Leitartikel

Wer fürchtet sich vorm roten Mann?

Die Kandidatur von Hans Peter Doskozil ist nicht nur für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ein Graus. Auch für politische Gegner ist er ein Gott-sei-bei-uns.

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Stellen Sie sich vor, Sie sind Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Dann haben Sie einen parteiinternen Machtkampf gegen den Bauernbund gerade gewonnen – und trotzdem wissen Sie, dass die Gefahr zu verlieren groß ist. Sie werden wieder Landeshauptfrau, allerdings ohne die Stimmen des neuen blauen Koalitionspartners. Die Gräben sind tief. Herbert Kickl ist der Meinung, Sie seien schuld, dass er seinen Lieblingsjob Innenminister damals aufgeben musste. Und Ihr neuer Vize, Udo Landbauer glaubt, dass Sie ihn bei der vorigen Wahl durch das Herausspielen eines Nationalsozialismus-verheerlichenden Liederbuches seiner Burschenschaft ausgebootet haben. Liebesbeziehung wird das keine mehr, Ihre sonst so wirkungsvollen Umarmungen des Gegners funktionieren nicht mehr. Dafür haben Sie neue Reibeflächen: Den Koalitionspartner selbst, vor allem die SPÖ in Opposition. Sven Hergovich ist ein Doskozil-Mann. Wenn Letzterer an die Spitze der SPÖ kommt, können Sie davon ausgehen, dass er das tut, was wirklich gut kann: zündeln. Die ganze Zeit. Dass Sie außerdem Wählerschaft wegen Ihrer Koalition mit der FPÖ an die Roten abgeben müssen, davon können Sie ausgehen.

Doskozil wird tun, was er wirklich gut kann: zündeln.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Herbert Kickl. Dann wären Sie Hans Peter Doskozils größter Förderer. Das FPÖ-Umfragehoch hat den Boden für seine Kandidatur erst möglich gemacht. Der SPÖ kommen schon lange Stimmen Richtung Blau abhanden. Das kann man in der roten Hochburg Wien gut beobachten. Flächenbezirke wie Donaustadt oder Floridsdorf sind zu Swing-Bezirken geworden. Simmering war nach der Gemeinderatswahl 2015 schon einmal verloren. Ein Trauma der Genossinnen und Genossen. Die Aussage „Wien steht hinter Rendi-Wagner“ ist also schlicht falsch. Die Spitze der Wiener SPÖ, Michael Ludwig, tut das. Wären Sie also Kickl, dann wären Sie von Doskozils Kandidatur nicht begeistert. Was er im Burgenland umgesetzt hat, spricht Ihre Wählerinnen und Wähler, die zu einem Gutteil aus unteren sozialen Schichten kommen, an. Im Burgenland wurden Pflegekräfte angestellt, ein Mindestlohn für Landesbedienstete eingeführt. Pflegeheime und leistbarer Wohnraum werden in großer Zahl gebaut und bezahlt. Wie und ob sich das alles finanzieren lässt, steht am Ende der Rechnung, die erst in ein paar Jahren beglichen werden muss. Der Landesrechnungshof hegt an der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit seine Zweifel. Für den Moment tut die Doskozil-Methode aber ihre Wirkung. Doskozil kann Sie also Stimmen kosten – im direkten Duell aber auch welche bringen.  Gut für Sie, dass Ihre Partei gerade Mitglied der niederösterreichischen Landesregierung geworden ist und dort mit Themen wie Straßenverkehr, öffentlichen Verkehr oder Sport neue Bühnen bespielen kann. Sie werden mit diesem neuen Machtschatz tun, was Sie am besten können: Mit einfachen Botschaften polarisieren.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Karl Nehammer. Also im Umfragetief und darum prinzipiell nicht besonders gut gelaunt. Als Doskozil seine Kandidatur verkündete, waren Sie wirklich schlecht drauf. Denn Doskozil spielt auf Ihrer Orgel: Unter Sebastian Kurz ist die ÖVP deutlich nach rechts gerückt, fuhr einen harten Asylkurs, adressierte die Unsicherheit der Menschen. Der Ukraine-Krieg hat das verstärkt. Sie sprechen von Grenzen, offenen, geschlossenen und solchen, die man nicht überschreiten sollte. Stimmen bringt es Ihnen bisher  nicht wie erhofft: Wer permanent von Chaos spricht, dem glaubt man nicht, dass er die Sache im Griff hat. Ob Doskozil ein internationales Phänomen wie Migrationsströme  beherrschen kann, sei dahingestellt. Er hat – als einer der wenigen in der SPÖ – dazu jedenfalls eine klare Haltung und fordert restriktive Regeln für Zuwanderung. Das wird Ihren potenziellen Wählerinnen und Wählern gefallen! Dann wäre da noch die Teuerung, die jeder spürt: Freilich, Sie sind nicht schuld an einem globalen Phänomen. Aber Lösung haben Sie auch keine. Warum sollte Ihre bisherige Wählerschaft nicht etwas anderes und jemand anderen probieren wollen?

Und jetzt seien Sie bitte einfach kurz Sie selbst. Ein Wähler. Als Politik-interessierter Mensch wissen Sie, was das alles bedeutet: den Anfang von Neuwahlen. Dass das Werkl ab jetzt eher steht, selbst wenn Wahlen nicht vorzeitig ausgerufen werden. Sie sehen, dass die Welt im Umbruch ist, und dass dem politisch auch in Österreich dringend Rechnung getragen werden müsste. Sie sehen die vielen Reformvorhaben, die sich in diesem Regierungsprogramm ebenso finden wie schon in so vielen davor – und die dann doch nicht umgesetzt wurden. Vielleicht ist dieses Mal doch alles anders als sonst in derartigen Situationen. Vielleicht stürzen sich die Parteien dieses Mal in Arbeit, um Ihnen durch Sachpolitik zu zeigen, wofür sie stehen, und warum Sie sie wählen sollen. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.