Interview

Oberster EU-General: „Russland darf den Krieg nicht gewinnen“

Ex-Generalstabschef Robert Brieger, höchstrangiger General in der Europäischen Union, schließt eine EU-Armee langfristig nicht aus. Aber was, wenn Europa jetzt angegriffen würde?

Drucken

Schriftgröße

Militärs müssen immer vom Worst-Case-Szenario ausgehen. Aber gibt es beruflich auch etwas, das Ihnen Hoffnung gibt?
Brieger
Ich bin ja von meinem Naturell her ein realistischer Optimist. Die europäischen Staaten haben ein gemeinsames Interesse, für Sicherheit und Wachstum zu sorgen. Daher glaube ich, dass die Europäische Union ein Instrumentarium erhalten wird, um auch künftig die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Das klingt ein bisschen kompliziert, aber wenn Sie mich nach positiven Aspekten fragen, muss ich etwas ausholen.
Welche Instrumentarien sind das denn?
Brieger
Wir sind zum Beispiel dabei, die EU-Battlegroups zu einer raschen Eingreiftruppe mit 5000 Mann auszubauen. Sie soll ab 2025 einsatzbereit sein, in erster Linie außerhalb Europas und komplementär zur NATO. Ziel ist es, dass sie auch in feindlicher Umgebung im Krisenmanagement tätig ist: mit Konfliktprävention, Evakuierungen, humanitärer Hilfe, Stabilisierungseinsätzen bis hin zur Friedensdurchsetzung.
Die Länder schicken in diese Eingreiftruppe turnusmäßig Soldatinnen und Soldaten. Österreich musste dafür Personal aus dem Kosovo-Einsatz abziehen. Wie sinnvoll ist es, so eine Truppe aufzubauen, wenn das Personal dann an einer anderen Stelle fehlt?
Brieger
Natürlich braucht es neben höheren Verteidigungsbudgets auch mehr ausgebildete Soldaten, hier herrschen noch Mängel. In einigen europäischen Staaten wie Deutschland gibt es daher Überlegungen, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Das heißt: Ja, es müssen Löcher gestopft werden. Meiner Erfahrung nach wären aber die Kapazitäten, um so eine bescheidene Größenordnung wie 5000 Mann bereitzustellen, grundsätzlich sehr wohl vorhanden.
Aber?
Brieger
Oft hinkt der politische Wille noch ein wenig hinterher. Wir versuchen Anreize zu schaffen, indem bestimmte Kosten wie für den Transport gemeinschaftlich getragen werden. Es gibt auf europäischer Ebene aber noch keine endgültige Einigung.
Bleiben wir noch kurz in Österreich. Im Herbst 2022 sagten Sie, Sie erwarten eine Debatte über die Neutralität. Sie wurde nur leise geführt. Erwarten Sie sie nun vor den Wahlen?
Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.