Staatssekretär Jörg Leichtfried: Genosse für alles
SPÖ-Parteichefs kamen und gingen, einer aber blieb in allen denkbaren Funktionen: Jörg Leichtfried. Eines seiner Geheimnisse: Niemals in die allererste Reihe drängen.
Jörg Leichtfried ist kein Typ, der gerne übertreibt, aber die Vorhänge in seinem neuen Besprechungsraum haben es ihm angetan. Abhörsicher sind sie, erklärt er, während er durch den Saal zu den Fenstern führt: doppelte Verglasung, Schutzfolie darüber, und dann eben diese Vorhänge, die aus besonders dickem Stoff bestehen – so wird sichergestellt, dass der Raum von keinem Außenfeind belauscht wird.
Weil das Innenministerium gerade umgebaut wird, musste für den für den Nachrichtendienst DSN verantwortlichen Staatssekretär ein Ausweichquartier gesucht werden. Gar nicht so leicht, ein Gebäude zu finden, in das Leichtfrieds Kabinett mit heikler Agenda ohne Sicherheitsbedenken einziehen kann. Für den Sozialdemokraten selbst ist ein neuer Job in einem neuen Haus hingegen schon Routine. SPÖ-Parteichefs kamen und gingen, Leichtfried aber blieb. In Brüssel, im Bund, in seinem Bundesland – überall saß er in wichtiger Funktion, ob in einer Regierung oder in Opposition. Als die Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos ihr Team präsentierte, war Leichtfried wieder ein Teil davon. Nun sitzt er mit seinen neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einem Gebäude in der Innenstadt.
Wie schafft man es, immer mit dabei zu sein, wenn sich rundherum alles verändert?
Schon Jörg Leichtfrieds erste politische Schritte zeigten, wie er tickt; diesen Schluss zieht jemand, der ihm durchaus wohlgesinnt ist. In den frühen 1980er-Jahren gründete Leichtfried mit Altersgenossen einen Ableger der Sozialistischen Jugend in seiner steirischen Heimat, Bruck an der Mur. Die SJ sieht sich als Stachel im Fleisch der Sozialdemokratie, die offizielle SPÖ-Jugend ist die Junge Generation, eine etwas angepasstere Variante: Entweder man gehört zu einer Fraktion oder zur anderen. Der junge Jörg Leichtfried machte sich offenbar nichts aus solchen Kategorien, und so wechselte er nach dem Jus-Studium mit seinen Freunden von der SJ zu JG. 2000 wurde er sogar ihr Bundesvorsitzender.
Diese Flexibilität behielt er sich bei, nur die allererste Reihe strebte er nicht mehr an, genau deswegen ist Jörg Leichtfried, 58, bis heute ein Faktor in der Sozialdemokratie geblieben.
Er will die erste Reihe nicht, er bleibt halb im Schatten.
Ein Bekannter
über Jörg Leichtfried
Falls nicht aufgefallen ist, dass Leichtfried seit Jahren eine Rolle in der SPÖ spielt, könnte es an seiner Art liegen: Das Überverkaufen seiner politischen Botschaften liegt ihm nicht, das Bad in der Menge vermeidet er lieber, selbst an Fotoshootings wie jenes mit profil in seinem Besprechungsraum hat er sich bis heute nicht gewöhnt. Fragt man ihn danach, wie er die kritischste Phase der jüngeren Innenpolitik erlebt hat, als die Regierungsverhandlungen sechs Monate dauerten und die SPÖ lautstark vor einem Kanzler Herbert Kickl warnte, antwortet er in typischer Leichtfried-Manier: „Wie ich die Zeit erlebt habe? Unaufgeregt eigentlich.“
Das Rampenlicht, die Aufregung, Leichtfried ist das fremd. „Er will die erste Reihe nicht, er bleibt halb im Schatten“, sagt ein Bekannter. „Das macht ihn ungefährlicher für jene, die das tun. Auch dadurch hält er sich stabil auf dieser Ebene.“
Insofern passt seine neue Funktion sehr gut zu ihm: Staatsschützer haben es nicht gerne, wenn man über sie spricht, und zu vielen Nachrichtendienst-Informationen muss Leichtfried ohnehin schweigen: „Man erfährt Dinge, die man sonst zum Glück nie erfahren würde. Mit denen umzugehen, ist schon manchmal schwierig.“ Wie geht er also damit um? „Ich bin generell schwer zu erschüttern, das hilft dann. Aber eine Woche in den Bergen der Steiermark zu verbringen, tut zum Beispiel gut.“ Wenn Leichtfried Zeit hat, segelt er auch.
In seinem Besprechungsraum steht, in der Nähe der Vorhänge, eine unscheinbare Box, vor heiklen Sitzungen werden darin Handys versperrt. Sollte sie jemand infiltriert haben und mitlauschen wollen, sorgt ein Rauschen dafür, dass das unmöglich ist. Die Box schirmt aber auch die interne Kommunikation ab, wie Leichtfried erfahren musste. Unlängst wollte er sein Team erreichen, aber niemand ging ans Telefon: Alle Handys befanden sich in der Rauschbox. Dabei weiß Leichtfried nur zu gut, wie wichtig es ist, zur richtigen Zeit einen Anruf anzunehmen.
Telefonjob
Es war 2015, als sein Handy klingelte. Der Anrufer hatte eine wichtige Frage. Michael Schickhofer war dran, steirischer SPÖ-Chef und baldiger Vize-Landeshauptmann. Ob Leichtfried als Landesrat in sein Team kommen wolle? Ganz unvorbereitet traf das Leichtfried nicht: „Solche Angebote kommen ja nicht komplett aus dem Nichts“, erzählt er, „mit etwas politischem Gespür merkt man, wenn es zu Umbrüchen kommen wird. Dann macht man sich Gedanken: Möchte ich das, könnte ich es?“ Leichtfried entschied sich, seine erste langjährige Funktion aufzugeben und von Brüssel nach Graz zu wechseln. Elf Jahre lang war er zu diesem Zeitpunkt schon EU-Abgeordneter gewesen, sechs davon als Leiter der SPÖ-Delegation, und kämpfte unter anderem gegen Lang-Lkw. In der Steiermark war er für Verkehr, Umwelt, Energieeffizienz, Sport und Tierschutz zuständig und verstärkte die Zugfrequenz in der Obersteiermark.
Der Landesratjob war vermutlich jener seiner Karriere, der am wenigsten zu seiner Persönlichkeit passte. Das findet auch ein Wegbegleiter: „Diese Funktion ist stark bei den alltäglichen Problemen angesiedelt, weniger auf der Metaebene. Jemand wie der Jörg braucht aber die strategische Gemütlichkeit, die es auf höheren Ebenen gibt.“ Ein Jahr später kam ohnehin der nächste Anruf, dieses Mal von Christian Kern: Leichtfried sollte in seiner rot-schwarzen Regierung zum Verkehrsminister aufsteigen. Zuvor hatte Leichtfried von Langzeitbundeskanzler Werner Faymann lautstark einen inhaltlichen Sonderparteitag eingefordert, um das Profil der SPÖ zu schärfen. Das passt eigentlich so gar nicht zu dem Politiker-Typ aus dem Besprechungsraum in der Innenstadt. „Eine eher kurze Phase“ war diese öffentliche kritische Auseinandersetzung mit seiner eigenen Partei, sagt Leichtfried heute.
Kanäle zu allen Parteien offen
Die rot-schwarze Regierung zerbrach 2017, Leichtfried wechselte ins Parlament, und schon 2019 kam er in eine neue Funktion: Vize-Klubchef unter der neuen Parteiobfrau Pamela Rendi-Wagner. Einer seiner Kollegen im Nationalrat war Alois Stöger, selbst eine Allzweckwaffe der Sozialdemokratie. „Die Führung des Klubs zu organisieren, ist sicher eine der spannendsten politischen Aufgaben, aber eine, die am wenigsten gedankt wird“, sagt er. Vor allem während Corona seien Maßnahmen kontroversiell diskutiert worden. „Ich war ihm gegenüber kein angenehmer Abgeordneter“, erinnert sich Stöger, „aber er war nie nachtragend oder beleidigt. Man braucht Leute, die Respekt vor dem Amt haben und es rational und verbindlich ausüben.“
Auch als die SPÖ in einem Konflikt rund um die Parteispitze beinahe zerbrach, hielt sich Leichtfried zurück. Niemand wusste so recht, wo er steht. „In Wellenbewegungen ist er immer stabil geblieben“, erzählt der Wegbegleiter. „Einige legen es ihm als Opportunismus aus, aber ich habe ihn immer als loyalen Menschen erlebt.“
Leichtfried hält sich Kanäle zu allen Parteien offen, und tatsächlich hört man oft: Menschlich sei er ein richtig netter, angenehmer Mensch. Seine inhaltliche Arbeit wird aber da und dort anders eingeschätzt: Dann wird seine Flexibilität als Rückgratlosigkeit, seine Gemütlichkeit als Laissez-faire beschrieben, und das ist freundlich formuliert. Politische Deals könnten schon einmal nach einem Handschlag in Vergessenheit geraten. Dass Leichtfried als Staatssekretär die Messenger-Überwachung mitverantwortet, gegen die er als Abgeordneter gekämpft hat, musste er mehrmals argumentieren. „Eine unbegründete Massenüberwachung würde ich heute noch ablehnen“, sagt er zu profil, zu einer „gezielten, kurzfristigen Überwachung von Gefährdern, die planen, Menschen zu ermorden“ stehe er aber.
Was seine Genossen betonen: Leichtfried sei ein absoluter Pragmatiker, aber auf Basis eines sozialdemokratischen Wertefundaments. Politik war auch in seiner Arbeiterfamilie omnipräsent: Der Vater zuerst Stahlarbeiter und dann Drahtzieher, der Opa Betriebsrat im selben Unternehmen, das „Zeit im Bild“-Schauen am Abend eine Selbstverständlichkeit, zu Hause lagen Zeitungen herum.
Ob Leichtfried wieder abheben würde, wenn ein Anruf mit vielleicht einem neuen Jobangebot kommt? Pragmatische Antwort: „Ich würde
sagen: Schauen wir.“ Am Weg aus dem Besprechungszimmer, nachdem Leichtfried fast zwei Stunden über seine Zeit als JG-Chef, EU-Abgeordneter, Landesrat, Minister, Vize-Klubchef und Staatssekretär gesprochen hat, fällt ihm noch eine Funktion ein. „Schulsprecher“, sagt er, „war ich übrigens auch einmal.“
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Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.