SPÖ

Rote Markierungen: Was am Parteitag in Graz beschlossen werden soll

320 Seiten an inhaltlichen Forderungen stehen heute am SPÖ-Parteitag zur Wahl. Wo Parteichef Andreas Babler neue Wege gehen will – und worüber sich die SPÖ noch uneins ist.

Drucken

Schriftgröße

Andreas Babler stellt sich heute in Graz dem Parteitag. Nach der Kampfabstimmung gegen Hans Peter Doskozil im Juni will er sich nun von den Delegierten als SPÖ-Parteivorsitzender bestätigen lassen. Abgestimmt wird über Babler selbst und über 320 Seiten an inhaltlichen Forderungen. Ein Überblick, wo die SPÖ neue Wege geht – und wo sich die Genossinnen und Genossen noch uneins sind. 

Wohin Bablers roter Weg führt

Arbeitslosigkeit bekämpfen, mehr Urlaub, mehr Feiertage

Hier schlägt die Handschrift des neuen Parteichefs durch: Eine Jobgarantie für alle – etwa mit einem Revival der „Aktion 20.000“ als „Aktion 40.000“ – soll Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen, das Arbeitslosengeld soll erhöht werden. Nicht durchsetzen konnte sich Babler mit seiner Forderung nach einer 4-Tage-Woche. Statt einer gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung will die SPÖ nun Unternehmen bei einer Pilotphase unterstützen. Mit Goodies wie der sechsten Urlaubswoche für alle und der Idee, dass Feiertage, die auf ein Wochenende fallen, am Montag nachgeholt werden sollen, erfüllt Babler die Wünsche der Gewerkschaft. Keine der Forderungen weicht deutlich von der bisherigen Parteilinie ab, in Summe fordert Babler aber deutlich umfassendere Eingriffe in die Arbeitswelt als seine Vorgänger. Ein Beispiel: Eine sechste Urlaubswoche forderte die SPÖ schon 2015 – damals allerdings erst nach 25 Jahren Arbeitszeit.

„Leistbares Leben“ in der Verfassung

Im Kampf gegen die Teuerung setzt Babler auf dieselben Rezepte wie seine Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner. Die von ihr geforderte Anti-Teuerungskommission wurde von der Regierung nie eingesetzt, die Mieten nicht eingefroren und auf Lebensmittel des täglichen Bedarfs wird weiterhin Mehrwertsteuer verrechnet. Babler formuliert allerdings populistischer: Die SPÖ will „leistbares Leben“ als Staatsziel in der Verfassung verankern. Steigt die Inflation über zwei Prozent, soll die Regierung verpflichtet sein, Maßnahmen zu setzen. Für Details lässt sich die Partei bis Mitte nächsten Jahres Zeit.

Kinderrechte

Unter Babler sollen Kinderrechte zur Maxime roter Politik werden. Der Traiskirchner Bürgermeister hatte  schon im Rennen um den Parteivorsitz warmes, kostenloses Mittagessen für alle Kindergarten- und Schulkinder zum Thema gemacht. Im Gegensatz zu anderen Forderungen hat die SPÖ hier auch ein Modell zur Gegenfinanzierung: Die Rücknahme der Senkung der Kapitalertragssteuer (KESt) soll 900 Millionen Euro für kostenlose, warme Mahlzeiten an Schulen und Kindergärten bringen. Außerdem fordert die SPÖ eine Kindergrundsicherung. Die SPÖ-nahe Volkshilfe hat dafür ein fertiges Modell ausgearbeitet. Ob die Partei dieses übernehmen wird, ist offen.

Millionäre besteuern

Hauptfinanziers der roten Pläne: Unternehmen und Reiche. Eine Reichen- und Erbschaftssteuer fordert die SPÖ schon länger, nun ist das rote Modell fertig – und die geplanten Einnahmen von 100 Millionen Euro pro Woche werden verteilt. Neben Entlastungen im Arbeitsbereich soll das Geld auch in das Gesundheitssystem fließen. Das Ziel: Mehr Medizinstudienplätzen und Eingriffe in das Wahlärzte-System, inklusive Recht auf einen Facharzttermin binnen zwei Wochen.

Worüber die Genossen uneinig sind

Asyl und Migration 

Das „Kaiser-Doskozil-Asylpapier“, wie ein vierseitiges Positionspapier, das Peter Kaiser und Hans-Peter Doskozil 2018 ausarbeiteten, genannt wird, hält zwar die grundsätzliche Position der SPÖ zu Asylfragen fest. „Integration vor Zuzug und ein klares Bekenntnis zu den Menschenrechten,“ heißt es darin. Aber: Das Papier ist ein Kompromiss aus der rechten Doskozil- und der linken Kaiser-Linie – und Asylpolitik nach wie vor Streitpunkt. Im Leitantrag „Ein Europa der Menschen, nicht der Konzerne“ wird in Graz unter dem Unterpunkt „Humanismus statt Festung Europa“ festgehalten, dass das Asylpapier weiterhin die Grundlage für rote Migrationspolitik darstellt. Allerdings bergen die konkreten Forderungen durchaus Diskussionspotenzial: Als Ziele festgehalten sind unter anderem die Schaffung legaler Fluchtrouten und die Bildung europäischer Seenotrettungsmissionen. Damit dürften wohl nicht alle Genossinnen und Genossen d’accord sein.

Die Statuten 

Die Reform der SPÖ-Statuten war eines von Andreas Bablers Wahlversprechen an die Mitglieder. Das Reformpaket, das heute beschlossen werden soll, umfasst unter anderem die Regelung, dass bei mehr als zwei Bewerberinnen und Bewerbern nicht mehr die Delegierten am Parteitag, sondern alle Parteimitglieder über den Vorsitz entscheiden. Vor allem die Wiener Sozialdemokraten hatten Zweifel an der Reform angemeldet. Man habe sich zwar in Wien gegen mehr Basisdemokratie bei der Vorsitzwahl ausgesprochen, wolle aber konstruktiv sein, sagte Landesparteisekretärin Barbara Novak noch im Sommer. Der Wiener SPÖ-Chef hatte sich zwar zuletzt aus den SPÖ-Bundesgremien zurückgezogen, wird aber anders als Hans-Peter Doskozil beim Parteitag anwesend sein. 

Klassen-Kampf gegen die Klimakrise

„Die Sozialdemokratie ist die Zukunftsversicherung in Zeiten der Klimakrise“, wird in einem Leitantrag erklärt. In der Praxis sollen 20 Milliarden Euro für einen Transformations- und Energiewendefonds lockergemacht werden. Außerdem will die SPÖ den öffentlichen Verkehr und die Radinfrastruktur ausbauen, die Bodenversiegelung einschränken und versiegelte Flächen verstärkt für die Produktion erneuerbarer Energien nutzen. Wirklich einschränkende Maßnahmen sollen nur die Reichsten spüren: Statt Tempo 100 und einer ausgebauten CO2-Steuer fordert Babler ein Verbot von Privatjets und höhere Abgaben auf den Import von umweltschädlichen Luxusgütern. Andererseits will die SPÖ das Klimaschutzgesetz umsetzen und die Klimaziele erreichen. 

Wo sich die Genossen überraschend einig sind 

Rote Russland-Linie  

Die SPÖ Wien-Alsergrund und die SPÖ Burgenland liegen im roten Spektrum weit voneinander entfernt. Die Burgenländer standen geschlossen hinter Doskozil, während die Bezirksgruppe aus dem 9. Gemeindebezirk, der die Sektion 8 angehört, zu den treuesten Babler-Unterstützern zählte. Jetzt haben sich die beiden Gegenpole aber zu einem gemeinsamen Antrag zusammengefunden, in dem sie „ein klares Bekenntnis der SPÖ zum Selbstbestimmungs- und Verteidigungsrecht der Ukraine“ und „ein klares Bekenntnis zu den Sanktionen gegen das russische Regime“ fordern. Diese Geschlossenheit ist durchaus ungewöhnlich. Ende März blieben einer Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Parlament noch ein Gutteil der SPÖ-Abgeordneten fern – darunter auch die damalige Parteivorsitzende und außenpolitische Sprecherin, Pamela Rendi-Wagner. 

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Hat ein Faible für visuelle Kommunikation, schaut aufs große Ganze und kritzelt gerne. Zuvor war er bei der "Kleinen Zeitung".