ÖVP-Klubobmann Wöginger: "Impfplan gilt auch für alle Politiker"

ÖVP-Klubobmann August Wöginger über das Gespür von Bürgermeistern, das Parlament im Ausnahmezustand, Regieren mit den Grünen, die Skifahrnation Österreich und seine Sehnsucht nach Wirtshäusern.

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profil: Sie waren als Vizebürgermeister selbst in der Gemeindepolitik. Derzeit drängeln sich reihenweise Bürgermeister bei der Impfung vor. Ärgert Sie das?

Wöginger: Dafür habe ich null Verständnis. Es gibt einen klaren Impfplan mit Prioritäten. Politiker sind in der Kategorie kritische Infrastruktur gereiht, werden also irgendwann ab April geimpft. Daran hat man sich zu halten.

profil: Die Bürgermeister sagen, sie seien oft in Pflegeheimen, haben viel Kontakt mit Menschen.

Wöginger: Natürlich sind Bürgermeister viel unterwegs. Aber es gibt einen Plan und eine Reihung. Das gilt auch für alle Politiker.

profil: Sollen die Bürgermeister zurücktreten?

Wöginger: Das muss jeder für sich entscheiden. Vordrängen geht nicht. Alle wissen mittlerweile, dass das nicht in Ordnung war, so viel Gespür haben Bürgermeister. Das war falsch.

profil: Ihr Parteifreund, Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer, argumentiert: Bürgermeister haben Priorität beim Impfen. Hat er recht?

Wöginger: Man darf sich natürlich nicht vordrängen, schon gar nicht als Politiker, das ist inakzeptabel. Wenn ein Bürgermeister ehrenamtlich mithilft oder eine Funktion im Altenheim hat, beisielsweise als Eigentümervertreter, dann ist das anders zu bewerten.

profil: Kommt durch das Drängeln von Bürgermeistern Impfneid auf?

Wöginger: Eines ist interessant und freut mich: Vor einigen Wochen hatten wir gefühlt mehr Impfgegner als Impfbefürworter. Jetzt steigen in der Bevölkerung das Interesse und die Bereitschaft, jeder will zuerst drankommen. Aber es ist richtig, in Pflegeheimen mit Impfungen zu beginnen. Dort gibt es die meisten Toten.

"Die alles entscheidende Frage ist, dass wir genug Impfstoff bekommen."

profil: Jedes Bundesland hat eigene Regeln: Manche impfen zuerst Gesundheitspersonal, andere über 80-Jährige. Entsteht dadurch nicht Verwirrung?

Wöginger: Es ist beides wichtig: das Spitals- und Pflegepersonal, die über 80-Jährigen auch. Die alles entscheidende Frage ist, dass wir genug Impfstoff bekommen.

profil: Das wird noch Monate dauern.

Wöginger: Man muss, wie Kanzler Sebastian Kurz das tut, wirklich bei der Zulassung des Impfstoffes von AstraZeneca durch die EU-Arzneimittelbehörde aufs Tempo drücken. Die Behörde sollte bei ihrer Entscheidung einen Gang zuschalten.

profil: Warum kommen Politiker auf die Idee, Wissenschaftern vorzuschreiben, wann der Impfstoff zu genehmigen ist?

Wöginger: In Israel oder Großbritannien wird dieser Impfstoff seit Wochen verimpft. Niemand versteht, warum er nicht auch in der EU verwendet werden kann. Es ist keine fachliche Entscheidung mehr, da der EMA seit 12. Jänner alle Unterlagen vorliegen. Jetzt ist es nur noch eine Frage der bürokratischen Prozesse, und hier zählt jeder Tag.

profil: In Österreich wollten die Bundesländer unbedingt fürs Impfen zuständig sein. Jetzt sind sie damit heillos überfordert. In Ihrem Heimatbundesland Oberösterreich herrschte bei der Impfanmeldung Chaos.

Wöginger: In Oberösterreich habe ich mir das natürlich genau angeschaut. Der Impfplan wurde professionell erstellt. Dann startete vor einer Woche die Impfanmeldung, telefonisch und im Online-Portal- und da ist alles zusammengebrochen. Wenn sich zigtausende Menschen gleichzeitig anmelden wollen, dann freut uns das zwar, weil die Impfung angenommen wird. Aber dann müssen alle für ein paar Stunden Geduld aufbringen, bis die Systeme nicht mehr so überlastet sind und man drankommt. Weil nach ein paar Stunden hat es funktioniert.

profil: Allen reißt derzeit der Geduldsfaden sehr schnell. Kippt die Stimmung?

Wöginger: Die ganze Pandemiesituation ist schon sehr mühsam. Das spüren wir alle, ich auch. Wir wollen alle unser normales Leben zurück. Das werden wir aber nur bekommen, wenn wir impfen, impfen, impfen und parallel dazu testen, testen, testen. Wir müssen da gemeinsam durch.

"Die schweigende Mehrheit trägt die Maßnahmen immer noch mit."

profil: Die Bereitschaft, sich an Lockdown-Regeln zu halten, sinkt deutlich.

Wöginger: Die schweigende Mehrheit trägt die Maßnahmen immer noch mit. Aber die anderen werden halt lauter. Diesen Trend sehen wir überall in Europa. Ich verstehe alle, die den Lockdown satthaben. Aber er ist alternativlos: Wir haben europaweit ein mutiertes Virus, viele Staaten verlängern Lockdows. Klar ist das bitter. Denn wir waren schon weiter, im Sommer konnten wir einige Monate lang relativ normal leben.

profil: Zu normal? Gingen die Öffnungsschritte zu weit?

Wöginger: Ich glaube: nein. Die Zahlen waren herunten, es gab wenig Neuinfektionen. Ich habe damals "Almen statt Palmen" gepredigt, viele freuten sich über Urlaub, ich auch, ich war in Tirol.

profil: Ist damals Schlendrian eingerissen? Es gab Feiern in Fußballvereinslokalen, Feste bei der Feuerwehr - als ob es kein Corona gäbe.

Wöginger: Österreich ist ein Land, wo man gerne beisammen sitzt und feiert. Das ist ja grundsätzlich etwas Positives, in Pandemiezeiten aber schwierig. Aber in den Köpfen der Menschen war im Sommer die Pandemie schon weg. Jetzt ist sie wieder da. Auch, weil wir in der zweiten Welle gesehen haben, dass es sehr schnell gehen kann, dass Spitalskapazitäten knapp werden. Und es ist positiv, dass es mittlerweile wieder in der Politik breiten Konsens gibt und auch die SPÖ und die Sozialpartner die Maßnahmen mittragen.

profil: In den neuen Konsens mit der SPÖ wird viel hineingeheimnist. Können Sie einen fliegenden Koalitionswechsel zur SPÖ ausschließen?

Wöginger: Ja! Das kann ich ausschließen.

"Es gibt derzeit keine normalen parlamentarischen Prozesse."

profil: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sagte: Die Pandemie ist eine Zumutung für die Demokratie. Hat sie recht?

Wöginger: Im Prinzip schon. Wir haben im Parlament derzeit Prozesse, die jeglicher Geschäftsordnung trotzen. Direkt nach dem Nationalrat muss sofort der Bundesrat tagen, damit Gesetze schnell beschlossen werden können. Es gibt Beschlüsse ohne Begutachtung, weil dafür einfach keine Zeit ist. Es gibt derzeit keine normalen parlamentarischen Prozesse.

profil: Sie agieren quasi mit Notverordnungen. Wie lange hält die Demokratie das aus?

Wöginger: Manche werfen uns vor, dass wir diktatorisch agieren. Das ist falsch, natürlich leben wir in einer Demokratie. Aber wir müssen die demokratischen Prozesse beschleunigen. Das Virus kennt keine Begutachtungsfristen und auch keine Geschäftsordnung.

profil: Grundrechte sind massiv eingeschränkt, etwa durch Ausgangssperren. Wie lange können solche drakonische Beschränkungen gelten?

Wöginger: Wir tun das ja nicht aus Jux und Tollerei, sondern um das Virus zu bekämpfen. Dafür müssen wir Kontakte reduzieren. Ich hoffe, dass die neuen Möglichkeiten Erleichterungen bringen - etwa die neuen Selbsttests.

profil: Haben Sie sich schon selbst getestet?

Wöginger: Ja - unter Anleitung meines Mitarbeiters, der ehrenamtlicher Rettungssanitäter ist. Es funktioniert gut und ist erfreulich leicht. Wenn eine Mehrheit der Bevölkerung testet, ist das ein Weg aus den Lockdowns.

profil: Eine andere Variante wäre die Corona-App. Die war ein Totalflop. Werden Sie einen Wiederbelebungsversuch unternehmen ?

Wöginger: Die App wäre gut gewesen, ging aber in der Debatte um Datenschutz unter. Jetzt sind wir in einer anderen Phase, jetzt sollten wir impfen und testen.

profil: Sind Sie für Impfpflicht?

Wöginger: Nein. Außerdem ist der Andrang auf die Impfung ohnehin groß.

profil: Größer wird auch die Zahl der Impfskeptiker. Voriges Wochenende gab es eine große Anti-Corona-Demo in Wien, die meisten Teilnehmer kamen ohne Maske. Hätte die Polizei die Demo auflösen sollen?

Wöginger: Demonstrieren ist ein wichtiges Grund- und Freiheitsrecht. Aber wir appellieren dringend, die Corona-Maßnahmen einzuhalten: Abstand und Maske. Wenn die Regeln gebrochen werden, ärgert das zu Recht viele Menschen.

profil: Andere ärgern sich über Gedränge bei Gondeln. War es klug, die Skilifte offen zu halten?

Wöginger: Wir sind eine Skifahrernation. Es wäre schwer zu erklären, wenn in Wien vor dem Rathaus der Eislaufplatz offen ist - aber man in Tirol oder Salzburg die Skihänge nicht nutzen darf. Außerdem: Menschen müssen sich im Outdoor-Bereich betätigen können. Und manche Skilifte haben vorbildliche Regelungen.

profil: Es gibt viele Berichte, dass Skiurlauber problemlos im Lockdown Unterkünfte buchen können. Werden Hotels und Co zu wenig kontrolliert?

Wöginger: Solche Fälle sind absolut inakzeptabel, die muss man anzeigen, und es muss Sanktionen geben. Denn ist es unfair gegenüber jenen, die sich an die Regeln halten. Denn Tourismus ist derzeit verboten.

profil: Auch deswegen herrscht Rekordarbeitslosigkeit.

Wöginger: Ja, leider. Aber die Kurzarbeit ist ein Erfolgsmodell, sie sichert 440.000 Menschen ein Einkommen.

profil: Trotz Rekordarbeitslosigkeit wollen Sie das Arbeitslosengeld absenken?

Wöginger: Wir diskutieren schon länger über ein degressives Modell. Denn wenn das Arbeitslosengeld zu Beginn höher ist und dann deutlich absinkt, dann ist das ein Anreiz, sich rasch einen neuen Job zu suchen. Aber: Das ist ein Vorhaben für die Zeit nach der Pandemie, wenn die Arbeitslosigkeit nicht mehr so hoch ist. Wann das sein wird, wissen wir nicht.

"Wer ein solches Jahr gemeinsam bewältigt, der besteht auch alles andere."

profil: Die türkis-grüne Koalition hat wohl das extremste erste Jahr erlebt, das jemals eine neue Regierung hatte. War Corona ein Kitt?

Wöginger: Das erste Jahr war extrem herausfordernd. Wer ein solches Jahr gemeinsam bewältigt, der besteht auch alles andere. Wir arbeiten gut zusammen, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind.

profil: Sind Sie froh, dass Sie nicht mit der FPÖ, die gegen Corona-Maßnahmen wettert, in der Regierung sitzen?

Wöginger: Wir haben mit der FPÖ eine sehr gute Zusammenarbeit gepflogen - bis wir draufkamen, dass zwei Herren der Meinung waren, sie müssen nach Ibiza reisen.

"Ibiza hat die heimische Politik radikal verändert."

profil: Sie sagen über Herbert Kickl: "Kickl hat einen Haufen Mist hinterlassen, nicht nur Pferdemist." Klingt nicht nach jemand, mit dem Sie gut zusammengearbeitet haben.

Wöginger: Ich hatte mit Herbert Kickl nie viel zu tun. Prinzipiell möchte ich die Zeit der Koalition mit der FPÖ nicht missen. Aber Ibiza hat die heimische Politik radikal verändert.

profil: Tun Ihnen die Grünen leid, wenn sie aus Koalitionsdisziplin gegen ihre Überzeugungen abstimmen müssen - etwa bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Lesbos?

Wöginger: Regieren unterscheidet sich halt von Opposition. Der Satz "Der Standort bestimmt den Standpunkt" hat seine Berechtigung, auch für die Grünen. Aber unser Standpunkt war vor der Wahl, nach der Wahl und jetzt sehr klar.

profil: Sie sind beim Roten Kreuz, in der katholischen Kirche auch: Beide Organisationen drängen auf Aufnahme von Flüchtlingen. Kann Sie das nicht überzeugen?

Wöginger: Wir haben im Vorjahr über 5700 Kinder und Jugendliche aufgenommen.

profil: Ein Großteil davon kam schon in Österreich zur Welt.

Wöginger: Seit der Flüchtlingskrise 2015 haben wir 123.000 Menschen Schutz gewährt. Österreich nimmt viele Flüchtlinge auf. Wir helfen permanent. Derzeit ist unser Zugang, und den halte ich durchaus für christlich-sozial, vor Ort zu helfen.

profil: Tut es Ihnen weh, wenn Sie Bilder von Menschen sehen, die mitten in Europa im Dreck leben?

Wöginger: Man darf den Fokus nicht nur auf ein Flüchtlingslager richten. An vielen Orten der Welt sind Menschen in Not. Wir helfen vor Ort, wir errichten Gebäude, wir bauen die Hilfe aus und nehmen mehr Geld in die Hand, um menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

profil: Sie klingen nicht so, als würden Sie den Grünen ihren Wunsch erfüllen und Familien oder Kinder aus Flüchtlingslagern holen.

Wöginger: Wir bleiben bei der Hilfe vor Ort und haben die Mittel dafür erhöht.

profil: Auf welchem Standpunkt bleiben Sie beim Thema Schule? Unterrichtsminister Heinz Faßmann wollte Schulen früher öffnen, Sie bremsten.

Wöginger: Die angespannte Situation in vielen Wohnungen verstehe ich. Wir haben ja selbst drei Kinder, der Älteste ist 16, der Jüngste in der Volksschule. Den Löwenanteil macht meine Frau, wofür ich ihr dankbar bin. Aber ich habe vollstes Verständnis, dass viele Eltern sagen: Wann gehen endlich die Schulen wieder auf?

"Sobald es die Pandemie zulässt, öffnen wir als Erstes die Schulen."

profil: Warum gab es nicht bessere Vorbereitungen, damit die Schulen offen bleiben?

Wöginger: Sobald es die Pandemie zulässt, öffnen wir als Erstes die Schulen. Aber eines ist durch Studien belegt: Infektionen finden auch in Schulen statt, Kinder tragen das Virus in Wohnungen, zu Eltern und Großeltern. Aber natürlich können Kinder im Präsenzunterricht besser unterrichtet werden. Beim Distance Learning ist in den letzten Monaten viel passiert, meine Kinder lernen so sogar Instrumente. Aber natürlich ist das Ziel, zum Präsenzunterricht zurückzukehren-und damit zur Normalität.

profil: Wann wird so etwas wie Normalität kommen?

Wöginger: Wir sehen schon den Lichtschein am Ende des Tunnels. Es kommen aber jetzt noch harte Wochen, wahrscheinlich sogar Monate, die wir noch durchhalten müssen.

profil: Wird der Lockdown über den 7. Februar hinaus verlängert?

Wöginger: Hoffentlich nicht. Ich hoffe, dass die Infektionszahlen absinken, möglichst auf eine 7-Tages-Inzidenz von 50. Und wir ab 8. Februar schrittweise öffnen können.

profil: Was geht Ihnen am meisten ab?

Wöginger: Ich bin leidenschaftlicher Volkspolitiker. Mir fehlen die Kontakte bei Festen, bei Veranstaltungen- und natürlich auch in Wirtshäusern. Ich würde gerne wieder unter Leute kommen, ratschen und ein Seidl Bier trinken.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin