Die Lore ist für die Feierstunde mit Zweigen geschmückt. Neben dem Transportwagen steht der Führer – Militärmantel, Kappe, Schaftstiefel – im aufgeweichten Boden, in der Hand einen Spaten, mit der er ein Stück Erde in die Kippmulde schaufelt. Hinter ihm, mit strammer Haltung in SA-Uniform, ist Dr.-Ing. Fritz Todt zu sehen, Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen. Es ist der 7. April 1938, knapp vier Wochen nach dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich. Die Aufnahme aus dem deutschen Bundesarchiv zeigt Adolf Hitler beim Spatenstich für den Bau der Reichsautobahn am Walserberg an der Grenze zwischen Bayern und Salzburg. In spätestens drei Jahren, verkündet er, werde die Straße bis Wien reichen.
Dass Hitler die Autobahnen bauen ließ, zählte jahrzehntelang zu den Mythen der Zweiten Republik. Tatsächlich wurden nur wenige Kilometer komplett fertiggestellt. Die Nazi-Propaganda verherrlichte den Autobahnbau als Maßnahme zur Schaffung Zehntausender Arbeitsplätze. Doch die beschäftigungspolitischen Effekte waren gering. Nach Kriegsbeginn im September 1939 wurden mehr und mehr Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene auf den Baustellen eingesetzt. Viele kamen dabei ums Leben. Die Asfinag (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft) lässt die Zahl der Opfer und ihr Schicksal nun erstmals wissenschaftlich erforschen. ORF III sendet dazu am 13. April, 20.15 Uhr, eine Dokumentation.
Als „Straßen des Führers“ bezeichnete die NS-Propaganda die Autobahnen. Die Bevölkerung sollte glauben, Hitler selbst sei ihr Schöpfer. In den USA („Parkway“) und Italien („Autostrada“) wurden Autobahnen allerdings schon in den 1920er-Jahren angelegt. Die Nazis lehnten die Schnellstraßen zunächst ab, denn diese würden bloß einer „großkapitalistischen und jüdischen Interessenswirtschaft“ dienen. Noch 1932 stimmten NSDAP-Abgeordnete im Berliner Reichstag gegen die Finanzierung des Autobahnausbaus.
NS-Größenwahn
Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 wurde die Reichsautobahn zum Inbegriff deutscher Ingenieurskunst. Der Größenwahn fand Ausdruck beim Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen Fritz Todt: „Diese Bauwerke sollen nicht gedacht sein für das Jahr 1940, auch nicht für das Jahr 2000, sondern sie sollen hineinragen gleich den Domen unserer Vergangenheit in die Jahrtausende der Zukunft.“ Aus dem Luxusgegenstand Automobil wurde ein „Volkswagen“. Die NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ propagierte das „Autowandern“. Die Trassen – „Adern des Volkes“ – wurden bewusst entlang schöner Landschaften geplant, insgesamt baute man im Deutschen Reich zwischen 1933 und 1942 3820 Kilometer.
Wenige Tage nach dem „Anschluss“ verkündete Hermann Göring in einer Rede am Nordwestbahnhof in Wien, das „große Aufbauwerk“ würde beginnen. In der „Ostmark“ würden 1100 Kilometer der „Straßen des Führers“ errichtet werden. In der Wiener Secession eröffnete Fritz Todt die Ausstellung „Die Straßen Adolf Hitlers“. Das Künstlerhaus organisierte später die Schau „Ein Maler erlebt die Reichsautobahn“.
Vor der „Volksabstimmung“ über den „Anschluss“ am 10. April 1938 wurde mit den neuen Straßen Propaganda betrieben, etwa in einem Artikel im „Welser Anzeiger“, auf den der Historiker Bernd Kreuzer in seiner Dissertation verweist: „Das Reichsautobahnnetz ist das größte Bauwerk aller Zeiten; die Welt beneidet uns darum. Deutsches Volk, sei stolz auf dieses Werk des Führers! Gib ihm am 10. April dein Ja.“
Die Arbeiten an der Autobahn in der „Ostmark“ konnten so rasch beginnen, weil viele österreichische Ingenieure bereits vor dem „Anschluss“ illegal NSDAP-Mitglieder waren und Planungsvorarbeiten geleistet hatten. Dazu betrieben deutsche, im Autobahnbau engagierte Bauunternehmen Tochterfirmen in Österreich.
Die heutigen Verbindungen folgen zum großen Teil den Nazi-Plänen. Wichtigste Achse war die Verbindung von Salzburg über Linz nach Wien. Weiters sollte eine Autobahn von Salzburg nach Villach führen, um eine wintersichere Verbindung in Richtung Balkan zu schaffen. Der Spatenstich für diese „Tauernautobahn“ fand am 10. Mai 1939 in Molzbichl im Drautal statt. Sie sollte die Hohen Tauern mit zwei etwa fünf Kilometer langen Tunneln durchqueren. Weitere Autobahnen sollten Wien im Süden mit Graz und im Norden mit Breslau verbinden. Ebenso existierten Pläne für eine Autobahn von Salzburg über Rosenheim und Kufstein nach Innsbruck.
Nur 17 fertiggestellte Kilometer
Während des Krieges wurde das Streckennetz auf 1400 Kilometer Länge erweitert. Es blieb bei großspurigen Plänen. Komplett fertiggestellt und im September 1941 freigegeben wurden insgesamt nur 16,8 Kilometer. Ein Teilstück führte vom Walserberg bis zur heutigen Anschlussstelle Salzburg-Mitte, das zweite zur heutigen Anschlussstelle Salzburg-Süd bei Anif. Die Erdarbeiten an der heutigen West-, Tauern- und Wiener Außenringautobahn waren allerdings weitgehend abgeschlossen.
Für die Arbeiter wurden entlang der Bauabschnitte sogenannte Reichsautobahn-Lager errichtet, insgesamt etwa 100. Propagandafilme für die „Deutsche Wochenschau“ zeigen stolze Männer mit nackten Oberkörpern und das Leben in den Lagerbaracken, wo gesunde Kost zubereitet wird. Der Ablauf der Bauprojekte erfolgte nicht gerade rationell. Aus Propagandagründen wurde an Dutzenden Stellen gleichzeitig zu bauen begonnen.
Doch schon zu Beginn der Bauarbeiten 1938 herrschte ein Mangel an Arbeitern. Die Chefs der Bauunternehmen beschwerten sich bei den Obersten Bauleitungen der Reichsautobahnen und warben einander die Arbeiter ab. Aus Sicht des Regimes in Berlin war der Autobahnbau nicht prioritär. Denn trotz der hochgefahrenen Produktion gab es nur wenige Autos. Und die Arbeitskräfte wurden für ein anderes gigantomanisches Bauprojekt benötigt, den Westwall, eine 600 Kilometer lange militärische Befestigungsanlage an der Westgrenze des Deutschen Reiches. Mehr als 400.000 Arbeiter kamen zum Einsatz.
Forschungsauftrag der Asfinag
Diese wurden von den Baustellen der Reichsautobahnen abgezogen, die „Ostmark“ war davon aus propagandistischen Gründen aber weniger betroffen, da man den eben begonnenen Bau nicht gleich wieder stoppen wollte. Nach Kriegsbeginn im September 1939 wurden die zur Wehrmacht eingezogenen Bauarbeiter vor allem durch Kriegsgefangene ersetzt, später auch durch zivile Zwangsarbeiter. Aus den Reichsautobahn-Unterkünften für deutsche Arbeiter wurden Zwangsarbeitslager, in denen Polen, Franzosen, Jugoslawen und später Sowjets untergebracht waren.
„Der Autobahnbau ist bisher bei der Erforschung der Zwangsarbeit wenig beachtet worden, auch nicht in der Entschädigungsdebatte um das Jahr 2000. Im Fokus standen Industrie und Landwirtschaft“, sagt Bertrand Perz, Professor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und Präsident der österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Gesellschaft untersuchen Perz und die Historikerinnen Gabriele Hackl-Schwind und Alexandra Wachter die Frühgeschichte der Autobahnen in Österreich zwischen 1935 und 1950. Thematische Schwerpunkte sind Arbeitswelt, Beschäftigungspolitik und Zwangsarbeit von zivilen ausländischen Arbeitskräften und Kriegsgefangenen während der ersten Phase des Autobahnbaus unter NS-Herrschaft ab 1938. Anfang 2025 soll ein Bericht vorgelegt werden. Initiiert und finanziert wurde das Forschungsprojekt von der Asfinag. „Als Unternehmen der Republik wollen wir gesellschaftliche Verantwortung für die Aufarbeitung eines dunklen historischen Kapitels übernehmen und einen Beitrag für zeitgemäße Erinnerungskultur leisten“, so Asfinag-Vorstand Hartwig Hufnagl.
Hierarchie unter Kriegsgefangenen
Die Bedingungen in den Lagern und auf den Baustellen waren denkbar schlecht und von Krankheiten, Unterernährung und Erschöpfung geprägt. „Auch beim Autobahnbau gab es eine klare rassistische Hierarchie unter den Zwangsarbeitern“, sagt Bertrand Perz. „Franzosen wurden noch halbwegs gut behandelt, anders als Polen. Ganz unten rangierten Menschen aus der Sowjetunion, die als sogenannte Untermenschen galten.“
Von den Zwangsarbeiterlagern ist heute nichts mehr übrig. Viele wurden in den 1950er-Jahren beim Fertigbau der Autobahnen planiert. Im niederösterreichischen Sittendorf im Bezirk Mödling sind noch Ruinen von Baracken mit Schornsteinen erhalten. Hier – an der heutigen Wiener Außenring Autobahn – waren vor allem serbische Gefangene interniert. Viele von ihnen starben an Hunger und Typhus. Eine Kunstinstallation erinnert an die Opfer.
Die Zwangsarbeiter wurden beim Autobahnbau vor allem auch bei der Materialbeschaffung eingesetzt. Die Autobahnplaner hatten es zum Prinzip erhoben, für die festungsartigen Pfeiler der Autobahnbrücken Steine der jeweiligen Gegend zu verwenden. Beim Autobahnbau in Oberösterreich – ab 1939: „Reichsgau Oberdonau“ – wurde Granit verwendet, zum Teil aus dem KZ-Steinbruch Mauthausen. Gefangene des KZ-Außenlagers Vöcklabruck arbeiteten beim Bau der Zubringerstraßen von Gmunden und Vöcklabruck zur Autobahn. Es waren 300 republikanische Spanier, die im Bürgerkrieg gegen die faschistischen Franco-Truppen gekämpft hatten und von Frankreich nach Mauthausen deportiert worden waren. Gauleiter August Eigruber persönlich hatte sich dafür eingesetzt, dass sie von Mauthausen nach Vöcklabruck verlegt wurden. Die meisten Spanier überlebten.
10.000 Zwangsarbeiter
Im Herbst 1941 waren über 10.000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene beim Autobahnbau in der „Ostmark“ im Einsatz, schätzt Historiker Perz: „Wie viele von ihnen beim Autobahnbau ums Leben kamen, das betrifft besonders sowjetische Kriegsgefangene, ist noch Gegenstand des laufenden Forschungsprojekts. Gesichert ist, dass viele Todesopfer unter den Mauthausener KZ-Häftlingen, die in den Steinbrüchen arbeiten mussten, wegen der Zulieferung für den Autobahnbau auch als Todesopfer diesem Bauvorhaben zugerechnet werden müssen.“ Es war „Vernichtung durch Arbeit“, so Perz.
Anfang 1942 wurden die Arbeiten an den Reichsautobahnen im „Altreich“ und auch in der „Ostmark“ kriegsbedingt eingestellt. Die Arbeiter wurden in der Rüstungsindustrie benötigt, die Baustoffe für militärische Belange.
Nach Kriegsende 1945 gab es Überlegungen, die Autobahnen und fertigen Pisten wegen des Verlusts an landwirtschaftlichen Flächen rückzubauen. Doch ab 1953 nahm die Republik den Ausbau wieder auf. Die nach landschaftlichen Sehenswürdigkeiten ausgerichtete Trassenführung der Nazis wurde beibehalten. Daher führt die Westautobahn am Mondsee mit Blick auf die Drachenwand vorbei. Der Traunstein liegt bei der Fahrt auf der Westautobahn direkt in der Sichtachse, und das Stift Melk ist in seiner Pracht vom Auto aus zu sehen.
Brücke über Stift Heiligenkreuz
Auch die Führung einer Reichsautobahn durch die Wachau südlich der Donau wurde überlegt. Konkrete Trassenplanungen gab es zur Wiener Außenring Autobahn. Diese sahen vor, eine 70 Meter hohe und 350 Meter lange Brücke direkt über das Stift Heiligenkreuz zu bauen. Das Konzept der Nazi-Ingenieure wurde erst im Jahr 1976 endgültig verworfen.
Auch die Pfeiler einiger Brücken der Westautobahn stammen noch aus der Nazi-Zeit wie jene der Eberstalzeller Brücke und der Aitertalbrücke in Oberösterreich. Jahrzehntelang waren auf Pfeilern noch die in den Stein gemeißelten Reichsadler zu erkennen. Nur die dazugehörigen Hakenkreuze waren nach 1945 rasch abgeschlagen worden.
Der Autor Bruno Schernhammer recherchierte für seinen 2018 erschienenen Roman „Und alle winkten. Im Schatten der Autobahn“ die Geschichte der Almtalbrücke bei Vorchdorf, bei deren Bau von 1939 bis 1942 polnische Zwangsarbeiter und russische Kriegsgefangene eingesetzt wurden. „Sie sind hier buchstäblich verhungert“, sagt Schernhammer in einer ORF-Dokumentation des Regisseurs Christian Hager. Am 26. Oktober 2022 wurde eine Gedenktafel für die Opfer am Fundament eines Pfeilers eingeweiht. Sechs Jahrzehnte zuvor, im Herbst 1961, hatte der oberösterreichische Landeshauptmann Heinrich Gleißner, ÖVP, die renovierte Almtalbrücke feierlich eröffnet und in seiner Festrede den „österreichischen Fleiß“, für den sie stehe, gelobt.
TV-Hinweis: ORF III sendet die Dokumentation (Pammer Film) „Mythos Reichsautobahn – Hitlers gescheitertes Großprojekt" des Regisseurs Christian Hager am 13. April 2024 um 20.15 Uhr.
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.