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Scheitert Türkis-Grün am Hindukusch?

Koalitionen sind dann am Ende, wenn Rigoristen auf beiden Seiten nicht nachgeben können.

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Wäre Birgit Hebein noch Vize-Bürgermeisterin und Grünen-Chefin von Wien, hätte sie ihre Partei wohl nicht verlassen. Ohne Amt fallen dramatische Auf- und Austritte allerdings leichter. Und so richtete Hebein ihrer Partei am Wochenende via Facebook aus, dass diese „mit all den Argumenten und Nichthaltungen nicht mehr mein Herz“ erreiche. Grund für Hebeins Zorn auf die Grünen sind die Türkisen, konkret deren Weigerung, Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen.

Wäre Reinhold Mitterlehner nach seinem Rücktritt, wie von Sebastian Kurz in Aussicht gestellt, Präsident der Nationalbank geworden, hätte er vermutlich kein Buch mit dem Titel „Haltung“ geschrieben und würde nicht als Kronzeuge der moralischen Anklage gegen Kurz dienen.

Kränkung ist eine politische Kategorie. Man kann für sie Verständnis haben wie Christa Zöchling in einem Artikel aus dem Jahr 2017.

Wenn Kritik aus Kränkung erfolgt, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sie falsch ist. Sebastian Kurz kann durchaus so kaltschnäuzig sein, wie ihn Mitterlehner in seinem Buch beschreibt. Und die Regierungs-Grünen haben der türkisen Flüchtlingspolitik außer Appellen tatsächlich nichts entgegenzusetzen. Das zeigte sich bereits in der Debatte um das griechische Lager Moria oder die Abschiebung von Schülerinnen nach Georgien.

In der Politik benötigt man Fortune. Den Grünen mangelt es daran. Eben erst gelang es Umweltministerin Leonore Gewessler, mit Öko-Politik (1-2-3-Ticket, Stopp von Großprojekten) zu punkten. Die grüne Strategie, Umwelt und Klima zulasten von Grundrechtsthemen zu betonen, begann zu greifen. Und nun ist sie wieder voll da, die Asyl-Debatte.

Koalition als FPÖ-Verhinderungsprojekt?

Wenn Hebein grüne „Argumente“ kritisiert, meint sie wohl das Selbstverteidigungsmantra von Werner Kogler & Co, in einer türkis-blauen Koalition wäre alles noch viel schlimmer, wohingegen die Grünen auf die ÖVP wenigstens eine dämpfende Wirkung hätten. Mit diesem Argument wird sich Kogler selbst nicht gerecht – und die grüne Regierungsbeteiligung auf ein FPÖ-Verhinderungsprojekt reduziert. Tatsächlich verhält es sich so: Aus Sicht vieler Grüner, darunter Hebein, ist die Koalition mit Sebastian Kurz schlicht falsch. Werner Kogler versucht nun, in diesem falschen politischen Leben ein richtiges zu führen. Das nennt man Pragmatismus. Das Gegenteil ist Rigorismus, wie ihn die grünen Fundis, darunter Hebein, praktizieren – aber auch Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer mit ihrer Festlegung, sogar unmittelbar gefährdete Menschen aus Afghanistan nicht aufzunehmen. Merke: Koalitionen sind dann am Ende, wenn Rigoristen auf beiden Seiten nicht nachgeben können.

Einen angenehmen Tag wünscht

Gernot Bauer

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Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.