SPÖ-Parteitag

SPÖ-Parteitag: Babler pfeift Match gegen Kickl an

Die SPÖ zurrt in Graz ihre inhaltliche Linie unter Andreas Babler fest. Und bestätigt den Parteichef mit 88,76 Prozent. Oft wurde auf dem Parteitag Einigkeit beschworen – doch Bruchlinien bleiben.

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Patricia Velencsics sitzt beim SPÖ-Bundesparteitag ganz hinten links und filmt ihren großen Auftritt. Erst Ende März ist die Sozialarbeiterin in die SPÖ eingetreten, nun ist sie in einem Video von der großen Leinwand auf der Bühne: Als sie gesehen habe, dass die ÖVP in Niederösterreich mit der FPÖ regiert, habe es ihr gereicht, erzählt die 59-Jährige den Delegierten im Video. 

Es wird vor dem Einzug von Andreas Babler abgespielt und soll die Vorfreude auf die Rede von Parteichef Andreas Babler steigern. Bei Velencsics hat es Erfolg. Erst als ihr Parteichef die Bühne betritt, senkt sie langsam ihr Handy, hört auf zu Filmen und applaudiert.

Patricia Velencsics (links)

trat wegen Andreas Babler der SPÖ bei

Am anderen Ende des Saals in der Grazer Messe, direkt vor der Bühne, sitzt Jasmin Puchwein. Die burgenländische Landesgeschäftsführerin hat heute keinen großen Auftritt. Ihr Landesparteichef Hans Peter Doskozil, der vor einem halben Jahr den Kampf um den Parteivorsitz gegen Babler verlor, bleibt dem Bundesparteitag fern und zelebriert lieber seinen Landesfeiertag. Aus ihrer Enttäuschung machen Puchwein und die anderen burgenländischen Genossinnen und Genossen kein Geheimnis: Bricht bei Bablers Rede in den Reihen der anderen Mitgliedern Jubel aus, applaudieren sie verhalten. Gibt es Standing Ovations, stehen sie als letzte auf und nehmen als erste wieder Platz.

SPÖ als Kraft gegen die „Abrissbirnen-Politik“

Begeisterte Neumitglieder – skeptische Burgenländer. Feurige Linke – pragmatische Mitte-Fans. Derartige Risse zwischen den einzelnen Parteiflügeln gehen mehrere durch die SPÖ und haben zuletzt zu quälenden Diskussionen geführt. Andreas Babler will die Querelen mit dem Parteitag beenden: „Wenn wir gemeinsam geschlossen auftreten, dann gewinnen wir“, donnert er zum Schluss seiner Rede in den Saal. Er wolle wieder aufbauen, was ÖVP und FPÖ mit der Abrissbirne niedergerissen hatten. Und: „Die SPÖ ist die einzige Kraft, die Herbert Kickl verhindern kann.“ Spätestens damit hatte sich Brandredner Babler in die Herzen der meisten der SPÖ geredet, sie danken es ihm mit Standing Ovations.

Schon davor waren sie jubelnd aufgesprungen, als Andreas Babler die Frage nach der Finanzierung roter Maßnahmen wie das kostenlose Mittagessen für Kindergartenkinder als „unmoralisch“ ankreidete – vor allem, weil die ÖVP Milliarden für Konzernsteuersenkungen oder die Cofag ausgeben würde. Das war der Höhepunkt in Bablers Rede: Weder bei der Forderung nach mehr Kinderrechten, noch beim vehementen Nein zur Erhöhung des Pensionsantrittsalters war der Beifall derart frenetisch.  

Wir werden dafür sorgen, dass die Periode der Abrissbirnenpolitik endgültig vorbei ist. 

Andreas Babler in seiner Parteitagsrede

Nach einer guten Stunde Redezeit ruft Babler den „Anpfiff“ für das Match gegen Herbert Kickl aus, läuft unter Jubel von der Bühne, umarmt seine Frau und die Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder, läuft noch einmal auf die Bühne und klopft sich mit der rechten Hand aufs Herz: Die Geste, die für die neue Linie der SPÖ stehen soll. An den Ständen im hinteren Teil der Messehalle werden sogar Buttons mit einem Hand-aufs-Herz-Logo verteilt. Das Herz steht, sagt Babler, dem Ellenbogen gegenüber, dem Körperteil, das FPÖ und ÖVP symbolisiert.

Hand auf's Herz

Die Geste, die für die neue Linie der SPÖ steht

„Der Andi Babler hat fast seine Redezeit eingehalten“, sagt Josef Muchitsch im Anschluss, als die „Andi, Andi“-Sprechchöre verstummt sind, und: „Wir werden diese Zeit wieder aufholen“. Am Programm steht freilich viel: Über 150 Anträge sollen dieses Wochenende abgestimmt werden. Mehr dazu lesen Sie hier.

Babler mit 88,76 Prozent bestätigt

„Von einem solchen Ergebnis kann ich nur träumen“, sagte Andreas Babler während seiner Rede in Richtung der Frauenvorsitzenden Eva-Maria Holzleitner. Holzleitner wurde am gestrigen Freitag mit 97,4 Prozent als Frauenvorsitzende bestätigt, Babler kommt heute auf 88,76 Prozent der Delegiertenstimmen. 

Die Wahl findet nach dem Debakel in Linz diesmal unter besonderer Kontrolle statt. Der neue Vorsitzende der Wahlkommission, Mirza Buljabasic, hat daher den Wahlablauf penibel erklärt. Diesmal soll es das Ergebnis stimmen. Und ist beachtlich

Zum Vergleich: Pamela Rendi-Wagner wurde auf ihrem letzten Parteitag 2021 mit schlechten 75 Prozent abgestraft. Und Bundeskanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann kam Ende 2014 auf dürftige 84 Prozent. Dessen Nachfolger Christian Kern als Kanzler und Parteichef kam 2016 beim Parteitag auf 97 Prozent.

Neu-Mitglied Velencsics hat die SPÖ bisher nur einmal gewählt. Im Jahr 1995, als Caspar Einem Innenminister war, sagt sie: „Ich habe mein ganzes Leben lang die Grünen gewählt. Eher hätte ich mir, angelegt an Sven Hergovich, die Hand abgehackt, als der SPÖ beizutreten.“ Doch die Wienerin wolle nicht, „dass dieses Land in die Hände der Rechten fällt. Ich wusste, dass ich irgendetwas tun muss. Und als ich gehört habe, dass Andreas Babler für den SPÖ Vorsitz kandidiert, bin ich in der Sekunde beigetreten.“ Den Traiskirchner Bürgermeister kennt die Sozialarbeiterin aus der Flüchtlingshilfe, sie schätzt den Humanismus des SPÖ-Chefs, „dass er allen Menschen mit Respekt begegnet.“

„Ich glaube nicht, dass ich heute da gewesen wäre, wenn Doskozil gewonnen hätte. Aber mir war nach der Rede am 3. Juni klar: Bablers Zeit wird kommen.“ 

Patricia Velencsics ist zum zweiten Mal bei einem SPÖ-Parteitag

Velencsics meldete sich bei der Sektion Donaustadt und wurde in der Partei aktiv. Als im Juni der Parteitag anstand, ergatterte sie eine der begehrten Gast-Zutrittskarten. Bei Bablers vermeintlicher Niederlage „habe ich geweint wie ein Schlosshund“, gesteht sie heute. Und: „Ich glaube nicht, dass ich heute da gewesen wäre, wenn Doskozil gewonnen hätte. Aber mir war nach der Rede am 3. Juni klar: Bablers Zeit wird kommen. Die Energie, die er da freigesetzt hat, lässt sich nicht mehr einfangen. Man fühlt, dass man am richtigen Ort ist und der richtigen Person zujubelt. Ich habe diese Gewissheit, dass Babler der Richtige ist.“ 

Babler wurde doch Parteichef – und Velencsics in der Themeninitiative der Partei tätig. Dadurch hat sie als neues Mitglied mehr Kontakt mit der Bundesgeschäftsführung als viele alteingesessene Genossinnen und Genossen: Einmal im Monat hat sie gemeinsam mit anderen neuen Mitgliedern einen Termin in der Löwelstraße. „Als neues Mitglied durchschaue ich noch nicht alle Prozesse am Parteitag im Detail“, gibt Velencsics zu. Ganz wichtig ist ihr, wie vielen neuen Mitgliedern, dass der Parteivorsitzende direkt gewählt werden kann. Bei dem Punkt sind die alteingesessenen Genossen aus Wien skeptisch: Sie fürchten, dass diese Direktwahl zu viel Geld und Energie bindet und nur zur Selbstbeschädigung führt. Der Antrag für die Direktwahl light bekommt die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit.

Dennoch: Auch das ist eine Bruchlinie, erfahrene Genossen und Genossinnen gegen neue Mitglieder wie Velencsics. Die Menge an Anträgen heute sei für sie „überwältigend, aber auch beeindruckend“, sagt die 59-Jährige: Man könne sich zwar über einzelne Anträge aus Bezirksorganisationen lustig machen, andererseits hätten so auch einfache Parteimitglieder die Möglichkeit, die Linie der Partei mitzugestalten. Die groben Grenzen gibt aber die Bundespartei vor: Der Großteil ihrer zwölf Leitanträge wird einstimmig angenommen.

Wer mit der Ausrichtung der Partei unglücklich ist, kann auch das sichtbar machen: Gleich beim ersten Leitantrag zur Neugestaltung der Arbeitswelt enthalten sich die burgenländischen Delegierten. Denn die Bundespartei fordert darin zwar eine sechste Urlaubswoche, ein höheres Arbeitslosengeld und die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, aber keinen gesetzlichen Mindestlohn. „Wir sind der Überzeugung, dass gerade jetzt, wo es so viele Menschen so schwer haben, eine Arbeitsstunde auf jeden Fall 12 Euro wert sein muss“, erklärt Landesgeschäftsführerin Puchwein die fehlende Zustimmung aus dem Burgenland. Unter einem SPÖ-Obmann Doskozil hätte der Antrag eben anders ausgesehen.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Hat ein Faible für visuelle Kommunikation, schaut aufs große Ganze und kritzelt gerne. Zuvor war er bei der "Kleinen Zeitung".