ANGEZÜNDETES FLÜCHTLINGSHEIM IN LINZ, 4. MÄRZ 2023 Die beschädigten Teile wurden nachbestellt, Anfang Mai soll das Quartier wie geplant aufsperren.
Österreich

Rechte Winkel: Was macht Oberösterreich so attraktiv für Rechtsextreme?

Brennende Asylquartiere, geschändete KZ-Gedenkstätten und ein boomender rechter Mediencluster

Drucken

Schriftgröße

Auf einem leeren, mit Polizeiband abgesperrten Grundstück am Rande eines Linzer Wohngebiets stapeln sich die Bestandteile eines Holzriegelhauses, das in einigen Wochen ein Asylquartier sein sollte. Unbekannte steckten die Wände und Pfeiler in Brand. Die Feuerwehr raste herbei und löschte das Feuer. Das ORF-Landesstudio Oberösterreich schickte ein Kamerateam, das die angekohlten Teile filmte. Vom Täter fehlt jede Spur. Vielleicht waren es auch mehrere.

Als die Bilder on air gingen, saß eine Autostunde entfernt Klaus Gattringer, ÖVP-Bürgermeister von Altenfelden im Mühlviertel, vor dem Fernseher. Hier ereilte ihn ein unvermutetes Déjá-vu-Erlebnis, denn vor sieben Jahren war in seiner 2500-Seelen-Gemeinde ein baugleiches, bereits zusammengebautes Holzriegelhaus, in das 48 Flüchtlinge einziehen sollten, in Flammen aufgegangen.

Genau wie bei uns, dachte Gattringer also. Das gleiche Haus. Vielleicht derselbe Täter? Der Brandstifter wurde nie dingfest gemacht. Sollte die Tat die Gemeinde damals einschüchtern, verfehlte sie ihren Zweck. Das zerstörte Asylquartier wurde abgerissen, an Ort und Stelle ein neues errichtet. Hier leben nun zwischen 30 und 40 junge Männer, die meisten aus Afghanistan und Syrien, gröbere Probleme habe es mit ihnen in all den Jahren nicht gegeben, so Gattringer.

Auch das in Linz angezündete Holzhaus soll wie geplant kommenden Mai als Grundversorgungsquartier des Landes Oberösterreich aufsperren, geht es nach Christian Wagner vom Samariterbund Oberösterreich, der die zerstörten Bauteile beim Mühlviertler Hersteller mittlerweile nachbestellt hat. ÖVP-Integrationslandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer verurteilte den Anschlag. Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger forderte die im Land regierende ÖVP-FPÖ-Koalition auf, "verstärkt den Dialog mit der ansässigen Bevölkerung zu suchen".Über die Verteilung von Asylwerbern zwischen Stadt und Land war im Vorfeld heftig gestritten worden.

Bei rechtsextremen Straftaten führend

Was aber ist mit den Tätern? Just am Tag des Brandanschlags wurde eine neue Statistik zu rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Straftaten öffentlich. Und wieder lag Oberösterreich an der Spitze. In keinem anderen Bundesland werden so viele einschlägige Delikte begangen. Seit 2015 liegt das Land ob der Enns auf dem ersten Platz; in der jüngsten Zählung wird es erstmals von Wien überholt, allerdings lebt hier fast eine halbe Million Menschen mehr als in Oberösterreich.

Dass die Öffentlichkeit sich dieses Bild verschaffen kann, ist nicht selbstverständlich. Der Rechtsextremismus-Bericht wurde unter der ersten schwarzblauen Koalition (2000 bis 2002) abgeschafft, nachdem Burschenschaften auf ein Ende der "Gesinnungsschnüffelei" gedrängt hatten, und nie nicht wieder aufgelegt. Seit 2017 springt die SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz in die Bresche, indem sie regelmäßig parlamentarische Anfragen an den Innenminister richtet. 2022 zählte man österreichweit 928 einschlägige Delikte (Wien: 212, Oberösterreich: 187, Niederösterreich: 181); das Gros (nämlich 791) wies einen rechtsextremen Hintergrund auf (Wien: 195, Oberösterreich: 173; Niederösterreich: 128).

Die Umtriebigkeit von Rechtsextremisten in Oberösterreich ist historisch begründet, hat mit der Nähe zu Deutschland zu tun und zehrt zudem von einer Kultur des Verharmlosens. Der Reihe nach: Laut Historikern reicht der starke Deutschnationalismus bis zur Gegenreformation mit ihrer brutalen Rekatholisierung zurück. Das Innviertel, das bis 1779 zu Bayern gehörte, und das Hausruckviertel gelten als Aufmarschgebiete der Rechtsextremen. Auch die Anfänge der FPÖ wurzeln in diesem Milieu.

Burschenschaften etablierten sich als Kaderschmieden. In Ried im Innkreis, das die FPÖ für ihre deftigen "Politischen Aschermittwoche" auserkor, stellt die "Germania" das braune Epizentrum dar, in Linz ist es die "Arminia Czernowitz",deren Mitglieder sich in der oberösterreichischen FPÖ tummeln. Sowohl der gegenwärtige FPÖ-Obmann Manfred Haimbuchner ist schlagender Burschenschafter("Corps Alemannia Wien") als auch Detlef Wimmer, der bis 2019 Vizebürgermeister in Linz war und seit Kurzem der Linzer Lokalbahn AG vorsteht. Er zählt zur erwähnten "Arminia Czernowitz". Der vor zehn Jahren zurückgetretene frühere FP-Klubchef im Linzer Gemeinderat, Sebastian Ortner, wiederum war Mitglied der "Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition" (VAPO), die von Gottfried Küssel angeführt wurde. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Ende der 1980er-Jahre radikalisierte sich die Neonazi-Szene im Gleichklang mit der deutschen. 1990, nach dem Zusammenbruch der DDR, referierte Küssel in Brandenburg, Sachsen und Thüringen und richtete Wehrsportcamps aus, in denen der Nachwuchs trainierte, wie man dem politischen Gegner die Gurgel durchschneidet. Die Verbindungen hielten. "Wenn in Passau die Rechtsextremen auf die Straße gehen, ist ein Drittel Österreicher dabei",konstatiert Robert Eiter, Mitbegründer und Sprecher des Oberösterreichischen Netzwerks gegen Rassismus und Rechtsextremismus, dem 90 politische, kirchliche, kulturelle und humanitäre Organisationen angehören.

Inzwischen gehen die Verflechtungen kreuz und quer. Die rechtsextremen Identitären nutzten die "Arminia Czernowitz"-Unterkunft in Linz als "Bastelraum, wo sie ihre Flaggen und Plakatständer zusammenbauen",sagt Uwe Sailer, der früher als Datenforensiker für den Verfassungsschutz arbeitete, inzwischen in Pension ist und heute quer durch das Land Vorträge zum Rechtsextremismus hält. Ihren Sitz bezogen die Identitären im "Castell Aurora",einem ehemaligen Café in der an Linz angrenzenden Gemeinde Steyregg. Verbindungen der rechtsextremen Identitären zur FPÖ sind vielfach belegt. Beim "Kongress Verteidiger Europas" in Oberösterreich etwa, einer Vernetzungsplattform der Szene und auch für die Identitären, trat 2016 Herbert Kickl, damals Generalsekretär der Freiheitlichen, als Hauptredner auf.

Ab 2000 schlossen sich in Oberösterreich junge Rechtsextremisten zum Bund Freier Jugend (BFJ) zusammen, veranstalteten Rockkonzerte, Zeltlager und Kampfsportübungen und dockten bei Fußball-Fanclubs und der FPÖ-Jugend an. Im Verfassungsschutzbericht 2007 werden sie als der "aktivste Träger rechtsextremen Gedankenguts" beschrieben. Nach der Auflösung des BFJ wurde ein Teil der Anhängerschaft im Internet aktiv. Auch hier ragt Oberösterreich heraus, sagt Sailer. 2015 startete in Linz die Hochglanz-Postille "Info-Direkt" mit der Titelzeile "Wir wollen einen wie Putin" und seitenweisen Huldigungen für den russischen Präsidenten und seinen Chef-Ideologen Alexander Dugin. Es folgten Wochenblick (inzwischen eingestellt), report24.news, regionaltv.at, Heimat-Kurier; im März 2021 ging noch "AUF1.tv" online, ein Web-Format von Stefan Magnet, früher Mitglied beim neonazistischen Bund Freier Jugend und Inhaber einer Werbeagentur, die immer wieder für die FPÖ arbeitete.

Die einschlägige Auffälligkeit Oberösterreichs steht in einem verstörenden Widerspruch zur Laxheit von Polizei und Verfassungsschutz. Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ), das sich der Aufgabe verschrieb, das Vermächtnis der Überlebenden des KZ-Mauthausen zu wahren, klingt noch die beständige Klage von Ex-Landeshauptmann Josef Pühringer im Ohr, dass "dieses Schlechtmachen von Oberösterreich dem Tourismus schadet". Das Wegschauen habe die Probleme nur verschlimmert. Die Untätigkeit der Behörden im Zusammenhang mit dem sogenannten "Objekt 21" bleibt in unauslöschlicher Erinnerung. 21 bezog sich auf die Hausnummer eines Bauernhofs in Desselbrunn im Bezirk Vöcklabruck, den Neonazis gemietet hatten. Erst nach Medienberichten und intensiven Recherchen des "Netzwerks gegen Rassismus und Rechtsextremismus" stürmte die Polizei das Gehöft und fand Sturmgewehre, Maschinenpistolen, Schlagringe, Wurfmesser und zehn Kilo Sprengstoff. Spätestens damals hätte man erkennen müssen, dass Rechtsextreme keine "verrückte" Szene sind, der es bloß um Hitler-Büsten und Hakenkreuze geht, "sondern ein gewaltbereites, Waffen hortendes Milieu", so Mernyi.

Das ist nicht passiert. In den Jahren zwischen 2013 und 2020 zählte das Innenministerium 22 Schändungen der Gedenkstätte Mauthausen. "In der Zwischenzeit sind einige dazugekommen, doch bis heute wurde keine einzige aufgeklärt", sagt Netzwerk-Sprecher Eiter. Wie kann das sein? profil hätte darüber gerne mit dem oberösterreichischen Verfassungsschutz geredet, wurde an die "Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst" (DNS) verwiesen, schickte eine ausführliche Anfrage per Mail, erhielt aber bis Redaktionsschluss keine Antwort.

Bleibt zu hoffen, dass nach dem jüngsten Brandanschlag in Linz der oder die Täter nicht wieder davonkommen. Ob es Rechtsextreme oder aufgebrachte Anrainer waren, ist offen. "Sehr wahrscheinlich" ist für Netzwerk-Sprecher Eiter gegenwärtig nur, dass sie aus einem "flüchtlingsfeindlichen Antrieb" heraus handelten.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges