Wahlbehörden-Leiter R. Stein und Innenminister W. Sobotka setzen sich für Reformen ein.

Stimmengewirr: Dauerbaustelle Briefwahl

Die Briefwahl ist seit ihrer Einführung 2007 eine Dauerbaustelle.

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Für FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist die Briefwahl seit ihrer Einführung im Jahr 2007 ein Ärgernis. Kein Wunder: Bei der Bundespräsidentenwahl entfielen 460.000 Wahlkartenstimmen auf Van der Bellen und nur 280.000 auf den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer. Die Briefwahl ist besonders bei urbanen, mobilen, gebildeten Wählern beliebt, eine Wählerschicht, die der FPÖ weniger zuneigt. In den Jahrzehnten vor Einführung der Briefwahl stand eher die SPÖ auf der Bremse, weil sie sich gegenüber der mobileren ÖVP-Klientel und deren Briefwahlstimmen im Nachteil wähnte. Das hat sich mit den Verschiebungen innerhalb der Wählerlandschaft nun grundlegend geändert. So wählen Arbeiter heute mehrheitlich FPÖ, und die SPÖ punktet in Städten auch beim Bürgertum. Spätestens seit der vergangenen Wien-Wahl ist die SPÖ ein großer Fan der Briefwahl.

Ich bin gegen die Briefwahl im Inland. Der Gang zur Urne ist wohl jedem zumutbar. Und für Bettlägrige gibt es mobile Wahlkommissionen.

Im Vergleich zur Stimmabgabe an der Urne ist das freie, persönliche und vor allem geheime Wahlrecht durch die Briefwahl jedoch nicht hundertprozentig sichergestellt. "Nimmt man die Grundsätze des Wahlrechts ernst, ist die Briefwahl problematisch. Man steigert damit die Wahlbeteiligung um einen Preis, der es nicht wirklich wert ist“, sagte Verfassungsexperte Theo Öhlinger nach der Wien-Wahl im Herbst 2015 gegenüber profil. Nach verschwundenen Briefwahlkarten und einer Anfechtung der FPÖ muss die Bezirkswahl im 2. Gemeindebezirk wiederholt werden. Schon 2011 analysierte der Verfassungsjurist Heinz Mayer: "Ich bin gegen die Briefwahl im Inland. Der Gang zur Urne ist wohl jedem zumutbar. Und für Bettlägrige gibt es mobile Wahlkommissionen.“

Alle Parteien - mit Ausnahme der FPÖ - halten jedoch an der Briefwahl fest. Sie wollen mobile Wähler weiterhin erreichen und fürchten eine wieder sinkende Wahlbeteiligung. So wurde laufend am Briefwahlmodus gebastelt, um ihn missbrauchssicherer zu machen - mit einer größeren Reform 2011. Bis dahin bot die Briefwahl noch die Möglichkeit, strategisch zu wählen. Bei der Bundespräsidentenwahl wurden die Wahlkarten bis fünf Tage nach dem Wahltag ausgezählt und ins Ergebnis eingerechnet, bei Nationalratswahlen bis zu acht Tage. Die Logik dahinter: Die Wähler sind bei der Stimmabgabe auf dem politisch letzten Stand. Damit konnten Wähler aber - verbotenerweise - den Wahlabend abwarten und im Wissen um das Ergebnis gegensteuern.

Zwar verlangte die Wahl eine eidesstattliche Erklärung, wonach die Stimme vor Wahlschluss abgegeben wurde. Dies stellte sich aber als unkontrollierbar heraus. Seit 2011 muss die Wahlkarte spätestens am Wahltag eintreffen. Nun will der für Wahlgänge politisch verantwortliche Innenminister Wolfgang Sobotka die Deadline auf Freitag vor der Wahl verschieben, damit die Wahlkarten schon am Wahlsonntag ausgezählt werden können. Zum besseren Abgleich fordert Sobotka außerdem ein zentrales Wahlregister, und er will die Wahlbeisitzer besser schulen.

Zumindest einmal sollten die Wähler von Angesicht zu Angesicht die Wahlkarte entweder beantragen oder übergeben.

Die Einfallstore für Wahlanfechtungen sind damit aber nicht geschlossen. Noch immer ist es bei manchen Wahlen nicht Pflicht, die Wahlkarte persönlich abzuholen oder einzuschicken. Mit der Passnummer der Wähler können auch Verwandte oder Vereine die Wahlkarten für ihre Mitglieder beantragen. Parteien bieten gerne sogenannte Sammellisten an und lassen die Wahlkarten zustellen. Öhlinger fordert, dass Wahlkarten persönlich abgeholt werden sollten, was die Mobilität allerdings wieder einschränken würde.

Der Dritte Wiener Landtagspräsident, Martin Margulies von den Grünen, fordert bundesweit einheitliche Regeln für die Briefwahl. Er vermutete schon 2010 als Mitglied der Wahlbehörde Unregelmäßigkeiten bei der Wien-Wahl rund um Heime für Demenzkranke, was von der FPÖ seither genüsslich aufgegriffen wird. "Zumindest einmal sollten die Wähler von Angesicht zu Angesicht die Wahlkarte entweder beantragen oder übergeben. Wenn wer anderer die Karte beantragt, muss sie persönlich abgeholt werden.“

Die Stichwahl wird nicht nur eine Wahl zwischen Van der Bellen und Hofer. Hält der Trend zur Stimmabgabe per Post an, stimmen die Österreicher trotz aller Tücken eindeutig für die Briefwahl.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.