Hoffnung in Pink

Neos: Chancen auf den Einzug ins Parlament

Wahlkampf. Experten räumen den Neos erstmals Chancen auf den Einzug ins Parlament ein

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Hermann Schützenhöfer, Landeshauptmann-Stellvertreter und steirischer ÖVP-Chef, sprach vergangene Woche offen an, was schwarze Funktionäre sonst nur hinter vorgehaltener Hand sagen. "Schade finde ich, dass wir einige der Leute von Neos nicht in unsere Reihen bekommen konnten. Das sind letztlich Stimmen, die verlorengehen“, warnte er in einem "Presse“-Interview. "Da gibt es Leute, die in unseren Reihen hauptamtliche Mitarbeiter waren.“

„Keine politische Zukunft in der ÖVP”
Tatsächlich sind in der vor einem Jahr gegründeten Partei "Neos - das neue Österreich“ mehrere ehemalige Mitarbeiter der ÖVP in führenden Funktionen tätig. Neos-Chef Matthias Strolz war früher Konsulent beim ÖVP-Wirtschaftsbund. Die Wiener Neos-Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger engagierte sich einst für die damalige Wiener VP-Chefin Christine Marek. Ein einschneidendes Erlebnis bestärkte sie im Gefühl, "dass ich in der ÖVP keine politische Zukunft mehr sehen konnte“. Als sie sich für eine Offenlegung der Parteifinanzen aussprach, wurde sie von schwarzen Funktionären sofort zurückgepfiffen. "Da habe ich begriffen, dass die Parteispitze die Stimmung unter den Leuten draußen völlig verkennt.“ Die ÖVP habe viele jüngere, urbane Schichten enttäuscht, so Meinl-Rasinger.

In einem Bündnis mit dem "Liberalen Forum“, das von 1994 bis 1999 im Nationalrat vertreten war und von 2006 bis 2008 erneut mit einem Sitz durch ein Abkommen mit der SPÖ, zogen die überwiegend jungen Neos-Aktivisten mit kecken Sprüchen ("Es wird Zeit, dass wir uns das Land zurückholen“) und pinkfarbenen Plakaten in den Wahlkampf. Um Stimmen warben sie vor allem auch in den sozialen Netzwerken. Und fehlende Finanzmittel versuchten sie mit persönlichem Einsatz wettzumachen. Der Unternehmensberater Helmut Hofer-Gruber warb in der Fußgängerzone von Baden eine Woche lang täglich um Unterschriften. "Ich engagiere mich für die Neos, weil ich nicht mehr ausgehalten habe, wie mutlos und feige die Politik in Österreich geworden ist.“ Aktivisten wie Hofer-Gruber organisierten private Diskussionsforen, die aus Urheberrechtsgründen nicht mehr politische "Tupperware-Partys“ genannt werden dürfen. Dort wurden nicht nur Unterstützungsunterschriften für alle Bundesländer gesammelt, sondern auch Spenden, die dann der Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner, einst LIF-Abgeordneter, aus eigener Tasche verdoppelte.

Vorige Woche kehrte der Tiroler auch persönlich in die politische Arena zurück. Nicht auf der längst beschlossenen Wahlliste, sondern als Kandidat für Koalitionsverhandlungen und die Übernahme eines Ressorts mischt Haselsteiner seither an der Spitze der Partei mit. Nicht zur Freude aller Neos-Anhänger. Auf Twitter sorgten sich viele, dass die Partei dem alten LIF zu ähnlich werden könnte.

Meinungsforscher geben den Neos dennoch ernsthafte Chancen, die Vier-Prozent-Hürde mit rund 200.000 Stimmen zu überwinden. In Umfragen liegt die Partei inzwischen bei drei Prozent. Meinungsforscherin Sophie Karmasin erkennt "Spielraum nach oben“, sofern die pinke Partei im Wahlendspurt nicht nachlasse. Laut einer unveröffentlichten Umfrage im Auftrag der ÖVP liegen die Neos schon bei vier Prozent Zustimmung.

"Wir wollen Österreich erneuern“, meint Neos-Chef Strolz selbstbewusst. "Immer mehr Menschen haben den politischen Stillstand im Lande satt.“ "Die Entwicklung von Neos verläuft viel positiver, als ich erwartet habe“, sagt der ehemalige LIF-Politiker Friedhelm Frischenschlager. "Dass ÖVP-Strategen jetzt immer lauter mit dem Argument einer "verlorenen Stimme“ vor den Neos warnten, sei ein gutes Signal dafür, "dass die Neos ernstgenommen werden“, so Frischenschlager.

„Vier-Prozent-Hürde durchaus erreichbar”
Auch der Politologe Peter Filzmaier, der noch im Frühjahr den Neos nur eine "kleine Außenseiterchance“ eingeräumt hat, hält nun die Überwindung der Vier-Prozent-Hürde für "durchaus erreichbar“. Die Hälfte der dafür erforderlichen 200.000 Stimmen könne aus dem ehemaligen Lager der LIF-Wähler kommen, der Rest von anderen Parteien, vor allem von der ÖVP sowie von Nichtwählern.

2008 seien immerhin 150.000 frühere ÖVP-Wähler zum BZÖ Jörg Haiders übergelaufen, so der Politologe. "Angehörige des bürgerlichen Lagers, die von der ÖVP enttäuscht sind, die FPÖ Straches als zu extrem und Stronach als zu skurill einstufen, könnten diesmal durchaus den Neos ihre Stimme geben“, so Filzmaier. "Es wird aber davon abhängen, ob die Neos im Wahlkampfendspurt noch Überraschungen liefern können.“ Die Rückkehr eines erfahrenen Polit-Haudegens wie Haselsteiner sei "strategisch klug“ gewesen. Filzmaier: "Im bürgerlich-liberalen Lager sind die meisten unentschlossenen Wähler, die auch für eine kleine Partei noch abzuholen sind, auf dem Markt.“

Kein Platz
Der politische Liberalismus hatte in der Zweiten Republik bislang nur wenig Chance. Während in Deutschland, Großbritannien oder skandinavischen Ländern liberale Parteien Regierungsverantwortung übernahmen, die Liberalen in Belgien mit Guy Verhofstadt sogar den Premierminister stellten, deckten in Österreich die FPÖ und später auch das BZÖ das rechtsliberale Spektrum ab. Das Liberale Forum blieb nur wenige Jahre im Nationalrat. Für eine wirtschafts- und sozialliberale Partei wie die deutsche FDP schien in Österreich kein Platz frei zu sein.

Bildung und Gerechtigkeit
Die Neos glauben, diese Lücke füllen zu können. In ihrem Wahlprogramm konzentrierten sie sich auf die Themen Bildung und Gerechtigkeit für die jüngere Generation, vor allem bei der Pensionsreform. Vergangene Woche lud die Neos-Spitze den Pensionsexperten Bernd Marin zu einer Debatte, für die der aus der SPÖ kommende Werbeagentur-Chef Dietmar Ecker Gastgeber spielte. Marin, der der Regierung Reformunwillen bei den Pensionen vorwarf, erklärte, dass er als "libertärer Citoyen“ die Neos unterstütze. SPÖ und ÖVP würden sich vor notwendigen Anpassungen im Pensionssektor drücken.

Strolz und seine Co-Vorsitzende vom Liberalen Forum, Angelika Mlinar, wollen die Steuerlast für Bürger und Unternehmen senken und durch schlankere Verwaltungsstrukturen Budgetmittel in Investitionen für Innovation und Forschung umlenken. Als potenzielle Wähler umwerben sie auch die Ein-Personen-Unternehmen (EPUs), um die sich bisher sonst keine Partei wirklich kümmern wollte.

Die ÖVP will nun stärker als bisher das Abwandern von Anhängern zur kleinen Partei bekämpfen. VP-Staatssekretär Sebastian Kurz spottete über die Abkehr vom "jungen, frischen Image“ der neuen Partei. "Haselsteiners Antritt wird den Neos schaden“, so Kurz. Andere schwarze Spin-Doktoren verbreiten genüsslich die alte Botschaft, dass die Neos nach der geplanten Vereinigung mit dem Liberalen Forum wieder die "Homoehe“ fordern würden. Derzeit steht aus Rücksicht auf Stimmen aus dem katholischen Lager nur die gleichgeschlechtliche Partnerschaft im Parteiprogramm.