Soner Ö. im Geschworenengericht in Feldkirch

Täter von Dornbirn: „Ich weiß, wo das Herz ist”

Vor einem Jahr hatte Soner Ö. den Leiter des Sozialamts in Dornbirn getötet. Edith Meinhart war beim Prozess.

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Es war eine verstohlene Geste, die ihn für einen unerwarteten Moment anders zeigte. Weniger grob. Der Richter hatte eben eine Pause angeordnet. Die Justizwache war dabei, Soner Ö. hinauszuführen. Zuschauer drängten hinaus. Da drehte der Angeklagte sich zu seiner Mutter, seiner Schwester, seiner Nichte und seinem Neffen um, die in der vierten Reihe saßen, führte seine mit Handschellen fixierten Hände zum Mund, warf ihnen einen Kuss zu – und lächelte.

Am Montag begann am Straflandesgericht in Feldkirch der Prozess gegen Soner Ö., 35. Der Sohn türkischer Gastarbeiter hatte am 6. Februar 2019 den 49-jähriger Leiter des Sozialamts in Dornbirn mit einem Küchenmesser getötet. Vor dem Eingang zum Verhandlungssaal passten Polizisten auf. Beamte hatten das Gebäude zuvor mit einem Sprengstoffhund umrundet. Laut einem handschriftlichen Aktenvermerk eines Justizwachebeamten soll Soner Ö. im Gefängnis einmal von „seinen Kriegsleuten” gesprochen haben, die versuchen würden, ihn am Tag der Hauptverhandlung zu „befreien”. Die Sorge war unbegründet.

Der Angeklagte, der in grauem Anzug, gestreifter Krawatte und akkuratem Kurzhaarschnitt vor dem Schwurgericht erschien, bleibt die meiste Zeit ruhig. „Ich werde kooperieren, wie ich bei der Polizei kooperiert habe”, sagt er, bevor er sich näher zum Mikrofon beugt und zu einer „kurzen, zusammenfassenden Erklärung” anhebt, die ihm von Rechts wegen zusteht.

Brutale Worte hallen im Schwurgerichtssaal wider, Sätze, die manchmal schwer zu ertragen sind. „Ich weiß, wo das Herz ist. Wenn ich jemanden töten will, steche ich direkt hinein”. Er habe nur verletzen wollen. In der Presse habe man ihn als „Killer” und „Mörder” vorverurteilt. Die Staatsanwältin geht von „Rache” aus. Er widerspricht: „Es war ein Unglücksfall.” Ein „Unfall”. Er habe seinem Opfer nur „eine Strafe” geben wollen.

Im Asylverfahren hatte Soner Ö. angegeben, auf kurdischer Seite in Syrien gegen den sogenannten „Islamischen Staat” gekämpft zu haben. Mehrfach verweist er im Schwurgerichtssaal, in dem seine Erlebnisse an der Front nichts zur Sache tun sollen, auf seine „Kampferfahrung”. Der Richter hält ihm in einem geöffneten Karton ein Küchenmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge vor. „Ja, ja, das ist es”, sagt Ö. Messer – „größere, kleinere, dieses hatte ich drei Tage” – habe er oft bei sich getragen. Er steht auf, zeigt, wie er das Messer an der rechten Seite des Beins, zwischen Hose und Boxershort zu verstecken pflegte.

Immer wieder kommt das, was Soner Ö. vor dem Strafrichter zu seiner Entlastung vorbringt, wie nur noch weiter Belastendes rüber. Daneben verblasst die konfliktreiche Geschichte, die ihn mit seinem Opfer verbindet – Alexander A., der Gendarm, der vor dem erst zwölfjährigen Soner mit der Waffe herumgefuchtelt haben soll, um ihm ein Geständnis abzutrotzen, der dem in Vorarlberg geborenen Burschen immer wieder gedroht hat, ihn in die Türkei zurückzuschicken und der ihn am 6. Februar 2009 tatsächlich abschieben ließ, dem er zehn Jahre später in der Bezirkshauptmannschaft in Dornbirn gegenübersteht, als er hier wegen einer Grundversorgung vorstellig wird. „Er hat mich angeschrieen. Er hat jedes Mal meine Würde verletzt. Seit 20 Jahren macht er das so”, sagt Soner Ö. Und: „Keiner hat meine Not gesehen.” Die Verteidiger sprechen von einer „Tragödie”: „Niemand hat gewollt, dass die Tat passiert, aber sie ist passiert.”

„Ich habe Kriegserfahrung"

Aber auch ihre Sätze verlieren sich neben der sprachlichen Wucht, mit der der Angeklagte zu seiner Verteidigung ausholt: „Wenn ich ihn hätte ermorden wollen, hätte mich keiner erwischt.” „Ich wusste, wo sein Haus ist. Eine Armbrust hätte auch gereicht. Ich hätte ihn von der Weite erschießen können. Eine Maske aufziehen und fertig. Ich bin Scharfschütze.” „Ich habe Kriegserfahrung, ich weiß, wie man Menschen tötet, wenn ich ihn hätte töten wollen, hätte keiner erfahren, wer das gemacht hat.”

Einmal neigt sich der Richter dem Mann auf der Anklagebank fast jovial zu und fragt, warum er Alexander A., sein Opfer nicht geschlagen habe, um ihm weh zu tun? Warum gleich erstechen? Der Verteidiger springt auf. Er will die Frage nicht zulassen. Der Richter aber besteht auf einer Antwort. Und Soner Ö. gibt sie ihm: „Ich wollte ihm die Nackenmuskulatur herausschneiden, damit er seinen Arm nicht mehr benützen kann. Verstehen Sie? Ich bin ehrlich. Ich habe nichts zu verlieren. Ich habe eh schon alles verloren. Wenn ich ihn töten hätte wollen, würde ich das hier sagen. Und die anderen Stiche wären dann auch richtig hineingegangen.”

Am Ende bekennt Soner Ö. sich der absichtlichen Körperverletzung mit Todesfolge schuldig. Er sagt: „Ich überlasse es den Geschworenen, wie sie es finden, dass man einen Menschen drei Wochen lang herumschickt, der in einer Notlage ist. Das ist eine Sozialabteilung. Da kommen Menschen, die Hilfe brauchen. Österreich ist doch ein Sozialstaat.” „Was soll ich noch sagen? Ein Mensch ist gestorben, nur weil er sich nicht an Gesetze gehalten hat.”

Die türkis-blaue Regierung hatte die Bluttat vor einem Jahr zum Anlass genommen, eine Sicherungshaft zu fordern. Zu Beginn der Verhandlung hatte Soner Ö. erklärt, „es gibt einen politischen Druck, ich wünsche mir, dass diesem nicht statt gegeben wird”. Der Richter hatte ihn beruhigt: „Es gibt keinen politischen Druck.” Montag Mittag, die Befragung des Beschuldigten Soner Ö. war eben erst in Gang gekommen, vermeldet die Austria Presse Agentur. „Bundeskanzler Kurz: Sicherungshaft kommt”.

Der Richter und die Geschworenen verurteilten Ö. zu lebenslanger Haft. Das Votum war einstimmig. Die Verteidiger meldeten Nichtigkeitsbeschwere und Berufung an. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges