profil-Morgenpost

Vertrauensfrage

Es gibt in der Pandemie keine Gewissheit. Das Gegenteil zu behaupten ist verantwortungslos.

Drucken

Schriftgröße

Guten Morgen!

Die Blumenverkäuferin, der ehemalige Kollege, zuletzt der Bankberater: Immer häufiger treffe ich auf Menschen, die momentan total verunsichert sind. Das äußert sich dann so: Die Impfung sei sehr gefährlich, erklären die Leute, man wisse ja nicht, ob man in einigen Monaten oder Jahren doch daran sterben könne. Die Gefahren des Corona-Virus wären erfunden, Covid-19 nicht schlimmer als eine echte Grippe, der Lockdown reine Schikane, alles nur auf den Profit der Pharmakonzerne ausgerichtet.

Und es bleibt nicht bei der Blumenverkäuferin oder beim ein oder anderen Bekannten. Am Wochenende sind schon wieder tausende Menschen in Wien auf die Straße gegangen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Auf den Transparenten waren auch abstruse Vergleiche zu lesen – etwa jener, der die Beschränkungen in der Pandemie mit der Unterdrückung in einer Diktatur gleichsetzt.

Was entgegnet man auf solche Aussagen?

Es sind nicht nur Rechtsextreme und Staatsverweigerer, die da auf die Straße gehen. Es ist eine diffuse Bewegung, Hippies und Esoteriker haben sich den Hooligans angeschlossen, nicht alle sind verrückt – und nicht alle sind immun gegen vernünftige Argumente.

Die Verunsicherung kommt nicht von irgendwo. Zum einen haben viele Verschwörungstheorien einen wahren Kern. Es stimmt, dass die mRNA-Impfstoffe zum ersten Mal auf den Markt gelangen. Es ist richtig, dass man über vieles nichts oder wenig weiß, etwa über die Mutationen des Virus oder darüber, wie lange die Impfungen gegen eine Erkrankung schützen. Das bereitet vielen Menschen Sorgen – nicht nur jenen, die ohne Masken und Sicherheitsabstand gegen eine herbeifantasierte „Hygiene-Diktatur“ demonstrieren gehen.

Zum anderen hat die Regierung – und das zeigen auch die jüngsten profil-Umfragen – viel an Vertrauen verspielt. Man vertraut keinem, der behauptet, immer recht zu haben und keine Fehler zu machen. Genau diese Unfehlbarkeit suggeriert uns aber die Regierung.

Anstatt das ein oder andere offen zuzugeben und sich auf die Sorgen der Menschen einzulassen, tut die Politik so, als hätte sie alles im Griff. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass dem nicht so ist. Wer tut, als wüsste er alles, ohne recht zu überzeugen, macht Verschwörungstheorien die Tür auf. Dahinter stehen rechte Politiker, aber auch Ärzte, die zwar keine Experten für Coronaviren sind, sich aber als solche ausgeben – und die Menschen mit ihren falschen Theorien weiter verunsichern.

Vielleicht wäre es angebracht, dass die handelnden Politiker (auf Sternchen oder Binnen-I darf hier getrost verzichtet werden, denn es handelt sich ausschließlich um Männer) in Österreich bei ihren zahlreichen Pressekonferenzen häufiger Expertinnen und Experten zu Wort kommen lassen, die sich schon vor der Pandemie mit der Materie befasst haben. Es könnte sich auch lohnen, ehrlich zu sein – und das ein oder andere Mal zuzugeben, etwas nicht zu wissen.

Siobhán Geets

P.S. Gibt es etwas, das wir an der "Morgenpost" verbessern können? Das Sie ärgert? Erfreut? Wenn ja, lassen Sie es uns unter der Adresse [email protected] wissen. Hier können Sie die Morgenpost als Newsletter abonnieren.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.