger
Das ist nicht Härte, sondern Hilfe. Verpflichtende Förderstunden am Nachmittag habe ich schon als NEOS-Wien-Chefin vorgeschlagen. Wenn 60 oder 70 Prozent in einer Klasse nicht gut Deutsch sprechen, helfen weder Deutschförderklassen noch ein integrativer Unterricht am Vormittag. Niemand soll aus dem Bildungssystem fallen.
In der Wiener Landesregierung sind NEOS seit 2,5 Jahren für Kindergärten und Schulen verantwortlich. Klar erkennbar ist die pinke Handschrift nicht.
Meinl-Reisinger
Und wie sie erkennbar ist! Unser Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr packt genau die richtigen Dinge an. So hat er dafür gesorgt, dass Brennpunktschulen mehr Geld und Lehrpersonal bekommen.
Geredet wird mehr über Förderskandale in Kindergärten als über pinke Leuchtturmprojekte.
Meinl-Reisinger
Für die Skandale kann Wiederkehr nichts. Wesentlich ist, wie er dafür sorgt, dass sich das nicht wiederholt. Durch Transparenz und Lösungen, auf Augenhöhe mit den Eltern.
Wie geht es Ihnen eigentlich mit der Exzentrik von  NEOS-Gründer Matthias Strolz? Zuletzt hat er in einem Video aus dem indischen Goa geschildert, wie er nach der Einnahme des halluzinogenen Ayahuasca-Tees erkannt habe, „ein galaktischer Reisender zu sein, eine Funktion des Universums in einem menschlichen Avatar“.
Meinl-Reisinger
Bei diesem Ritual soll man sich ja heftig übergeben. Darauf werde ich verzichten. Matthias steht authentisch für Achtsamkeit. Es ist gut, sich immer wieder zu fragen: Bin ich bei mir? Wir hinterfragen uns auch bei NEOS in systemischen Aufstellungen.
Und, sind die NEOS bei sich? Sind Sie bei sich?
Meinl-Reisinger
Glaube ich schon. Also, ich bin sehr bei mir selbst.
Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.