Sparschiene: Stellen die ÖBB bald ganze Zugstrecken ein?
Von Iris Bonavida und Max Miller
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Klaus Falkinger gibt ganz offen zu: Kaum jemand fährt mit der Mühlkreisbahn, ja nicht einmal er selbst. Früher ist der ÖVP-Bürgermeister von Kleinzell im Mühlkreis jeden Tag 44 Minuten mit dem Zug von seiner Gemeinde bis nach Linz Urfahr gependelt, manchmal nahm er auch den Bus. Seit der Pandemie nutzt er aber hauptsächlich das Auto. Falkinger braucht den Wagen ohnehin für seinen Job in der Landeshauptstadt, die 30 Minuten Fahrtzeit nutzt er für Telefonate. Wenn die ÖBB nun also darauf aufmerksam machen, dass die Mühlkreisbahn kaum genutzt wird, kann Falkinger ihnen nur zustimmen. Für den Bürgermeister bedeuten die geringen Passagierzahlen aber nicht, dass die Mühlkreisbahn eingestellt werden soll. Im Gegenteil, findet er, man müsste die Strecke ausbauen, elektrifizieren und die Fahrzeit verringern. Sobald die Mühlkreisbahn attraktiver ist als das Auto, würden sie mehr Menschen nutzen – auch er. Davon ist Falkinger überzeugt.
Klaus Falkinger parkt sein Auto am Bahnhof Linz Urfahr und spaziert zu den Bahnsteigen. Hier beginnt die Fahrt der Mühlkreisbahn, knapp 60 Kilometer tuckert die Diesellok eingleisig durchs Mühlviertel bis zur Endstation Aigen-Schlägl. Zumindest theoretisch, denn einsteigen kann Klaus Falkinger an diesem Mittwochnachmittag nicht: Schienenersatzverkehr. Auf der gesamten Strecke finden Instandhaltungsarbeiten statt. Das hat eine gewisse Ironie, findet Falkinger. Denn die Mühlkreisbahn ist eines von 26 Projekten, das die ÖBB nun aufschieben oder evaluieren wollen. Der zuständige Minister für Infrastruktur, Peter Hanke von der SPÖ, richtete bei den jüngsten Sparmaßnahmen der Regierung ebenfalls aus: Planungen für die Schiene müssten „optimiert“ werden.
Evaluieren, optimieren, das ist im Politikjargon oft ein Euphemismus für: einsparen. Tatsächlich bekommen die ÖBB von der Regierung weniger Geld als ursprünglich vorgesehen. Bis 2029 stehen den ÖBB insgesamt 1,7 Milliarden Euro weniger für Investitionen zur Verfügung, als noch unter Türkis-Grün geplant war. Es bleibt also nichts anderes übrig, als zu evaluieren, welche Projekte bleiben dürfen – und welche gestrichen werden.
Aber in einer Zeit, in der das Land ungeduldig auf den nächsten Zug wartet: Wie entscheidet man, wer auf der Strecke bleibt?
375 Menschen pro Tag
Die ÖBB schauen unter anderem auf Passagierzahlen, und hier fallen in Oberösterreich gleich drei Regionalbahnen negativ auf: die Almtalbahn von Wels bis nach Grünau, die Hausruckbahn von Attnang-Puchheim bis Schärding und eben die Mühlkreisbahn. Erst ab 2000 bis 2500 Fahrgästen pro Tag sei eine Regionalbahn volkswirtschaftlich vertretbar, argumentieren die ÖBB.
Von diesen Zahlen ist die Mühlkreisbahn weit entfernt.
Bahnhof Rottenegg
Bürgermeister Klaus Falkinger steht am Bahnhof Rottenegg, bis hierhin ist der Bahnverkehr unumstritten.
Mittlerweile ist Klaus Falkinger in Rottenegg angekommen, rund 15 Kilometer von Linz entfernt. Bis hierher ist die Strecke unstrittig, die Fahrt nach Linz Urfahr ist schnell und unkompliziert. Evaluiert wird nun die Strecke, die weiter Richtung Norden ins Mühlviertel führt. Nur 375 Menschen sind dort täglich unterwegs. Die ÖBB zitieren Prognosen für die nächsten 20 Jahre, aber selbst die gehen von einem Anstieg auf höchstens 600 Fahrgäste pro Tag aus.
Um für die Mühlkreisbahn zu kämpfen, haben sich alle 17 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister entlang der Route zusammengetan. Falkinger, ÖVP, ist ihr Sprecher. Die Parteien in Oberösterreich sind erstaunlicherweise alle einer Meinung, selbst im Landtag: Alle Klubs, auch die der drei Parteien, die im Bund regieren, sprechen sich dezidiert für den Erhalt der Mühlkreisbahn aus. Sogar der freiheitliche Landesrat Günther Steinkellner setzt sich lautstark für den nachhaltigen Schienenverkehr ein.
Busse statt Züge?
Was heißt es, wenn die ÖBB eine Strecke „evaluieren“? Bis 2030 wird jedenfalls kein Geld in die Hand genommen, um die betroffenen Regionalbahnen zu attraktivieren. Als Alternative schlagen die ÖBB vor, Züge durch Busse zu ersetzen. Sie seien schneller für die Fahrgäste und günstiger für die Republik. Schon jetzt gebe es ein breites Angebot, das man eben ausbauen müsse.
Tatsächlich kommen Falkinger einige Busse entgegen, während er den Saurüssel entlang fährt, so nennt man hier die Serpentinen nördlich von Rottenegg. „Aber auch die Busse stehen im Stau“, sagt er. Wenn die Schüler einen wichtigen Test haben, nehmen sie zur Sicherheit den Zug, sagt er. Der sei zwar langsamer, aber dafür pünktlich. Die eingleisige Strecke der Mühlkreisbahn verläuft mal parallel zur Straße, mal verschwindet sie hinter einem Feld oder zieht sich durch ein Waldstück.
Selbst Experten befinden: Werden einmal Gleise aus dem Boden gerissen oder Strecken aufgelassen, ist die teuer errichtete Infrastruktur dauerhaft verloren. Der Raum wird in der Regel anders genutzt. Die nötigen Flächen später zurückzukaufen, ist nahezu unmöglich, warnt Michael Schwendinger von der Mobilitätsorganisation VCÖ: „Bevor Schieneninfrastruktur aufgelassen wird, sollten alle Möglichkeiten zur Revitalisierung geprüft werden.“
Wie macht man Bahnen beliebter?
Die ÖBB wirken wenig optimistisch: „Die Haltestellen sind weit weg von den Menschen, Straßen wurden in den letzten Jahrzehnten massiv ausgebaut, und das Auto ist das Primat des ländlichen Verkehrs“, schreibt die Pressestelle der Bundesbahnen an profil. „Wenn die Haltestellen weit vom Ortszentrum weg sind, ist es weniger attraktiv“, sagt auch Schwendinger vom VCÖ, daher brauche es Angebote wie Park and Ride und einen verstärkten Ausbau von Radwegen. Doch auch für Letzteres gibt es weniger Geld: 2024 flossen rund 95 Millionen Euro an Förderungen aus dem „klimaaktiv mobil“-Topf in den Radverkehr. 2026 werden es nur noch 69,5 Millionen Euro sein.
Gäbe es einen Weg, Regionalbahnen wie die Mühlkreisbahn beliebter zu machen? Ja, sagt Schwendinger, aber das liege nicht in der alleinigen Verantwortung der ÖBB. „Die Bahn braucht ein modernes Image, gute Anbindung, gutes Service – kurz gesagt: Das Angebot muss stimmen.“ Internationale Beispiele würden zeigen, dass man Regionalbahnen vor allem revitalisieren könne, „wenn alle Stakeholder an einem Strang ziehen. Wenn die ÖBB das allein machen sollen, wird es nicht funktionieren.“
Ausflügler, größere Veranstaltungen, Güterverkehr, Kooperationen mit regionalen Arbeitgebern – all das sei für Regionalbahnen wichtig. Überall dort, wo es potenzielle Fahrgäste gibt, brauche die Bahn Unterstützung. Zum Beispiel von Tourismusbetrieben oder großen Unternehmen. Sie könnten vergünstigte Jobtickets anbieten, damit ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lieber auf der Schiene in die Arbeit fahren. Umgekehrt könnte die Bahn zum Beispiel näher bei großen Arbeitgebern, bei Ausflugszielen oder bei Bildungseinrichtungen Halt machen.
Umkehrschwung nicht unmöglich
Unmöglich sei ein Umkehrschwung nicht, sagt Schwendinger. Als Beispiel nennt er Südtirol und seine Vinschgerbahn. Nachdem Italien die Strecke zwischen Meran und Mals in den 1990er-Jahren aufgegeben hatte, übernahm die Provinz Bozen selbst die Organisation. Seit 2005 fährt die Bahn mehr oder weniger voll ausgelastet. Außer derzeit, wo Umbauarbeiten einen Schienenersatzverkehr nötig machen.
Bekenntnis zur nachhaltigen Absicherung von Regional-, Neben- und Privatbahnen und insbesondere zu deren infrastrukturellen Ausbau und der qualitativen Verbesserung dieser Bahnen als wichtiger Teil, um die
notwendige Mobilitätswende auch im Hinblick auf die Klimaziele zu schaffen.
Aus dem Regierungsprogramm
von ÖVP, SPÖ und Neos
Auch Bürgermeister Falkinger kennt die Vinschgerbahn, sie ist für die Region ein Vorbild. Ideen für die Attraktivierung gibt es auch im Mühlviertel. Manche sind leicht umzusetzen, wie bessere Ausschilderung für Wanderwege und Mountainbike-Routen direkt am Bahnhof. Andere wären komplizierter und der Erfolg schwer vorhersehbar: Co-Working-Spaces in leer stehenden Bahnhofsgebäuden oder die Einmietung von Geschäften.
Hanke verspricht „Mobilitätsgarantie“
Auch die Dreierkoalition im Bund bekennt sich offiziell zum Schienenverkehr, genauso wie zu einer „nachhaltigen Absicherung von Regional-, Neben- und Privatbahnen“, wie es im Regierungsprogramm heißt. Sie seien ein „wichtiger Teil, um die notwendige Mobilitätswende auch im Hinblick auf die Klimaziele zu schaffen“.

© APA - Austria Presse Agentur
PK VERKEHRSMINISTERIUM, ÖBB "DER NEUE ÖBB-RAHMENPLAN 2025-2030": HANKE
Peter Hanke, SPÖ
Auch der Infrastrukturminister muss sparen.
Ist es nicht ein Widerspruch, wenn nun die Mühlkreisbahn und andere evaluiert werden? Nein, findet Infrastrukturminister Peter Hanke auf Nachfrage von profil. „Im Zuge des neuen Rahmenplans haben die ÖBB angekündigt, mit den Bundesländern Oberösterreich und Steiermark Gespräche zum künftigen Betrieb von wenig frequentierten Regionalbahnen zu führen. Hier geht es in erster Linie um Systemoptimierungen.“ Unabhängig vom Ausgang der Gespräche „wird es eine Mobilitätsgarantie für die Fahrgäste beziehungsweise die Verbindungen geben.“ Zur Not eben mit Bussen, nicht mit dem Zug.
Tatsächlich stecken ÖBB und Bund in einem Dilemma. 19,7 Milliarden Euro investiert die Regierung von 2025 bis 2030 in den Schienenverkehr. Große Projekte wie der Brenner-Basis-Tunnel, der Semmering-Basis-Tunnel und die Elektrifizierung mehrerer Strecken laufen wie geplant weiter. In diesem und dem kommenden Jahr werden 120 neue Züge eingesetzt. Der Bund beteiligt sich auch an der Stadtbahn in Linz, die Urfahr mit dem Hauptbahnhof verbinden soll. Dazu kommen österreichweit noch 4,8 Milliarden Euro für Instandhaltungen. Das sind große Summen, aber nicht so große Summen wie von der Vorgängerregierung eingeplant. Also muss irgendwo eingespart werden.
Angekommen in Kleinzell
Mittlerweile hat Falkinger am Bahnhof Kleinzell geparkt, seine Heimatgemeinde. Gerade wird die Lichtsignalanlage erneuert. Die Haltestelle ist spartanisch: Ein Bahnübergang, ein kleines Wartehäuschen – das war’s. Dazu gibt es noch eine Park-and-Ride-Anlage, die man ausbauen könnte. Wer mit dem Fahrrad kommt, kann eine Box mieten. Die Infrastruktur für zusätzliche Fahrgäste könnte man also bieten. Falkinger ist Realist: Würde man die Bevölkerung in der Region befragen, es käme wohl keine Mehrheit für den Erhalt der Mühlkreisbahn zusammen. Zu attraktiv sei der Individualverkehr. Deswegen müsste die Schiene ein Angebot machen, das niemand abschlagen könne.
„Wir reden immer von Klimazielen, wir müssen hier langfristig denken.“ Mehr Busse statt eines besseren Schienenverkehrs können nicht die Lösung sein. Langsam, auch nur in kleinen Schritten, müsste die Mühlkreisbahn endlich elektrifiziert werden und streckenweise auch zweigleisig fahren. „Das wären einige Jahre Bauzeit, aber das müssten wir eben in Kauf nehmen.“ Derweil bleibt immer noch der Schienenersatzverkehr.

Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und mag Grafiken. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.