Steiermark-Wahl: Alles, was man heute wissen muss
Sollten die Umfragen richtig liegen, könnte die FPÖ in der Steiermark einen der neun Landeshauptleutesessel erobern. Sicher ist das aber selbst mit Platz eins nicht. In der Geschichte der Zweiten Republik war den Freiheitlichen dieses politische Kunststück bisher nur in Kärnten unter Jörg Haider und Gerhard Dörfler geglückt (beide traten zwischenzeitlich allerdings auch für das BZÖ an).
Am Sonntag wählen rund 940.000 Wahlberechtigte die 48 Abgeordneten des Steiermärkischen Landtags neu. Er spiegelt in den kommenden fünf Jahren die politischen Machtverhältnisse im drittgrößten Bundesland Österreichs wider. Derzeit koaliert dort die ÖVP mit der SPÖ, in den bisherigen Umfragen führt aber die FPÖ. Hier finden Sie alle Informationen zur steirischen Landtagswahl:
Wer ist wahlberechtigt?
Alle österreichischen Staatsbürger:innen, die am Stichtag 23.09.2024 einen gemeldeten Hauptwohnsitz in der Steiermark haben, am Wahltag das 16. Lebensjahr erreicht haben und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen worden sind.
Bis wann haben die Wahllokale geöffnet?
Die ersten Wahllokale öffnen ab 7 Uhr. Je nach Wahlkreis schließen sie zwischen 10 und 16 Uhr. In der Landeshauptstadt Graz können Sie Ihre Stimme von 7 Uhr bis 16 Uhr abgeben.
Wo sich Ihr Wahllokal befindet, entnehmen Sie der amtlichen Wahlinformation. Eine gesamte Liste der steirischen Wahllokale und ob diese barrierefrei zugänglich sind, finden Sie hier als Download.
Bis wann kann man die Briefwahlkarte abschicken?
Bis Samstag, 23.11.2024, kurz vor 9 Uhr morgens besteht die Möglichkeit, die Wahlkarte per Post abzugeben, da werden die Briefkästen ein letztes Mal geleert. Danach können Briefwahlkarten nur noch persönlich in einem Wahllokal abgegeben werden.
Wann gibt es ein Ergebnis?
Die erste Hochrechnung gibt es bereits kurz nachdem die letzten Wahllokale geschlossen haben. Die Statistiker um Foresight-Chef Christof Hofinger schätzen im Auftrag des ORF anhand der bereits ausgezählten Gemeinde und Bezirke das wahrscheinliche Endergebnis. Diese Hochrechnung wird bereits sehr viel über den Wahlausgang aussagen, die Werte sollen sich in einer Schwankungsbreite von zwei Prozentpunkten befinden. Ein vorläufiges Endergebnis (inkl. Wahlkartenprognose) wird noch am Wahlabend erwartet. Das Ergebnis aller Stimmen inklusive Briefwahlkarten wird für Montag erwartet.
Wer kandidiert?
Landesweit treten ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne, KPÖ und NEOS an. Im Wahlkreis 1 (Stadt Graz und Graz Umgebung) treten außerdem die Bürgerliste KFG (Korruptionsfreie Bürgerliste – Team Claudia Schönbacher) sowie die impfskeptischen Listen MFG und DNA an.
Wer sind die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten und wofür stehen sie?
Christopher Drexler (ÖVP)
setzte im Wahlkampf auf traditionelle Themen der FPÖ: einen harten Kurs bei Migration und Zuwanderung. So forderte der amtierende Landeshauptmann schärfere Regeln beim Familiennachzug und sprach sich für ein strengeres Staatsbürgerschaftsrecht aus. In einer ZIB2-Sendung im Juni hinterfragte der steirische ÖVP-Chef das Grundrecht auf Familienzusammenführung, indem er auf das Grundrecht auf Bildung (für steirische Kinder) verwies.
Anton Lang (SPÖ)
setzte auf leistbares Wohnen und Kinderbetreuung. Aufhorchen ließ er, dass die SPÖ „in die Mitte rücken” solle, bei Kinder von Migranten fordert er eine „Sprachstandsfeststellung” und in weiterer Folge Deutschkurse. Eine Koalition mit der FPÖ schließt der steirische SPÖ-Chef nicht aus.
Mario Kunasek (FPÖ)
Wie im Bund, setzte die steirische FPÖ auf die Themen Asyl und Migration. Zwar hat der Landeshauptmann keine Kompetenz darüber, Abschiebung durchführen zu lassen, doch betonte Kunasek „eine laute Stimme an die Bundesebene” sein zu wollen. Auf regionaler Ebene profilierte sich der steirische FPÖ-Chef mit Kritik am „Projekt Leitspital Liezen”. Aktuell laufen gegen den Ex-Verteidigungsminister Ermittlungen u.a. wegen Untreue und Falschaussage. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Sandra Krautwaschl (Grüne)
ist im Grünen Landtagsklub für die Agenden Klima, Umwelt und Soziales verantwortlich. Im Wahlkampf stellte sich Krautwaschl gegen die Pläne des Leitspitals Liezen und forderte mehr Investitionen in Ausbildung und Personal für den Gesundheitsbereich.
Claudia Klimt-Weithaler (KPÖ)
Wie die Grazer und Bundes-KPÖ setzt der steirische Landtagsklub auf das Thema leistbares Wohnen. Die kommunistische Landessprecherin fordert eine Deckelung von Mieten und mehr Investitionen in den sozialen und kommunalen Wohnbau. Laut Eigenangabe bezieht sie netto 2500 Euro, 14-mal jährlich als Chefin des Landtagsklub – jeden Cent darüber spende sie.
Nikolaus Swatek (NEOS)
ist mit 33 Jahren, der jüngste Spitzenkandidat aller Parteien. Mit NEOS fordert er den flächendeckenden Ausbau von Kinderbetreuungsplätze. Im Gesundheitssystem, einen Vollzeitbonus für Ärzte und eine Wahlarzt-Kostenerstattung, wenn kein öffentliches Angebot zur Verfügung steht.
Claudia Schönbarcher (KFG)
Nach dem Finanzskandal rund um die Grazer FPÖ spaltete sich eine eigene Liste vom freiheitlichen Klub ab: Korruptionsfreies Graz. Ihre Anliegen: Stärkung der Grazer Wirtschaft, Verkehr und Ausgabendisziplin der Landesregierung.
Andrea Kamper (MFG)
setzt sich für eine „Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen“ ein. Für die MFG ist der Klimawandel nicht vom Mensch gemacht und deswegen setzte sich Kamper dagegen ein, Menschen für Gegenmaßnahmen zu verpflichten. Zudem fordert sie einen Ausbau der A9 Pyhrn Autobahn.
Maria Hubmer-Moggs (DNA)
Ihre Liste erreichte bei den EU-Wahlen 2,7 Prozentpunkte. In der Steiermark will die Grazer Mediziner Landesrätin werden. Neben den Themen Migration und Sicherheit stellt sich Hubmer-Moggs gegen verpflichtenden Öffi-Verkehr und stattdessen für die „Wahlfreiheit” der Bürger.
Welche Themen haben den steirischen Wahlkampf dominiert?
Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik von der Universität Graz beobachtet, dass vor allem regionale Themen den Wahlkampf dominierten:
- Projekt Leitspital Liezen und Gesundheitsversorgung
Das von der ÖVP-SPÖ geplante Krankenhausprojekt aus der Vorlegislaturperiode sorgt seit Jahren für Diskussion im steirischen Landtag. Die gesamte Opposition stellt sich mit Bürgerinitiativen gegen das Bauprojekt in Steinach-Pürgg. Sie fordern einen sofortigen Stopp des Projekts. Die Kritik bestehe darin, dass die bisherigen Spitäler Bad Aussee, Schladming und Rottenmann zu Gesundheitszentren umfunktioniert werden und damit die Spitalsversorgung ausgedünnt werde.
Die jahrelange Diskussion rund um das Leitspital Liezen spiegelt sich im allgemeinen Unmut über die Gesundheitsversorgung - vor allem in den ländlichen Regionen - wider. Immer mehr niedergelassene Ordinationen schließen mangels Nachwuchs oder Wirtschaftlichkeit. Wartezeiten in Spitälern verlängern sich, hinzu kommt eine anhaltende Personalnot.
- Spurerweiterung der A9
Während die bisherige ÖVP-SPÖ Landesregierung auf eine Verbreiterung der Pyhrn Autobahn südlich von Graz pocht, unterzieht Bundesumweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) das Bauprojekt einer Überprüfung ob Alternativen statt des Ausbaus möglich sind.
- Asyl und Migration
Während vorwiegend regionale Themen den steirischen Wahlkampf dominierten, schwappte die Diskussion um Asyl und Migration als einziges bundesweite Thema auf steirische Agenda. Sowohl Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP), als auch Anton Lang (SPÖ) sprachen sich, wie die FPÖ, im Wahlkampf für eine härtere Gangart gegenüber Zuwanderer aus.
- FPÖ-Finanzaffäre
Der frühere Finanzreferent der Grazer Freiheitlichen, Matthias Eder gestand 2021, er habe bis zu 710.000 Euro veruntreut. An einen Einzeltäter glaubt die Staatsanwaltschaft Klagenfurt nicht, wie Tonbandaufnahmen an einem Würstelstand belegen sollen. Sie schätzt, dass rund 1,8 Millionen Euro aus der Grazer Stadtkasse aus dem Umfeld der FPÖ veruntreut wurden.
Gibt es für Parteien eine Prozenthürde, um im steirischen Landtag vertreten zu sein?
Nein. In der Steiermark gibt es – anders als bei Nationalratswahlen – keine Prozenthürde. Um in den Landtag einzuziehen, braucht eine Partei ein Grundmandat. Hierfür muss eine Partei in zumindest einem Wahlkreis eine ausreichende Anzahl an Stimmen erreichen. Wie viele Stimmen das sind, hängt von der Wahlbeteiligung, der Gesamtzahl der gültigen Stimmen im Wahlkreis und der Anzahl der im Wahlkreis zu vergebenden Mandate ab. Bei der Landtagswahl 2019 waren exakt 12.127 Stimmen für ein Grundmandat notwendig.
Das steirische Wahlrecht benachteiligt Kleinparteien, denn wer den Einzug in den Landtag schaffen will, benötigt das erwähnte Grundmandat aus einem der vier Wahlkreise. Das bedeutet: eine Kleinpartei muss zumindest in einem Wahlkreis stark abschneiden, sonst könnte sie selbst mit landesweit fünf Prozent Stimmenanteil am Einzug scheitern. Traditionell ist der Wahlkampf in den ländlichen Wahlkreisen für Kleinparteien schwierig, weswegen sich kleine Listen besonders auf den Wahlkreis 1, Graz und Graz-Umgebung, konzentrieren.
Wer bekommt den Regierungsbildungsauftrag?
Anders als auf Bundesebene ist der Regierungsbildungprozess in der Steiermark rechtlich klar geregelt: „Die wahlwerbende Partei, die bei der Landtagswahl die meisten Stimmen erlangt hat, hat die anderen im Landtag vertretenen wahlwerbenden Parteien zu Verhandlungen über die Bildung der Landesregierung einzuladen“, steht in Artikel 37 der Landesverfassung. Sollte die FPÖ also tatsächlich als Erster durchs Ziel gehen, wäre das Heft des Handelns automatisch bei FPÖ-Chef Mario Kunasek.
Wer stellt den Landeshauptmann?
Wird Mario Kunasek automatisch Landeshauptmann, wenn die FPÖ stimmenstärkste Partei wird? Nein, denn der Landeshauptmann selbst wird nicht von den Wähler:innen gewählt, sondern von den Landtagsabgeordneten. Siehe dazu die nächste Frage.
Welche Koalition ist in der Steiermark realistisch?
Das hängt von den Gesprächen ab, die der Vorsitzende der Partei, die die meisten Stimmen auf sich vereinen kann, dann mit den anderen Parteichefs führt. Die amtierende Landesregierung aus ÖVP und SPÖ mit ihren Landesparteichefs Christopher Drexler und Anton Lang hat mehrfach betont, auch weiterhin zusammenarbeiten zu wollen. Allerdings haben die beiden die Freiheitlichen als künftigen Koalitionspartner auch nicht kategorisch ausgeschlossen.
Kann Mario Kunasek keinen Koalitionspartner finden, liegt der Ball bei den anderen Parteien. Zwar liegt laut Landesverfassung der Auftrag zur Bildung einer Regierung bei der stimmenstärksten Liste, aber dass andere Parteien Gespräche führen, ist nicht verboten, sagt die Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik.
Welche Umfragen gibt es?
Eine Prognose fällt aktuell schwer, es mangelt an Umfragen. Die neueste Umfrage vom 14. November stammt von der Lazarsfeld-Gesellschaft für das Medium oe24. Jedoch können reine Online-Umfragen eine höhere Schwankungsbreite haben, also ungenauer sein. Als vertrauenswürdiger gilt eine Online- und Telefon-Umfrage. Eine solche hat Peter Hajek im Oktober durchgeführt.
Eine Umfrage des Foresight Instituts im Auftrag des ORF Steiermark und der „Steirerkrone“ fragte nur nach bevorzugten Koaliationsvarianten und einer hypothetischen Direktwahl des Landeshauptmannes ab (Schwankungsbreite 3,5 Prozent).
Wer gewinnt laut Umfragen die Wahl?
Auch wenn die Zahlen aus den genannten Gründen mit Vorsicht zu genießen sind: Alle Institute prognostizieren denselben Wahlsieger: Meinungsforscher erwarten eine FPÖ als Stimmenstärkste (Hajek: 30 Prozent, Lazarsfeld: 33 Prozent) und ein eindeutiges Plus zur vergangenen Landtagswahl 2019 (17,5 Prozent). Die ÖVP (Hajek: 26 Prozent, Lazarsfeld: 27 Prozent) könnte fast zehn Prozentpunkte im Vergleich zu 2019 (36,1 Prozent) verlieren, während die SPÖ voraussichtlich ihr damaliges Ergebnis von 23 Prozent hält (Hajek: 24 Prozent, Lazarsfeld: 22 Prozent). Den Grünen (Hajek: 8 Prozent, Lazarsfeld: 6 Prozent) droht im Vergleich zu 2019 (12,1 Prozent) eine Wahlschlappe, während NEOS (Hajek: 6 Prozent, Lazarsfeld: 6 Prozent) und KPÖ (Hajek: 5 Prozent, Lazarsfeld: 6 Prozent) den Wiedereinzug in den Landtag schaffen dürften.
Welchen Einfluss auf die Bundespolitik kann die Steiermark-Wahl haben?
Auf die aktuell laufenden Koalitionsverhandlungen: wenig. Vielmehr beeinflusse die Bundespolitik die Landtagswahl, sagt Politikwissenschafterin Praprotnik. Die Bundesparteien hätten ein großes Interesse, das Bild von konsensorientierten Koalitionen zu vermitteln. 2019 hat vor allem die steirische ÖVP durch Vorverlegung der Landtagswahl, vom Rückenwind der damals populären Bundes-ÖVP profitiert.
Was ist das Besondere an der steirischen Landespolitik?
Die Große Koalition aus ÖVP und SPÖ galt in Restösterreich bereits als Auslaufmodell, doch die Steirer wurden bis zuletzt von einer „Reformpartnerschaft“ (Eigenbezeichnung) aus Schwarz und Rot regiert. Der Landeshauptmannsessel wechselte hin und her, an der Konsensorientierung änderte sich nichts. Fest steht, dass Drexler (ÖVP) und Lang (SPÖ) gerne weiter als Koalition regieren würden. Indem sie sich die Option für ein Bündnis mit der FPÖ offenlassen, versuchen beide Kandidaten, sich gegenseitig in eine bessere Verhandlungsposition zu bringen. Ob sie den möglichen Wahlsieger mit einem schwarz-roten Pakt ausbooten, ähnlich wie im Bund? Das werden erst die Wochen nach der Wahl zeigen.
Wie tickt Graz?
Graz gilt bei Landtagswahlen als Sonderfall: Die Landeshauptstadt, in der ungefähr 20 Prozent der steirischen Wahlberechtigten leben, wählt anders als jede andere Region in der Steiermark. Graz, einst die erste Landeshauptstadt mit einem freiheitlichen Bürgermeister, wählt heute traditionell linker als der Rest der Steiermark. Die Grünen fahren hier gute Ergebnisse ein (bei der Nationalratswahl 2019 kamen sie in Graz auf satte 27 Prozent). Die Stadt ist aber wohl am bekanntesten für ihren Status als Hochburg der KPÖ und ihre kommunistische Bürgermeisterin, Elke Kahr. Doch auch in den Industriestädten der Obersteiermark, wie in Leoben, Rottenmann und der Eisenbahnerstadt Knittelfeld, gilt die KPÖ als etabliert, während in den ländlichen Regionen der Ost- und Weststeiermark die Kommunisten fast bedeutungslos sind.
Dürfen nicht-österreichische Staatsbürger wählen?
Nein. Ausländische Staatsbürger:innen sind vom Wahlrecht ausgeschlossen. Für Sozialwissenschaftlicher Günther Ogris vom Dema Institut stellt der Ausschluss ein demokratisches Repräsentationsproblem dar: Laut seiner Berechnung leben etwa 100.000 Ausländer:innen seit mehr als fünf Jahren in der Steiermark und sind dort erwerbstätig und steuerpflichtig.
Mitarbeit: Julian Kern