Alles in Butter?

Michael Spindel­egger erfindet sich im Wahlkampf neu

ÖVP. Wie sich Vizekanzler Michael Spindelegger neu zu erfinden versucht

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Vergangene Woche durfte ÖVP-Obmann Michael Spindelegger zwei Erfolge, verdichtet auf 24 Stunden, erneut erleben. Donnerstag einigte sich die Koalition auf eine Reform des Wehrdienstes. Wäre es bei der Volksbefragung im Jänner nach der SPÖ gegangen, gäbe es heute keine Wehrpflicht mehr. Doch es ging nach dem Willen der Volkspartei. Mittwoch hatte Spindelegger mit sichtbarem Wohlgefallen – flankiert von einem weniger gut gelaunten Bundeskanzler – in der Hofburg mitverfolgt, wie Wilfried Haslauer von Bundespräsident Heinz Fischer zum Landeshauptmann von Salzburg angelobt wurde. Viele ÖVP-Kapazunder hatten ihren Obmann vor einer Volksbefragung zur Wehrpflicht gewarnt. Und noch mehr waren der Meinung, der spröde Haslauer würde die Salzburger Neuwahlen trotz günstigster Ausgangsposition vergeigen und damit auch die Bundespartei schwächen. Spindelegger glaubte fix an einen Sieg in Salzburg – und gewann eine Wette mit einem Parteifreund um eine Flasche Champagner.

In der ÖVP gibt man sich mit Hinweis auf eigene Umfragen demonstrativ optimistisch, dass auch am Abend des 29. September, dem Tag der Nationalratswahl, Schaumwein statt Trostbier fließen wird. In den Erhebungen des Karmasin-Meinungsforschungsinstituts für profil lag die ÖVP in den vergangenen Monaten bereits mit der SPÖ gleichauf. Laut der jüngsten Erhebung vor zwei Wochen halten die Sozialdemokraten bei 27 Prozent, die Volkspartei erreicht 24 Prozent. Fest steht: Die SPÖ ist für die ÖVP in Reichweite.

Allein das ist für Spindelegger schon ein Erfolg.

Etwa 150.000 Stimmen werden über Sieg oder Niederlage entscheiden. So viel machte bei der Wahl 2008 der Unterschied zwischen SPÖ (29,3 Prozent) und ÖVP (26,0 Prozent) aus. Die ÖVP muss ihre Kernländer im Westen, das ländliche Niederösterreich und die Steiermark abschöpfen. Von zentraler Bedeutung: Oberösterreich. Hier liegt Schwarz bei Bundeswahlen meist hinter Rot. Will Spindelegger Erster werden, muss er in Oberösterreich die SPÖ schlagen. Auch in Wien (2008: 16,7 Prozent) benötigt er Zugewinne.

Der Kanzler als Bergsteiger
In der Wahl der Mittel sind Spindelegger & Co nicht zimperlich. Christlich-soziale Nächstenliebe war gestern, Negativkam­pagne ist heute. So spottete der ÖVP-Chef zuletzt über das Alter des SPÖ-Pensionistenchefs Karl Blecha und kritisierte angeblichen Sozialmissbrauch im roten Wien.
In einem vergangenen Freitag veröffentlichten Doppelinterview in den Bundesländerzeitungen kanzelte Spindelegger Werner Faymann wenig elegant ab. Während der SPÖ-Vorsitzende die Frage, was er an seinem Koalitionspartner schätze, mit dessen Pakttreue beantwortete, konzedierte Spindelegger dem Kanzler lapidar, „ein guter Bergsteiger“ zu sein. Bei einem Auftritt vor Christgewerkschaftern vor zwei Wochen hatte der ÖVP-Obmann sein SPÖ-Pendant mit bis dahin ungehörter Härte attackiert: „Ist das wirklich ein Bundeskanzler für das Land? Nein!“ Besonders zufrieden zeigt man sich in den ÖVP-Propagandaabteilungen mit der Verbreitung eines eigens kreierten Kampfbegriffs, der die rote Gier nach dem Eigentum der Bürger treffen soll: „Faymann-Steuern“.

Einer der Aushecker der schärferen ÖVP-Strategie ist Frank Stauss. Der deutsche Politikberater, Miteigentümer der Kommunikationsagentur Butter, wurde bereits vor zwei Jahren als Berater engagiert. Bisher war Stauss vor allem für die deutschen Sozialdemokraten tätig gewesen und schuf etwa den Terminus diabolicus „Merkel-Steuern“. Im jüngst erschienenen Buch „Höllenritt“ beschreibt Stauss – in wenig bürgerlichem Tonfall („Fuck“, „Scheiߓ) – seine Strategie bei der Bundestagswahl 2005 angesichts verheerender Umfragedaten der SPD und ihres Kanzlers Gerhard Schröder: „Wenn du nicht zu deinem Gegner aufschließen kannst, dann zieh ihn wenigstens zu dir runter. Zweifel säen, warnen, madig machen, verunsichern – mehr ist erst mal nicht drin.“

Dass Stauss hinter den kantigeren Auftritten des Vizekanzlers steckt, wird in der ÖVP dementiert. Spindelegger habe sich schlicht weiterentwickelt. Die Lernkurve muss eine steile gewesen sein. Vor fünf Jahren war Spindelegger als einfacher ÖVP-Kandidat des Wahlkreises Wien-Umgebung angetreten. Überraschend machte ihn Josef Pröll zum Außenminister. Drei Jahre später wurde er ÖVP-Chef. Nicht wenige in der Partei rechneten für 2013 mit einem anderen Spitzenkandidaten, etwa Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner.

Doch zumindest eine Chance erhielt noch jeder ÖVP-Obmann.
Anschauungsmaterial zur Optimierung von Wahlkämpfen findet Spindelegger im eigenen Parteiarchiv. Die Wahlen 2006 und 2008 wurden vergurkt. Wolfgang Schüssel gelang es, Kanzlerbonus und günstige Ausgangslage dank einer durch den Bawag-Skandal gebeutelten SPÖ zu verspielen. Statt den Wählern zu erklären, wie er sie in Zukunft besser stellen wolle, forderte er Dankbarkeit für seine bisherige Arbeit ein und philosophierte in den TV-Konfrontationen über die Vision eines Donauraums. Wilhelm Molterer hatte 2008 nicht nur Neuwahlen ausgerufen („Es reicht“), sondern auch eine grottenschlechte Kampagne abgeliefert, deren skurriler Tiefpunkt ein Plakat gegen Kinderschänder war.

"SPÖ mit ihren eigenen Waffen schlagen“
Wie Spindelegger galt auch Molterer nicht als politischer Kraftlackl – und scheiterte kläglich bei dem Versuch, im Wahlkampf einer zu werden.
Doch der aktuelle Parteiobmann zieht mit ungleich besseren Erfolgsaussichten in den Wahlkampf. Die Gesetzgebungsperiode ist regulär abgelaufen, die Partei nach den Erfolgen bei den Landtagswahlen in Niederösterreich, Tirol und Salzburg hoch motiviert. Die SPÖ und ihr Spitzenkandidat Werner Faymann sind ob der heurigen Niederlagenserie angeschlagen. Der rote Erfolg in Kärnten (37,1 Prozent bei 440.000 Wahlberechtigten) zählt strategisch wenig gegen das Fiasko in Niederösterreich (21,6 Prozent bei 1,4 Millionen Wahlberechtigten). Michael Spindeleggers Verhältnis zum Boulevard, den Molterer 2008 in Kamikaze-laune bekämpfte, ist entspannt. Neben Generalsekretär Hannes Rauch und Butter-Berater Stauss soll nun auch Außenamts-Staatssekretär Reinhold Lopatka Wahlkampf-Knowhow beisteuern. Die Haare trägt der ÖVP-Chef seit einiger Zeit etwas länger, die Anzüge wirken schnittiger.
Bei Wording und Kandidatenauswahl pfeift Spindelegger freilich auf Ratschläge. Warnungen, sein derzeitiger Lieblingsterminus „Entfesselung“ klinge etwas marktradikal, ignoriert er ebenso wie parteiinterne Bedenken gegen seine Listenzweite für die Nationalratswahl, Michaela Steinacker. Die scheidende Raiffeisen-Direktorin verantwortete als Bahnmanagerin einst das umstrittene Immo-Business der ÖBB mit.

Derzeit bereiten Spindelegger freilich weniger künftige als vielmehr aktuelle Amtsträger Probleme. Schon Anfang Mai war die ÖVP aufgrund des Widerstands von Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich gegen ein Verbot bestimmter Pestizide über Nacht zur wenig sympathischen Sterbehelferin der Bienen mutiert. In der Vorwoche entbrannte die Diskussion zum Entsetzen der Parteiführung aufs Neue, nachdem Bauernbund-Obmann Jakob Auer fraktionellen Widerstand gegen eine schärfere Variante des Pestizidverbots angekündigt hatte. Der schwarze Agrarsprecher musste zur Räson gebracht werden – Chaos pur.

Abgesehen vom angezählten Berlakovich wurde nun auch die steirische ÖVP-Spitzenkandidatin Beatrix Karl verhaltensauffällig. In einem frostigen „ZiB 2“-Auftritt zeigte die Justizminister vergangenen Mittwoch wenig Empathie für jenen 14-jährigen Untersuchungshäftling, der Anfang Mai in der Justizanstalt Wien-Josefstadt schwer misshandelt worden war. Erst Freitag fand Karl öffentlich Worte des Bedauerns und der Anteilnahme.
Der Koalitionspartner reagiert auf Spindeleggers forschen Frühwahlkampf zunehmend genervt. Dass der Vizekanzler mit Lust ausschert und wie vergangene Woche an der SPÖ vorbei eine Pseudo-Einigung mit der schwarzen Lehrergewerkschaft auf ein neues Arbeitszeitmodell verkündet, kommentierte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos spitz: „Spindelegger ist ein politischer Flip-Flopper. Er fährt einen Zickzack-Kurs. Mal ist er auf Regierungslinie, dann wieder nicht.“

Wie wirksam Negativkampagnen sein können, weiß Darabos aus eigener Erfahrung. Im Jahr 2006 hatte er als SPÖ-Wahlkampfmanager die Volkspartei mit einer aggressiven Linie gegen Wolfgang Schüssel komplett überrascht. Kommentar eines Spindelegger-Vertrauten: „Diesmal wollen wir die SPÖ mit ihren eigenen Waffen schlagen.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.