profil-Morgenpost: Grußloses Unglück

Fällt Ihnen was auf? Fehlt Ihnen was? Richtig: die Begrüßung. Sie muss heute entfallen. Kein „Guten

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Fällt Ihnen was auf? Fehlt Ihnen was? Richtig: die Begrüßung. Sie muss heute entfallen. Kein „Guten Morgen“ an dieser Stelle, kein „Sehr geehrte Frau...“, kein „Sehr geehrter Herr...“. Verstehen Sie diese Unterlassung bitte nicht als Unfreundlichkeit, sondern als aktionistischen Protest!

Am Land (woher ziemlich viele profil-Mitarbeiter kommen) grüßte man früher jeden im Ort; in Landeshauptstädten (aus denen einzelne profil-Mitarbeiter kommen) jeden in der Straße; in Wien (wo fast alle profil-Mitarbeiter wohnen) zumindest jeden im Haus. Aber ist es Ihnen auch schon aufgefallen? Die Kulturtechnik des Grüßens geht verloren. Bisher beschwerte man sich über unhöfliche Kinder, die nicht grüßen können. Heute nütze ich diese „Morgenpost“, um mich über Erwachsene zu beschweren, die das Grüßen verlernt haben. Ein unerwarteter Gruß wirkt heute fast wie eine paradoxe Intervention. Gegrüßt wird nur mehr aus Unterwürfigkeit oder Berechnung. Man grüßt den Chef, den Klassenvorstand der Kinder, den Hausarzt, den Pfarrer (falls man röm.-kath. ist). Nicht mehr gegrüßt werden Bürokollegen aus anderen Abteilungen, die Supermarkt-Kassiererin, Liftwarte, sonstiges Bedienungspersonal, der Pfarrer (falls man nicht röm.-kath. ist). Nach oben wird gegrüßt, nach unten ignoriert. Andersrum hätte es mehr Stil. Irgendwann kommt der Tag, an dem nur noch gegrüßt wird, wo es gesetzlich vorgesehen ist, wie beim Bundesheer per Handzeichen.

Warum man sich in Bulgarien nach dem Ende des Kommunismus mit dem Grüßen schwer tat, erklärt der Politologe Ivan Krastev im aktuellen profil zum Fall der Berliner Mauer vor 30 Jahren. Genaueres erfahren Sie hier (zahlungspflichtig, schließlich ist der Kommunismus seit 30 Jahren vorüber).

Letzte Grußbastion in Österreich werden Gewerkschaften und Betriebsräte sein. Unter Kollegen weiß man noch, was sich gehört, auch wenn es in der Belegschaftsvertretung der Telekom Austria derzeit ziemlich rund geht. Grund für das Ungemach ist das Gehalt des obersten Personalvertreters der Telekom, der gegenüber seinen normalsterblichen Telekom-Mitarbeitern gagenmäßig bevorzugt wird, dass einem Hören und Sehen vergeht. Und Grüßen.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.