Nach profil-Recherchen: Austritte beim Alpenverein
Brennende Windräder, ausgelaufenes Öl oder von Rotorblättern getötete Tiere: Das ist ein Bild, das einige Alpenvereinsvertreter in Vorträgen über die Windkraft zeichnen. In internen PowerPoint-Präsentationen aus dem Sommer 2024 wurde außerdem zu erneuerbaren Energieprojekten „die Festlegung von Kriterien durch den Verein“ diskutiert, sodass „kaum Spielraum für deren Errichtung“ bleibe. Seit profil diese internen Dokumente eines „Sektionen-Updates“ veröffentlicht hat, tobt der Richtungsstreit im Alpenverein auch öffentlich.
Konfliktlinie im Alpenverein
Auf der einen Seite stehen Funktionäre, die seit Jahren potenzielle Gefahren, die von Windrädern ausgehen könnten, in Vorträgen präsentieren. Vor allem an den Inhalten von Herbert Jungwirth vom oberösterreichischen Alpenverein stoßen sich viele Mitglieder. Seit mehr als zwölf Jahren präsentiert er Ansichten, weshalb Windräder keinen Platz haben sollten – auf Bergen nicht, aber auch im Alpenvorland würden sie den Horizont „zersprageln“. Zudem vermittelt er, dass die Windkraft nur einen verschwindend geringen Teil an der österreichischen und weltweiten Stromerzeugung leiste. Übrig blieb – etwa bei einem Vortrag aus dem Mai 2024 im Mühlviertel – dass die Nachteile klar überwiegen würden, man sich lokal vor allem gegen Windkraftprojekte stark machen soll.
Bei steigendem Energieverbrauch, etwa durch Elektroautos, Wärmepumpen oder auch die Elektrifizierung von industriellen Prozessen wie etwa beim oberösterreichischen Stahlerzeuger Voest, empfiehlt Jungwirth Energie zu sparen. In sozialen Medien pflichten einige Jungwirth bei, andere hinterfragen das Engagement in dieser Hinsicht generell: „Warum muss ein Verein, der für alle Bergsportler da sein sollte, beginnen Energie-Politik zu machen?“, schreibt etwa ein Nutzer auf der Kurznachrichtenplattform X.
Austritte aus dem Alpenverien
Auf der anderen Seite gibt es Mitglieder, die mit diesen Ansichten keine Freude haben. „Leider schwächt das auch die Rolle von Umweltorganisationen in Genehmigungsverfahren. Ich kenne viele Mitglieder dieser Organisation, welche sehr unglücklich mit dieser Haltung von einigen Funktionären sind“, meint ein Alpenvereinsmitglied in einem Kommentar auf LinkedIn. Andere wiederum meldeten sich via E-Mail bei profil, dass genau jene Vortragsinhalte der Grund für ihren Austritt in den vergangenen Jahren waren. Und bestehende Alpenvereinsmitglieder kündigten nach Veröffentlichung der Recherche ihren Austritt an. Oder spielen zumindest mit dem Gedanken.
Zwar wurde Jungwirths Einfluss im Verein geschwächt, er wurde als oberösterreichischer Naturschutzreferent durch Michaela Jurda-Nosko ersetzt. Das hindert ihn aber nicht daran, weiterhin als Experte des Alpenvereins zur Windkraft durch Österreich zu ziehen. Mehr als 60 Vorträge hat er bislang abgehalten, zuletzt erst Mitte Juni 2025 in Tirol.
„Pro und kontra Windkraft“ – ohne Pro
Weil es dort bislang kein einziges Windrad gibt, hat das schwarz-rot regierte Land Tirol eine Prämie von 100.000 Euro für den Betreiber des ersten Windrades ausgerufen. Seither befinden sich mehrere Vorhaben in Planung, in jeweils unterschiedlichen Stadien. Am Waldrasterjöchl, oberhalb von Matrei am Brenner, möchte die „Energie West“ – eine Vereinigung von 21 Stadt- und Elektrizitätswerken – fünf Windräder errichten. Es ist nicht das einzige Projekt in der Region, auch wenige Kilometer entfernt finden derzeit Windmessungen statt. Die lokalen Alpenvereinssektionen Steinach, Matrei und Stubai haben damit keine Freude. Mitte Juni haben sie deshalb zur Informationsveranstaltung „Pro und kontra Windkraft“ eingeladen. Das Problem dieses und vergangener Vorträge: im Zentrum stehen ausschließlich die Kontra-Argumente. Man sieht sich selbst als Gegenstimme zu Energieunternehmen, die den öffentlichen Diskurs prägen würden. Mit dramatischen Fotomontagen soll verdeutlicht werden, wie sehr Windräder die Landschaft „verschandeln“ würden. Auch wenn Jungwirth keine Führungsfunktion mehr hat, prägen seine Vorträge das Windkraft-Image des Alpenvereins – und sind ein Grund, weshalb Mitglieder austreten.
Rudolf Niederreiter ist einer davon. Bis ins Frühjahr 2022 war er Alpenvereinsobmann der Sektion Mondsee in Salzburg. Dass man in Teilen des Alpenvereins beim Thema Windkraft lieber auf den Versicherungsexperten Jungwirth hört, statt auf Personen, die sich beruflich mit der Energiewende beschäftigen, hat ihm sauer aufgestoßen. „So nach dem Motto, das ist ein unangenehmes Thema und der Herbert, der kennt sich da eh super aus“, sagt Niederreiter sarkastisch. Für ihn selbst, der als ÖVP-Gemeinderat und Obmann des Vereins Energievision Attergau-Mondseeland ein Windkraftprojekt mit fünf Windrädern realisieren möchte, sei im Verein kein Platz mehr gewesen.
Niederreiter ist kein Einzelfall. Auch in anderen Sektionen sorgt das Thema Windkraft seit Jahren für Unruhe – wie anonymisierte E-Mail-Verläufe des Salzburger Alpenvereins zeigen.
„Schlacht gewinnen“
Im Oktober 2021 präsentierte die Salzburger Landesregierung den „Masterplan Klima+Energie 2030“. Bis 2030 sollten demnach 25 Windräder errichtet werden. Im Zuge dessen wurden zahlreiche Vorhaben diskutiert. Eines davon am Berg Windsfeld in Flachau auf 2000 Meter Seehöhe. Weil sich die Landesverbandsvorsitzende Claudia Wolf vehement gegen das Projekt aussprach, meldeten sich einige Mitglieder beim Salzburger Alpenverein. 31 Personen waren das zwischen März und Juli 2022. Rund die Hälfte tratt aus dem Verein aus oder kündigte diesen Schritt an, sollte der Alpenverein seine Haltung zur Windkraft nicht verändern. „Aufgrund der ‚undemokratischen‘ Vorgangsweise zu Ihrer Meinung gegen Windkraft kündige ich per 31.12.2022 meine Mitgliedschaft beim Alpenverein Salzburg / Sektion Thalgau! Begründung: Ohne Mitgliederbefragung maßen Sie sich an, für die Mehrheit der AV-Mitglieder zu sprechen, welche angeblich gegen Windkraft sein sollen! Ich ersuche um Bestätigung der Kündigung per Mail oder Briefpost“, schrieb ein ehemaliges AV-Mitglied.
Andere – etwa die Hälfte der E-Mail-Verfasser im genannten Zeitraum – wollten entweder mehr über die Position zur Windkraft erfahren oder bedankten sich beim ÖAV für dessen Engagement gegen Windräder auf Bergen. „(...) Bitte helfen Sie uns weiterhin nach Ihren Möglichkeiten, damit wir diese Schlacht vielleicht doch gewinnen – z. B. in Form von Leserbriefen, durch Teilen von Facebook-Posts und dgl.“, bedankte sich der Salzburger Alpenverein dafür im Antwortschreiben im Frühjahr 2022.
Alpenverein weist Vorwurf zurück
„Viele unserer Mitglieder setzen sich mit Leidenschaft für die Themen Klima und Naturschutz ein. Die Art und Weise, wie diese von einzelnen Mitgliedern und Funktionären nach außen getragen werden, kann kritisch hinterfragt werden. Das machen wir auch“, schreibt der Alpenverein in einer Stellungnahme auf die profil-Recherche zu den internen Unterlagen. Der ÖAV weist den Vorwurf, die Energiewende zu blockieren, entschieden zurück: „Wir befürworten den Umstieg auf erneuerbare Energie – aber nicht um jeden Preis.“ Und: In den letzten elf Jahren habe man sich nur in drei UVP-Verfahren (Umweltverträglichkeitsprüfung) zu Projekten mit insgesamt 26 geplanten Windmasten eingebracht, bei rund 1500 bestehenden Windmasten in ganz Österreich.
„Energiewende muss beide Anforderungen erfüllen“
Einen engen Kontakt zum Alpenverein pflegt Gebi Mair. Als Landessprecher der Tiroler Grünen, aber auch als Ausbildungsleiter der Bergrettung Innsbruck. Von emotionalen Vorträgen über Schäden, die Windräder potenziell verursachen könnten, hält er nichts. Stattdessen brauche es eine ordentliche, transparent erarbeitete Raumplanung. „Momentan gibt es vonseiten der Landesregierung eher die Tendenz, Windkraftanlagen weg von der Infrastruktur hinauf ins Hochgebirge zu drücken. Und dort gibt es dann natürlich Widerstand“, so der Tiroler Grünen-Chef. Wie also umgehen mit diesem Zielkonflikt zwischen Umwelt- und Klimaschutz?
„Die Energiewende muss beide Anforderungen erfüllen – sowohl Klimaschutz als auch Naturschutz. Und alle Projekte, die nicht beide Anforderungen erfüllen können, scheiden aus“, sagt Mair. Erneuerbare Energieprojekte in den Bergen könne man damit aber nicht pauschal ausschließen. „Wir haben ja durchaus auch schon große Photovoltaikanlagen in der Höhe installiert, am Pitztaler Gletscher zum Beispiel. Und wenn ich mit Menschen rede, in der Nähe von Skigebieten, da sind die wenigsten dagegen. Da haben wir ja schon Industrieanlagen im Hochgebirge“, meint Mair. Effektiver wären laut ihm aber Kompromisse unterhalb der Baumgrenze – ein Appell an die Energieunternehmen, auch dort Windparks zu entwickeln.
„Attraktive Windgegenden wären ja durchaus auch im Inntal, im Wipptal, im Tannheimer Tal, in Tal- oder Hanglagen. Vielleicht ist es nicht die attraktivste und größte Windkraftanlage, die man dann bauen kann“, so Mair. „Aber in Summe möglicherweise naturverträglicher, als Zufahrtsstraßen und Leitungen ins Gebirge neu zu erschließen.“
Hinter einem Höhenrücken könnte man die Windräder dann aber nicht mehr verstecken. Sie wären vom Tal aus sichtbar. Alle Einwände wird man also nicht ausräumen können. Oder, wie es ein mittlerweile ausgetretenes Mitglied aus dem Bundesland Salzburg in einem Mail vom 20. März 2022 formulierte: „Man kann nicht alles im Leben haben. Man muss Kompromisse schließen. Das sollte auch der Alpenverein bedenken.“