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NEOS: Beim Überraschungssieger sind erste Flügelkämpfe ausgebrochen

NEOS. Beim Überraschungssieger sind erste Flügelkämpfe ausgebrochen

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Die neun Abgeordneten der NEOS sitzen noch nicht im Nationalrat, aber schon gibt es ersten Krach in der jungen Parteifamilie. Auf Versammlungen und über die interne Facebook-Seite drückten vergangene Woche Aktivisten der NEOS offen ihre Sorge aus, ihre Partei könnte bald vom "Liberalen Forum“ (LIF) gekapert werden. Anlass für den Streit waren Beschlüsse zu Verhandlungen über eine rasche Fusion der beiden Gruppierungen, die im Wahlkampf eine Plattform mit einem gemeinsamen Wahlprogramm gebildet hatten. Einige wirtschaftsliberale NEOS-Anhänger der ersten Stunde haben Angst, bei der pinkfarbenen Partei könnten gesellschaftspolitische Themen auf Kosten der Pläne zur Wirtschafts- und Steuerreform an Bedeutung zunehmen. "Kriegen wir das LIF durch die Hintertüre?“, meinte einer aus dieser Gruppe. Zwar kommen von den neun künftigen NEOS-Abgeordneten im Nationalrat nur zwei aus dem Liberalen Forum und einer von den "jungen Liberalen“ (Julis). Aber dass ausgerechnet der frühere Chef der Hoteliervereinigung und Salzburger Gastro-Unternehmer Sepp Schellhorn den Einzug in den Nationalrat knapp verpasst hat, sorgte für Unmut im wirtschaftsliberalen Flügel der pinken Truppe.

Wirtschaftspolitisches Know-how nicht mehr so gefragt”
Schellhorn selbst bedauert im Gespräch mit profil, dass er über seinen Nicht-Einzug in den Nationalrat von den Medien und nicht von der Parteiführung informiert worden sei. "Offenbar ist mein wirtschaftspolitisches Know-how dort nicht mehr so gefragt“, klagt Schellhorn, der nach eigenen Angaben die neue Partei mit über 30.000 Euro unterstützt hat. Er musste dem steirischen Landeslisten-Anführer Platz machen. Dass Schellhorn anders als Strolz, LIF-Chefin Angelika Mlinar und die Wiener NEOS-Obfrau Beate Meinl-Reisinger nicht über die Bundesliste, wo er an vierter Stelle gereiht war, ins Parlament einziehen durfte, sorgte für Unmut. Schellhorn spricht von "Pech“ und fordert, dass die NEOS an wirtschaftspolitischen Reformen festhalten. Das reiche von einer Neuordnung des Steuer- und Pensionssystems bis zum Ende der Pflichtmitgliedschaft in Kammern.

Wahlarithmetik
Strolz bedauert, dass Schellhorn "auf Grund der Wahlarithmetik“ den Einzug in den Nationalrat knapp verpasst hat. Aber Ängste vor einer Dominanz des LIF seien unbegründet. "Das Liberale Forum wurde 2009 von Angelika Mlinar neu aufgestellt und verfügt über ein ebenso breites Programm wie NEOS“, so Strolz.

In beiden Parteien herrscht Einigkeit darüber, dass erst ihr Zusammenschluss den Einzug in den Nationalrat mit knapp fünf Prozent der Stimmen ermöglicht hat. Viele NEOS-Wähler haben früher dem LIF ihre Stimme gegeben. Ein großer Teil kam von der ÖVP und den Grünen. Der bei manchen Aktivisten der ersten Stunde nicht unumstrittene NEOS-Förderer, der Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner, hat mit seinem Antritt als Ministerkandidat für die nötige Medienpräsenz in der Schlussphase des Wahlkampfes gesorgt. "Ohne Haselsteiner hätten wir den Einzug ins Parlament nicht geschafft“, räumt auch Schellhorn ein, der ursprünglich Kritik am Einfluss des Großsponsors gewagt hat.

Mittelposition
"Die NEOS sollten jetzt die im Wahlkampf zutage getretenen Lücken und Ritzen rasch schließen“, rät der Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer, der das Liberale Forum seit der Gründung unterstützt hat. Zwar sei selbst eine kleine Partei vor Flügelkämpfen nicht gefeit, so Bachmayer: "Aber die NEOS sollten eine links- und rechts-kompatible Mittelposition einnehmen. Eine zu große Konzentration auf gesellschaftspolitische Liberalisierung wäre genauso falsch wie allein ein neoliberaler Weg in Wirtschaftsfragen.“

Auch der Mitbegründer des Liberalen Forums, Friedhelm Frischenschlager, mahnt zur Einigkeit. "Zwischen den beiden Gruppierungen gibt es nur wenige inhaltliche Differenzen.“ Frühere Auseinandersetzungen über die Homo-Ehe, die einst ÖVP-Wähler verschreckt haben, seien großteils überwunden. "Aber jetzt sind alle nervös, weil der Klub gegründet und das Parteiprogramm beschlossen werden muss.“ (Frischenschlager)

Keine klassischen Links-Rechts-Schubladen
Noch sehen viele NEOS-Aktivisten gerade ihre ideologische Bandbreite als Vorteil. "Wir sind die erste echte Zentrumspartei in Österreich, eine aus dem Volk kommende Bewegung der modernen Mitte, die eben nicht in die klassischen Links-Rechts-Schubladen passt“, erklärt Matthias Strolz, der so wie weitere NEOS-Abgeordnete seine politischen Wurzeln in der ÖVP hat. Ideologisch seien die NEOS weit homogener als die ÖVP mit ihren Bünden oder auch die Grünen, "wo ehemalige Kommunisten und Bürgerliche versammelt sind“, so Strolz.

Kernwerte
Das Programm der NEOS ziele auf die Erneuerung Österreichs ab und setze auf "Kernwerte“ wie Eigenverantwortung, Nachhaltigkeit oder Freiheitsliebe mit lebendiger Demokratie, sozialer Verantwortung und Achtung von Bürger- und Minderheitenrechten.

Strolz sieht sich als Kopf einer systemischen Partei, die erstmals einen "gesamtheitlichen Blick“ auf die Politik hat. Für ihn seien Ideen der katholischen Soziallehre, über die er schon bei seiner Matura eine Facharbeit geschrieben hat, genauso wichtig wie die Eigenverantwortung der Bürger. Strolz ist bei seinem Eifer erblich vorbelastet. Schließlich war einer seiner Vorfahren in Vorarlberg Bauernführer und Sozialrevolutionär.

„Perfekte Kampagne”
"Wir sind die erste postideologische Partei in Österreich, aber keinesfalls nur eine Fahne im Wind“, doziert der frühere Unternehmensberater. Mit Unterstützung von Marketingexperten wurden über soziale Netzwerke, Crowdfunding und politische Tupperparties Anhänger und Spender angeworben. "Die NEOS haben eine perfekte Kampagne von unten gefahren, vor allem durch Organisation, Online-Kampagnen und Agenda-Setting. Damit haben sie die Obama-Strategie perfekt für Österreich adaptiert“, so der Internet-Experte Josef Barth.

Weitere Privatisierungen
Die politischen Inhalte wurden eher breit gesteckt. Die Pläne zur Steuerreform mit niedrigeren Eingangssätzen und einem Höchstsatz, der erst bei höheren Einkommen greifen soll, kommen zu einem großen Teil aus der Industriellenvereinigung. Von dort wurden auch Forderungen nach weiteren Privatisierungen übernommen. So soll der staatliche Anteil an Energieunternehmen verkauft werden und der Erlös in innovative Projekte oder Forschung fließen. Im Schienenverkehr sollen weitere private Anbieter für "gesunde Konkurrenz“ sorgen.

Reform der Bildungspolitik
Ein Hauptanliegen der NEOS ist die Reform der Bildungspolitik. "Nur wir können die jahrzehntelange Blockade von SPÖ und ÖVP in diesem Bereich beenden“, meint Strolz. Schulen sollen Autonomie erhalten, von der Auswahl der Lehrkräfte bis zur Spezialisierung auf Lehrinhalte. "Bunte Vielfalt“ soll den Streit über die Einführung der Gesamtschule für alle Zehn- bis 14-jährigen beenden. "Wir wollen den Kindern die Flügel heben,“ lautet ein Mantra von NEOS-Chef Strolz.

„Enkelfit”
Ein zweites Hauptziel ist die Reform des Pensionssystems, das "enkelfit“ gemacht werden soll. Durch Anhebung des Pensions-Antrittsalters - auch für Frauen - soll die höhere Lebenserwartung ausgeglichen werden, damit auch heute 30- oder 40-jährige "später überhaupt noch eine Pension, von der man leben kann, erhalten werden.“ (Strolz) Pensionen über 2500 Euro sollen für einige Jahre nicht mehr erhöht werden.

„Wichtige Impulse”
Der 40-jährige Vorarlberger will mit allen im Parlament vertretenen Parteien sachorientiert zusammenarbeiten, auch mit der FPÖ. Nur eine Koalition mit den Blauen schließt er als Pro-Europäer aus. Ein Vorstoß von Strolz, eine Dreierkoalition mit SPÖ und ÖVP zu bilden, fand aber wenig Anklang. Beide Parteien wollen Hans Peter Haselsteiner oder Strolz kein wichtiges Ressort überlassen. Der aus der SPÖ kommende Werbe- und PR-Agentur-Chef Dietmar Ecker, einst Sprecher von SP-Finanzminister Ferdinand Lacina, hat die NEOS vor den Wahlen in einem Inserat unterstützt. "Die NEOS werden mit ihren liberalen Ideen für wichtige Impulse sorgen, gerade in der Bildungspolitik“, sagt Ecker, der die erfolglosen Verhandlungen über eine Schulreform zuletzt sechs Jahre lang als PR-Experte begleitet hat. "Da sind die Fronten zwischen SPÖ und ÖVP so verhärtet, dass kein noch so kleiner Reformschritt möglich war.“

Foto: Kurt Göthans für profil